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SCHWEINFURT
Forelle von Fisch-Inge - und einen Spruch gratis
Chefin, gute Seele und „Orginal”: Inge Dittmar, auch liebevoll „Fisch Inge” genannt.
Foto: Martina Müller | Chefin, gute Seele und „Orginal”: Inge Dittmar, auch liebevoll „Fisch Inge” genannt.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:58 Uhr

Ein kräftiger Schnitt, ein gekonnter Handgriff, noch einer . . . schwupps, landet der nächste Fisch im bereitgestellten Eimer. Frank Dittmar nimmt Forellen aus. Eine, noch eine, ein paar Dutzend an diesem Freitagvormittag. Frühmorgens hat er sie in der Rhön geholt. Lebendig natürlich. „Die werden erst geschlachtet, wenn ich sie brauch'.“ Aus dem schmalen Flur ruft Inge Dittmar ihrem Sohn zu: „Frank, hammer noch Saibling?“ Ein Kunde hätte gerne einen. Ein Blick, Nicken. Ja, noch was da. Also, eingepackt. „Dazu vielleicht noch einen Matjes?“

Der hausgemachte Heringssalat ist die Spezialität von Inge Dittmar, der Fisch-Inge. Mit viel extraklein geschnittenen Zwiebeln, nein, eher schon kleingequetschten. Und mit Schmand, damit er eher stichfest wird als flüssig. „Ich maach' ihn ja dick“, sagt sie resolut. „Wer den flüssiger will, soll einen Spritzer Milch reinmach'. Oder Joghurt.“ Alle zehn Tage sei sie für den Heringssalat sechs Stunden allein mit dem Schnippeln beschäftigt: Zwiebeln, Äpfel, Kümmerli . . . Aber ihr Matjestöpfchen hätte schon Ehemänner überzeugt, die das sonst nur essen, wenn's nach Familienrezept ist und schmeckt wie von der Oma gemacht.

Die letzten Schweinfurter Berufsfischer auf dem Main

Der Kunde wartet im Türrahmen, die Fisch-Inge setzt sich zwischen Kühlschrank und Kasse. „Wir sind halt äweng beengt“, sagt sie, während sie ein Töpfchen Bismarckhering einpackt. Wer bei „Fischhaus“ an ein großes Geschäft denkt mit üppig gefüllten Vitrinen und viel Fisch auf Eis in großen Auslagen . . . nein, das „Fischhaus Dittmar“ in Schweinfurt, am Fischerrain nah am Main, ist kein Fischladen, auch wenn?s hier nichts anderes gibt als Fische von Aal bis Zander. Zu den Gründen gleich.

Die Dittmars sind Flussfischer auf dem Main, die letzten im Vollerwerb in Schweinfurt. Vater Gerhard hat vor 52 Jahren das Kapitänspatent gemacht. Aber dann blieb er nicht Binnenschiffer auf Rhein oder Mosel, sondern wurde Fischer auf dem Main. Weil sein Vater Fischer war, die Fischer die älteste Zunft Schweinfurts sind und das Fischrecht seit dem 15. Jahrhundert grundsätzlich auf den Sohn übergeht. Und nur auf den Sohn, immer schon.

Fotoserie

Nur durch die Fischhandlung können die Flussfischer überleben

So fährt Gerhard Dittmar seit über 40 Jahren im Schelch zum Fischen und zieht Hechte, Schleien, Waller, Aale, Rotaugen oder auch mal kleine Meefischli aus dem Main. Jahr für Jahr, bei Wind und Wetter, ob viel ins Netz und in die Reusen geht oder nichts. „Wir haben von Wipfeld bis nach Horhausen bei Haßfurt die Fangrechte. Ganz früher war?s der ganze Mee, von Bamberg bis Mainz“, sagt der Senior und bringt dem Junior noch einen Eimer zappelnde Forellen zum Schlachten herein.

Ohne ihren Laden, der kein Laden ist, könnte die Familie nicht überleben. Also verkauft die Fisch-Inge neben dem, was ihre beiden Männer morgens frisch heimbringen, Selbstgeräuchertes. Und eben Spezialitäten, die nicht aus ihren Netzen stammen. Irgendwann sind die Makrelen dazugekommen, dann die Forellen und Saiblinge aus der Rhön. Und Karpfen aus dem Aischgrund. Den Seefisch bringt dienstags der Großhändler aus Holland.

