
Als Paul Jahr vor 65 Jahren dem AWO-Ortsverband beitrat war er Straßenkassierer. Jedem Monat ging er zu den Mitgliedern, um die zehn Pfennige Mitgliedsbeitrag zu kassieren. Dafür musste er oft dreimal laufen, erzählt Vorsitzender Helmut Endres und schlussfolgert: „Da sieht man mal, was das damals für ein Haufen Geld war.“
Der AWO-Ortsverein feierte sein 90-jähriges Bestehen und blickte in die Geschichte zurück. Bildreich und informativ hatten Werner Brüggemann und Inge Schuhmann diesen Rückblick für die Gäste zusammengestellt. Schon fünf Jahre nach der Gründung des „Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt in der SPD“ durch Marie Juchacz im Jahr 1919 in Berlin entschlossen sich auch acht Schonunger, eine Arbeiterwohlfahrt (AWO) zu gründen. Leo Schmitt, Georg Freund, Hans Scherer, Georg Ragati, Georg Wetz, Wilhelm Bubeck, Franz Brünner und Kaspar Güthlein begannen damals, nach dem Ersten Weltkrieg, mit der Betreuung von Heimkehrern, Heimatvertriebenen und Kriegswitwen.
Heute hat der Ortsverein 100 Mitglieder und die Aufgaben haben sich geändert, in der Gemeinde kümmern sich die zahlreichen Ehrenamtlichen vor allem um die Senioren. Aber man blickt auch über den Tellerrand hinaus. Getreu den Zielen der AWO wird die „Entwicklungshilfe Mali“ unterstützt, die Hilfe zur Selbsthilfe in Afrika leistet, und auch politisch wird die AWO nicht müde, sich für eine sozialere und gerechtere Welt einzusetzen. So fordert der Ortsverein in seiner Festschrift eine Aufwertung sozialer Berufe, prangert die Kinder- und Altenarmut an und warnt vor einem Auseinanderdriften der Gesellschaft.
Landrat Florian Töpper würdigte das Engagement der Mitglieder vor Ort. Auch er setze sich für einen „Landkreis aller Generationen“ ein. Ein sozialer Landkreis aber brauche das Ehrenamt, betonte er und forderte vor allem die jungen Leute auf, sich einzubringen.
Die Festrede des Landesvorsitzenden der AWO in Bayern, Thomas Beyer, fiel dem Bahnstreik zum Opfer, er konnte nicht anreisen. „Ein Glück, dass wir genug Persönlichkeiten haben, die einspringen können“, freute sich Töpper und übergab das Wort an Landtagsabgeordnete Kathi Petersen. Sie ging auf die Geschichte und die Werte der AWO ein. Wie die Gewerkschaften und die SPD sei diese aus der Arbeiterbewegung heraus entstanden und heute einer der sechs größten Wohlfahrtsverbände Deutschlands. Die Aufgabenfelder des Verbandes hätten sich im Lauf der Jahre zwar geändert, nicht aber die Werte: Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.
In der Zeit des Nationalsozialismus war die AWO verboten. Bereits 1946 wurde sie als ein parteipolitisch und konfessionell unabhängiger Wohlfahrtsverband wiederbelebt. Es sei ein hoher Anspruch den die AWO an sich und ihre Arbeit stelle, meinte Petersen und ging auf einige der aktuellen politischen Forderungen des Verbandes ein, wie beispielsweise eine Reichensteuer oder einen einheitlichen Tarifvertrag für soziale Berufe. Dem Ortverein bescheinigte sie politischen Mut. Er hatte zu einer Demo gegen Rassismus aufgerufen. Bis heute sei der Umgang mit Flüchtlingen oft noch von Herablassung und unterschwelligem Rassismus geprägt, bedauerte Petersen.
Keiner der Redner des Ehrennachmittags vergaß den verstorbenen Franz Endres zu erwähnen. 50 Jahre lang, von 1960 bis 2010, stand er dem Ortverein vor und hat ihn geprägt. „Ein Sozialverband braucht Menschen, die Gutes tun, aber auch solche, die an der Spitze stehen und Vorbild sind“, lobte Kreisvorsitzende Gaby Sander. Auch seine Mitstreiterin Katinka Spörlein sei ein Vorbild. Sie rief die dreiwöchige Seniorenerholung der AWO an der Jägerwiese ins Leben. Beide wurden für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
„So eine Persönlichkeit wie Franz Endres gibt's kein zweites Mal“, davon ist Bürgermeister Stefan Rottmann überzeugt. Unermüdlich sei er im Einsatz gewesen und hätte auch ihn einst in die AWO gebracht.
Bevor die Bigband der Realschule aufspielte, wurden langjährige Mitglieder geehrt. Für 25 Jahre Elfriede Bauer, Anny Bollog, Helga Edenhofer, Agnes Hauer, Cilli Hubel, Ottmar Klüpfel, Elfriede Löhmer, Karl Schmitt, Karl Weinig und Roswita Wolz, für 40 Jahre Günther Bauer, Herbert Brüggemann, Werner Brüggemann, Klaus Hochrein und Anna Michelfeit, für 60 Jahre Bernhard Bubeck und Richard Scheller sowie für 65 Jahre Paul Jahr.