Es ist ein für Passagiere unsichtbares Bauteil in einem Flugzeug, es hat aber große Bedeutung für die Menschheit und ihre weltweite Mobilität: das Fluglager. Die Sparte "Fluglager" am Schaeffler-Standort Schweinfurt hat vor wenigen Wochen ihr 50.Jubiläum gefeiert. Am 14. Juli 1969 hatte die damalige FAG Kugelfischer beschlossen, Präzisionskugellager nicht nur für Fahrzeuge, sondern auch für die Luft- und Raumfahrt zu produzieren: im Jahr der Mondlandung, die der Branche offenbar besonderen Schub verliehen hat. Unter dem Namen "Schaeffler Aerospace Germany GmbH & Co. KG" liefert der Marktriese vom Main heute Spezial-Wälzlagersysteme und andere Bauteile für Flugzeug-Triebwerke, Turbopumpen, Hubschrauber oder die europäische Ariane-Rakete.
Im April 2020 soll dieses wenig bekannte Stück Industriegeschichte noch einmal gewürdigt werden: mit einer Ausstellung im Kleinen Industriemuseum an der Gutermann-Promenade 1, organisiert vom AKI Förderkreis "Industrie-, Handwerks- und Gewerbekultur Schweinfurt." Der Verein mit etwas über 60 Mitgliedern ist im letzten Jahr 25 Jahre alt geworden und will den Schweinfurtern die bewegte Geschichte ihres Wirtschaftsstandorts nahe bringen.
Mittlerweile wurde ein Stammtisch gegründet, der sich einmal im Monat trifft. Derzeit wird die Ausstellung "Schweinfurt und die Luft- und Raumfahrt" geplant. Mit am Tisch sitzen Schaeffler-Mitarbeiter und AKI- Mitglied Thomas Bauer sowie die Mitglieder Gerhard Fiedler, Ewald Hartmann und Jürgen Endres. Auch der erste Vorsitzende, Professor August Georg Ruß, schaut im Hirschkeller vorbei.
"Hans Joachim Köber hat 1969 den Markt für FAG entdeckt", sagt Thomas Bauer, der selbst bei Schaeffler Aerospace arbeitet und als Hobby die Geschichte der heimischen Luftfahrt erforscht: Etwa den Schweinfurter Flughafen, den es in den 1920er-Jahren mal auf der grünen Wiese bei Oberndorf gab. Ein weiterer Mann der ersten Stunde im Fluglagerbereich sei Hans Weigand gewesen, zuständig für Entwicklung und Vertrieb. "Es hat mit einem kleinem Bereich angefangen", erinnert sich Jürgen Endres, "mittlerweile sind es über 600 Mitarbeiter." Der Umsatz liege bei über 100 Millionen Euro pro Jahr.
Flugzeugausrüster waren FAG und auch die anderen Schweinfurter Lagerlieferanten, Fichtel & Sachs und VKF (SKF), schon früher gewesen. In den 1930er-Jahren wurden Kugellager in die BMW-Werke nach Eisenach geliefert, für die Sternmotoren der Ju-52/3, alias "Tante Ju", für Militärflieger von Focke Wulf und auch schon die "Ur-Helikopter". Die weltweite Führung der Schweinfurter Wälzlagerindustrie war auch einer der Gründe der Bombardierung der Schweinfurter Industrie im Jahr 1943 und der teilweisen Auslagerung der Fertigung, etwa nach Ebern oder Eltmann.
Nach dem Krieg ging es (überwiegend) zivil weiter. Die neue Abteilung EB-FL (Erzeugnisbereich-Fluglager) startete in Schweinfurt mit relativ kleinen Lagern, sagt Endres. Zunächst wurden spezielle Kugellager für die Schubumkehrklappen des "Tornado" geliefert. Später wurden Lager für die Wasserstoffpumpen in der Raumfahrt entwickelt. Ein wichtiges Kriterium sei die Wiederverwendbarkeit dieser Lager gewesen. Vorher mussten sie nach jedem Start aufwändig gewechselt werden. "Cronidur 30" nannte sich der neue, korrosionsbeständige und härtbare Spezial-Wälzlagerstahl, der bei Space-Shuttle Starts bis zu 40 Mal in Folge eingesetzt werden konnte.
Enorme Belastungen herrschen auch in Flugzeugturbinen, nach dem Prinzip "Ansaugen-Verdichten-Verbrennen-Ausstoßen": Rotierende Schaufeln befördern Luft in die Brennkammer und erhöhen zugleich den Druck. Treibstoff wird eingespritzt, entzündet und als Abgasstrahl hinausgefeuert: Auch hier bringen Schaeffler-Lager die Turbine auf Hochtouren, für Hersteller wie Rolls Royce oder Pratt & Whitney, für Airbus wie Boeing. Die Turbinentechnik dreht sich längst auch um die Senkung von Lärmbelastung und Kerosinverbrauch, nicht mehr allein um reine Schubkraft.
Letzten März hat das Kleine Industriemuseum ein Ausstellungsstück von Schaeffler-Aerospace erhalten, aus dem Airbus A-320. Die Fluglagerherstellung sei weitaus diffiziler, komplexer und genauer als die Produktion sonstiger Wälzlager, sagt Thomas Bauer – Stichwort Schmierung und Kühlung, beim Einsatz nahe einer Hochdruck-Brennkammer. Man habe eigene Werkstoffe und eine besondere Überwachungs- und Dokumentationspflicht. Die Herkunft jedes Bauteils müsse genau rückverfolgbar sein: "Es wird dann meist schon vor dem Verschleiß ausgewechselt".
Letztlich zählt der Wunsch des jeweiligen Kunden, mit einer hohen Zahl von Testläufen – bei Stückzahlen von meist nur wenigen hundert, aber hochentwickelten Produkten. Die Entwicklung von Triebwerken und den entsprechenden Wälzlagern dauert Jahre: "Letztendlich geht es ja auch um sicherheitsrelevante Bauteile". Die Wälzkörper sind mitunter aus leichter Keramik, versilberte "Käfige" trotzen der Korrosion und es werden hochwertigste Stähle für Außen- sowie Innenring eingesetzt. Sensoren messen Temperaturen und Vibrationen. Flugreisenden bleibt die Erkenntnis: Wenn sie als Schweinfurter in den Urlaub starten, fliegt neben ihnen mit einiger Sicherheit ein Stück Heimat mit.
Das Kleine Industriemuseum an der Gutermannpromenade hat an jedem zweiten und vierten Samstag im Monat geöffnet, jeweils von 14 bis 18 Uhr (bis 23.November). Es ist auch an beiden Tagen des Schweinfurter Stadtfestes, am 30. und 31. August, von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt und Führungen sind kostenlos.