Kein Ladenlokal, weil hier der Fisch frisch geschlachtet wird

Fische von Aal bis Zander sind in der Fischhandlung Dittmar in Schweinfurt zu haben. Hier ein Korb mit Makrelen.
Foto: Martina Mueller | Fische von Aal bis Zander sind in der Fischhandlung Dittmar in Schweinfurt zu haben. Hier ein Korb mit Makrelen.

„Wir sind kein Laden, weil wir sind ja Schlachter“, sagt Inge Dittmar, während Sohn Frank – Gummistiefel an den Füßen, dicke weiße Gummischürze um den Bauch – im gefliesten Raum mit den vielen Becken weiteren Forellen die Innereien entnimmt. Der nächste Kunde kommt, man kennt sich. „Schau mal, ob du Makrelen hast, wenn?s geht so mittlere. Nicht so Apparate.“ Die Fisch-Inge kontert: „Fritz, du kriegst sooo?n Haifisch!“

Statt Ladentheke und appetitlichen Auslagen gibt?s bei Fisch-Inge Schilder und handbeschriebene Tafeln noch und nöcher. Vor der Tür, an den Hauswänden, im Flur hängen und stehen die Angebote dicht an dicht. Dazwischen vergilbte Fotos und gerahmte Zeitungsausschnitte. Auf manchem Bild halten Vater und Sohn einen extragroße Waller in die Kamera.

Ein Ladengeschäft hätte sie schon gerne gehabt, damals Mitte der 1980er Jahre, als sie von der Schwiegermutter das Regiment im Fischhaus übernahm, sagt die Fisch-Inge, die eigentlich eine Fleisch-Inge war. In der Metzgerei hat sie als Metzgereifachverkäuferin das Geschäftliche und den Umgang mit Messern und Lebensmitteln gelernt. Hat ausgebeint und Schweinemett gemacht. Aber dann kam Gerhard Dittmar.

Wer keinen Rüffel will, bringt für den Brathering die Dose mit

„Die Vorschriften“, grummelt die Chefin im Verkaufsstübchen vor sich hin, „viel zu viele Auflagen.“ Den Fisch wollen sie hier im Fischhaus doch frisch schlachten, quasi im Beisein der Kunden, auch wenn?s blutig ist. Aber verkaufen von der Schlachtbank weg – das wär‘ in einem Ladenlokal strikt verboten.

Also, wer Brathering in Soße will, bringt besser das Transportbehältnis mit, will er keinen Anschiss kassieren. Die Fisch-Inge schimpft ein bisschen, wiegt Forellen ab im engen Räumchen, in denen sich zur Waage und dem Kühlschrank und den Gewürzdosen noch Plüschtiere und Süßigkeiten drängen, nicht zum Verkauf.

68 ist die Chefin jetzt. Weil gerade äweng Zeit ist und kein Kunde zur offenen Tür hereinkommt, kann sie – lippenspitzend, fingerleckend – eben mal ihr Lieblingsrezept aufsagen. „Mein Lieblingsfisch ist ja der Zander, absolut!“ Den gart sie in Alufolie. „Filet salzen und pfeffern, bisschen Liebstöckel, ein Döschen Champignons drauf, Zwiebelchen geschnitten.“ Aber im Moment ist das Kerngeschäft das Grillgeschäft, da wollen alle Makrelen, Doraden, Saibling.

„Fertignetze gibt's bei uns keine, die machen wir selber“

Das Telefon klingelt, Stammkundin Frau Hiller fragt nach grünem Hering. „Frank, grüner Hering, wie viel hammer noch?“ Ein Ruf hin, ein Ruf her. Die Antwort: „Überschaubar.“ Also, Frau Hiller, wie wär's mit Wolfsbarsch oder Dorade?

Regelmäßig müssen die Fischernetze kontrolliert und ausgebessert werden. Gerhard Dittmar kann dies seit Kindesbeinen an.
Foto: Martina Mueller | Regelmäßig müssen die Fischernetze kontrolliert und ausgebessert werden. Gerhard Dittmar kann dies seit Kindesbeinen an.

