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SCHWEINFURT
Flucht ist schrecklich, Bürgerkrieg noch schrecklicher
Charlotte Wahler
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:35 Uhr

Zugegeben, der Name hört sich im Deutschen aufs erste Mal etwas ungewöhnlich an, aber mit Umes läßt es sich leichter umgehen, so lautet der Vorname von Herrn Arunagirinathan, der in der Buchhandlung Vogel aus seinem zweiten Buch liest. Aber bitte, das soll keine Aufforderung sein, ihn zu duzen. Denn das erlebt der angehende Herzchirurg aus Bad Neustadt immer wieder mal: Du sprechen deutsch? Du Ausweispapiere!! Woher du kommen?

Er kommt aus Hamburg, sagt er mit einem sehr sympathischen Lächeln und „moin moin“ ist für ihn eine völlig normale Begrüßungsformel. Aber dann liest er aus seinem Buch „Der fremde Deutsche“ und es wird erkennbar, was für ein großes Schicksal hinter der gelungenen Integration steht. Als Kind hat er im Bürgerkriegsland Ceylon/Sri Lanka Obst verkauft und heute macht er seine Facharztausbildung in der Rhön.

Verzaubert vom Charme der Provinz

Der Charme der Provinz habe ihn durchaus verzaubert, es sei eine völlig neue Erfahrung für ihn, auf der Straße erkannt und angesprochen zu werden. In Franken habe er seinen Führerschein und sein zweites Buch geschafft, das wäre in Hamburg nicht gegangen. „Und ich werde Herzchirurg!“ Mit einem strahlenden Lächeln freut er sich – von Herzen!

Er liest weniger als er frei erzählt und das trägt dazu bei, dass Arunagirinathan völlig authentisch die zahlreichen Gäste bezaubert. Die Geschichte seiner Flucht hat er in seinem ersten Buch erzählt, immerhin war er mit 12 Jahren acht Monate lang unterwegs gewesen, bis er bei seinem Onkel in Hamburg ankam. „Flucht ist schrecklich, aber Bürgerkrieg ist noch viel schrecklicher.“ Der Onkel nahm einen Kredit auf, um dem Jungen eine Ausbildung zu finanzieren. So viel zum Thema Familienzusammenhalt.

Sparsam von Kindesbeinen an

„Ich lernte als Kind, sehr sparsam zu leben, das hat mich für mein Leben geprägt.“ Er hat in Deutschland als Tellerwäscher gearbeitet und sich für das erste Vorstellungsgespräch einen Anzug geliehen von Freunden. Dass seine ältere Schwester sehr krank gewesen sei und schon als Kind gestorben ist, habe den Grundstein gelegt für seinen Wunsch, Arzt zu werden, der Weg dahin war sehr schwer. „Ich habe auch sehr viel geweint.“ Besonders die Demütigungen von dummen Deutschen seien sehr verletzend gewesen, er drückt das aber mit sehr viel feineren Worten aus. Sogar angespuckt worden sei er einmal und als Schwuchtel beschimpft worden.

Als er seinen Bruder in New York besuchte, der dort als Taxifahrer arbeitet, sei er einmal gefragt worden: „Wie kommen Sie in Deutschland mit den Nazis zurecht?“

Auf Menschen mit Vorurteilen zugehen

So sollte sein Buch ursprünglich auch „Der Naziflüsterer“ heißen. Man kann es sich gut vorstellen bei seinen Erzählungen, wie er es schafft, auch in die dunkelsten Herzen Sonnenschein zu schicken, bei einem Patienten zum Beispiel, der ihm sehr rassistisch begegnete und der am Ende zu ihm kam und sagte: Du bist ein guter Junge. Arunagirinathans Rezept: „Auf Menschen mit Vorurteilen zuzugehen, hilft am ehesten. Egal, ob jemand Nazi, Krimineller, oder sonst etwas ist, er ist mein Patient. Und man kann auch nicht alle Ausländer in einen Topf werfen.“ Aus seinen Worten lässt sich herausfühlen, dass er einen sehr feinen, genauen und dennoch herzlichen Blick auf die Welt hat.

Das Leben im Herkunftsland ist ihm fremd geworden

Nach 16 Jahren hat er seine Eltern in London wiedergetroffen. Dort lebt eine Schwester von ihm, der Bruder aus New York und die zweite Schwester aus Toronto kamen ebenfalls dazu. International ist die Familie heute und man möchte so manchem Deutschen ebenfalls internationale Erfahrungen wünschen. Dass dazu ein bißchen Heimatverlorenheit gehört, diese Erfahrung hat Arunagirinathan auch machen müssen. Denn die Lebensweise seiner Herkunftskultur ist ihm fremd geworden. Es ist heute noch üblich und auch anerkannt, dass die Eltern die Braut aussuchen, für ihn ist das völlig fremd. Das Anerkennen des starren indischen Kastensystems sei für ihn auch nicht akzeptabel. „Als Erwachsener fühlte ich mich meinen Eltern gegenüber als Fremder“, diese traurige Erfahrung gehört zu seinem Leben als Schattenseite. Trotzdem hat er sich beim Tod des Vaters auf alle traditionellen Riten eingelassen, so schwer ihm das auch fiel. Bei der Rückkehr nach Hamburg, beim Landeanflug aber, habe er zum ersten Mal ganz intensiv empfunden: „Ich komme jetzt gleich nach Hause“. Hier in Deutschland.

Seine Bücher „Der fremde Deutsche. Leben zwischen den Kulturen“ sowie: „Allein auf der Flucht: Wie ein tamilischer Junge nach Deutschland kam“ sind im Konkret Verlag erschienen und im Buchhandel erhältlich.

 
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