An den hohen katholischen Feiertagen beschäftigt es Stefan Menz immer noch. Dann, wenn er in der Kirchenbank sitzt und nach vorn zum Altar, zum Ambo, zum Priester schaut – und sich denkt: „Da stand ich auch einmal. Da könnte ich immer noch stehen.“ Doch der heute 44-Jährige aus Heidenfeld bei Schweinfurt entschied sich anders. Im Jahr 2009, nicht mal fünf Jahre nach der Priesterweihe, ging er zum Bischof von Würzburg und machte reinen Tisch. „Ich wollte auf keinen Fall ein Doppelleben führen“, erzählt er. Die Liebe zu seiner heutigen Frau sollte kein Versteckspiel werden. Bischof Friedhelm Hofmann suspendierte Menz sofort nach dessen „Beichte“ von allen priesterlichen Aufgaben.
Menz' Weg in den priesterlichen Dienst war quasi vorgezeichnet. Schon mit elf Jahren war sich der engagierte Ministrant, der auch Mitglied der Katholischen Jungen Gemeinde (KJG) war, sicher, später selbst Priester sein zu wollen. Er studierte Theologie und Philosophie in Würzburg, in Innsbruck und in Eichstätt, ging ins Priesterseminar, wurde 2003 zum Diakon und 2004 schließlich zum Priester geweiht. „Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Meine Eltern waren stolz auf meinen Berufswunsch.
Und sie haben auf viel verzichtet, um mir das zu ermöglichen“, sagt Stefan Menz heute. Kein Wunder, dass er seine Eltern vor den Kopf stößt, als er ihnen 2009 verkündet, heiraten und Kinder haben zu wollen.
„Das Schlimmste war das Alleinsein“
In gewisser Weise stößt sich Menz damit auch selbst vor den Kopf. Er hadert mit sich, seinen Gefühlen, der Liebe zu einer Frau. Er analysiert, er hinterfragt, er zieht Schlüsse – und schließlich Konsequenzen. Er will unter diesen Umständen kein Priester mehr sein. „Das Schlimmste war das Alleinsein“, erzählt er. Die Abende in der einsamen Wohnung, im Pfarrhaus, die nagen an dem jungen Mann. Dann kommt Menz einer langjährigen Freundin näher. Bis beiden Ende 2008 klar ist: So kann es nicht weitergehen. Die Sache ist heikel: Er ist Priester, sie arbeitet in der Verwaltung des Bistums.
Zu dieser Zeit kommt Stefan Menz erstmals mit der Initiative „Priester im Dialog“ in Berührung. Die erst 2007 gegründete Gruppe will die Situation von Priestern verbessern, die ihr Amt aufgeben mussten – meistens aus ganz ähnlichen Gründen wie Stefan Menz. Ins Leben gerufen wurde sie von Edgar Büttner, selbst seit vielen Jahren dispensierter Priester, und dem damaligen Würzburger Generalvikar Karl Hillenbrand. Die Initiative hat mehrere Ziele, eines der wichtigsten ist, dass den Priestern für die Zeit nach der Dispens – also der Aufhebung des Pflichtzölibats durch den Papst – eine berufliche Perspektive in der Kirche angeboten wird und sie etwa als Religionslehrer oder Pastoralreferenten weiter arbeiten können.
„Das Problem ist nicht die Kirche“
Edgar Büttner wurde 1978 im Würzburger Dom zum Priester geweiht, fünf Jahre später wurde er wegen der Beziehung zu seiner späteren Frau Elisabeth vom Priesteramt suspendiert – seine Dispens, also die offizielle Befreiung vom Zölibat, erhielt er von Papst Johannes Paul II. im zweiten Anlauf im Jahr 1989. Er und seine Frau, selbst Religionslehrerin, standen buchstäblich vor dem Nichts. Beiden drohte Jobverlust – Verlust ihrer geistigen Heimat.
Büttner entschloss sich, den Namen seiner Frau sieben Jahre lang vor kirchlichen Stellen geheim zu halten. So konnte sie ihren Beruf behalten: „Das Problem ist nicht die Kirche, sondern es sind einige einflussreiche Kirchenobere.“ Aber auch dort bewege sich was.