Gerhard Dittmar, der den 70. schon seit ein paar Jährchen hinter sich hat, sitzt derweil draußen im Hof, flickt Netze und erzählt, wie er Ende der 1960er Jahre die Metzgereifachverkäuferin kennengelernt hat. Beim Korbball, der gemeinsamen Leidenschaft. Er war Trainer, sie Spielerin . . . Sie holten viele Meisterschaften und feiern nächstes Jahr Goldene Hochzeit, erzählt Dittmar, während er Löcher sucht im langen Netz.

Er beherrscht das Handwerk noch, fachgerecht zu nähen und zu flicken. „Fertignetze gibt's bei uns keine, die machen wir selber, das ist Tradition.“ Dass ihnen einmal an einem Tag fünf Netze und neun Reusen geklaut wurden, wurmt ihn heute noch: „Das war ein harter Tag.“

Netzdiebe, Mainausbau, Kormorane: Lauter Probleme!

Kein Wunder, dass Frank Dittmar auf dem Wasser nichts mit kleinen Bojen markiert, sondern sich den Standort merkt, wenn er irgendwo in der Schonunger Bucht die Reusen auswirft. Nicht nur der Netzdiebstahl ist ein Problem. Klar, der Main ist sauberer geworden. Aber! „Der Ausbau des Mains“, sagt der 48-Jährige und wäscht und bürstet die Messer unterm fließenden Wasser.

„Da genau sind unsere Reusenplätze. Wir wissen nicht, ob wir nächstes Jahr noch Aale haben.“ Apropos. Die laichfähigen Aale bringen die Mainfischer zu einem Kollegen, der fährt sie dann in den Rhein. Damit sie sich nicht selber vom Main aus auf den weiten Weg Richtung Bahamas in die Sargassosee machen. Und nicht schon auf den ersten Kilometern zerhäckselt werden in den Turbinen.

Aber jetzt ist erst mal Sommerpause. In der Laichzeit wird der Fisch in Ruhe gelassen. Und beim Reden über Probleme kann es der Fisch-Inge auch gehörig die Laune und fast den Appetit auf ihren Zander verderben. Der Kormoran. Ein Reizthema. Dass sich der am Main vogelwohl fühlt und nicht geschossen werden darf, setzt den Berufsfischern gehörig zu. Da können sie noch so viele Fische im Fluss aussetzen – bevor einer an die Angel geht, sind zwei schon vom Kormoran gefressen.

Für den kaltgeräucherten Lachs gibt's ein Spezialrezept

Stammkunde Fritz Schröter (rechts) kauft bei Inge Dittmar in der Schweinfurter Fischhandlung Dittmar eine Makrele.
Foto: Martina Mueller | Stammkunde Fritz Schröter (rechts) kauft bei Inge Dittmar in der Schweinfurter Fischhandlung Dittmar eine Makrele.

Ein Anruf, jemand will Karpfen. „Gibt's wieder im September“, sagt die Fisch-Inge. Ganzjährig empfehlen kann sie den Stremellachs, bei bis zu 100 Grad über drei Stunden selbstgeräuchert natürlich, unten im Keller im Räucherofen. Oder den kalt geräucherten Lachs. Zwei Tage vorher wird der gebeizt, mit Dill gewürzt – und dann räuchert er zehn Stunden bei allerhöchstens 30 Grad. Inge Dittmar rollt schwärmerisch die Augen. „Einmal den g'essn. . . und kenn annere mehr. Ein Gedicht!“

„Alles lecker!“, ruft Frank Dittmar aus dem Nebenraum herüber. Grüner Hering: viele Gräten aber geschmacklich . . . Fisch-Inge rollt wieder mit den Augen. „Ein gegrillter Wolfsbarsch ist was ganz Feines, oder gegrillter Saibling“, sagt Frank Dittmar. Und Rotaugen isst er auch gerne, gebacken. „Der Vater von den Meefischli.“

Und Makrelen? „Einen Tag vorher würzen, dann ist der Fisch deliziös“, sagt Inge Dittmar mit Ausrufezeichen: „De-li-zi-ös!“ Aber genug geschwätzt. Im Flur steht zwischen all dem Krimskrams und den kreidebeschriebenen Angebotstafeln der nächste Kunde. „Inge, wir hatten Matjes bestellt.“

 
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