Die Zahlen sprechen eine eigene Sprache: Mehr als 70 000 Priester sollen weltweit dispensiert sein – allein in der Erzdiözese München und Freising sollen es um die 400 sein. Viele von ihnen wären gerne weiter in der Seelsorge als Priester oder zumindest als Gemeindereferent tätig, doch die Ortsbischöfe tun sich damit schwer. Bis in die 2000er Jahre war das in der katholischen Kirche in der Schweiz durchaus möglich – mit dem deutschen Papst Benedikt XVI. änderte sich auch das. Doch Büttner und Menz haben Hoffnung: Der Priestermangel zwingt die Kirche zum Nach- und vielleicht auch zum Umdenken. Papst Franziskus hat weltweit die Bischöfe beim Thema Zölibat zu „kreativen Lösungen“ aufgefordert.
Priester - ein Leben lang
Menz sagt, der Kontakt zu Büttner und anderen Kollegen habe ihm geholfen: „Man konnte Fragen stellen – jemandem, der selbst betroffen war, der das alles schon selbst erlebt hat.“ Er selbst erfährt Verständnis aus der Kirchenleitung, etwa von Generalvikar Hillenbrand, dem Chef seiner Frau. Dieser segnet das Haus des jungen Paares oder erscheint spontan auf der Feier zu Menz' 40. Geburtstag. Doch er erlebt auch Ablehnung. Ehemalige Mitseminaristen wechseln nun die Straßenseite, wenn sie ihn sehen. Mitbrüder fragen, weshalb er seine Frau nicht „wie früher“ als Haushälterin zu sich geholt habe.
Er will nicht klagen oder hadern. Durch seinen Job als abgeordneter und verbeamteter Studienrat kam er bei der Regierung von Unterfranken unter, später arbeitete er als Personalentwickler und Psychoonkologe, er begleitete Krebskranke, inzwischen arbeitet er in der Geschäftsführung des Leopoldina-Krankenhauses Schweinfurt. „Trotzdem ist es ein hartes Gefühl, wenn man quasi von heute auf morgen ausradiert wird aus dem Kreis der Kleriker“, sagt er. „Dabei bin ich immer noch Priester. Dispensiert zwar, aber ich bin Priester – mein Leben lang. Und ich lebe das auch!“
2015 kam wieder ein Wendepunkt
Nur: Stefan Menz darf viele Dinge nicht mehr tun, die ein Priester tut. Keine Gottesdienste halten, keine Sakramente spenden. Wobei – auch das ist nicht ganz richtig. In Notsituationen, etwa am Sterbebett, wenn kein anderer Priester da ist, darf er die Beichte nicht nur abnehmen, er muss sogar. „Das ist seit meiner Dispens schon mehrfach geschehen“, sagt Menz. Gleiches gelte für Krankensalbung und Krankenkommunion, „auch beerdigt habe ich wieder“. Laut Büttner gibt es aus vielen Bistümern ermutigende Zeichen: „Viele kleine Schritte, drei vor, zwei zurück, aber vorwärts.“
Bei Stefan Menz war 2015 in dieser Beziehung ein Wendepunkt. Er erhielt ganz offiziell vom Würzburger Bischof wieder die Erlaubnis, als Lektor und Kommunionhelfer zu fungieren – auch Wortgottesdienste darf er inzwischen wieder leiten. Und trotzdem: All das, was Priester mehr dürfen, „das fehlt mir nach wie vor“.
Auch wieder allein. In der Evangelischen Kirche dürfen die Pfarrer heiraten. Da gibt es sogar Pfarrerinnen. Aber auch dort beklagt man sich über Priestermangel. Alleinsein und/oder Einsamsein sind auch zwei verschiedene "Zustände". Man(n) kann nicht alles haben. Im Großen und Ganzen kann er doch zufrieden sein. Also was soll die Jammerei? Undank auch seinem Dienstherrn gegen über. Undank ist der "Welten" Lohn.
Vielleicht erlebe ich die Aufhebung des Zölibats doch noch.
Und danke für den schönen Artikel, auch wenn das Thema so berührend ist.