Strom, Wasser und eine umfassende ärztliche Versorgung sind für uns eine Selbstverständlichkeit, im madegassischen Tsihombe allerdings sieht die Welt ganz anders aus, wie Dr. Guido Oster, Zahnarzt in Euerbach, kürzlich erleben konnte. Im kleinen Kreis erzählte der Grafenrheinfelder jetzt von seinen Erfahrungen.
Schon die Anreise zum südöstlichsten Zipfel von Madagaskar ist abenteuerlich. Die karge Region gehört zu den ärmsten der Welt, die Kindersterblichkeit ist hoch, der Bedarf an ärztlicher Versorgung immens groß. Viele Menschen dort hätten noch nie einen Zahnarzt, geschweige denn eine Zahnbürste gesehen, berichtet Oster kopfschüttelnd. Im Rahmen von „Planet Action“ war er mit fünf frisch examinierten Ärzten aus Mainz und Aachen dort im zahnärztlichen Nothilfeeinsatz.
Zu dem Einsatz kam Oster, der auch Vorsitzender der unterfränkischen Zahnärztekammer ist, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: Die Uniklinik Würzburg bat im Oktober 2016 um Unterstützung. „Planet Action“ sucht immer wieder Studenten höherer Semester, die mit erfahrenen Zahnärzten Hilfseinsätze leisten. Der Verein ist gemeinnützig und muss vieles selbst finanzieren. Die Studenten erhalten einen Zuschuss vom DAAD, die Zahnärzte nicht, alle investieren dazu wertvolle Freizeit.
Umfangreiche Vorbereitungen
Für Guido Oster war schnell klar: Da mache ich mit. Er stürzt sich in umfangreiche Vorbereitungen, lässt sich impfen, klappert Unternehmen und Apotheken für Spenden ab, trifft sich mit den Studenten und einem Grafenrheinfelder, der zeitweilig auf Madagaskar lebt und wertvolle Tipps gibt. Am Aschermittwoch ging es dann los: mit übergewichtigen Koffern voller zahnärztlichem Equipment und einem höchst gespannten Gefühl im Gepäck.
Nach einigen Zwischenstopps landet der Zahnarzt mit seinen fünf Studenten in Tsihombe, für das zahnärztliche Team ein Trip zurück ins Mittelalter. Im Kloster der Klarissen mit einer Schule für 800 Schüler wird das Team untergebracht und richtet dort ein provisorisches Behandlungszimmer ein, die Patienten werden von der Ordensschwester Emma koordiniert.„Der Standard ist nicht mal annähernd westlich“, erzählt Oster. Es gibt kaum fließendes Wasser und Strom oft nur übers Notaggregat. Sterilisiert wird im Kochtopf, die Temperaturen sind mörderisch, Internet und Handyempfang gibt es auch nicht. Das „Wartezimmer“ ist im Freien, und oftmals werden die etwa 800 Patienten nebeneinander auf drei Tischen behandelt. Als wirklich unangenehm bezeichnet der Zahnarzt die Fliegenhorden, die von den Eimern mit blutigen Spukresten angezogen werden.
16 Zähne auf einmal gezogen
„Extrahieren“ lautet die Behandlungsdevise. Gut 900 Zähne zieht das Team in den knapp zwei Wochen, bis die mitgebrachten Anästhetika „verballert“ sind. Aus dem Mund einer Frau Mitte 40 zieht Oster 16 Zähne auf einmal. Sie hatte mit geschwollen Backen einen weiten Weg zu Fuß zurückgelegt. Und da sie zum Stamm der Androy gehört, darf sie bei Schmerzen nicht schreien, mit den Abszessen im Mund für den Zahnarzt schlicht unbegreiflich.
Die Kommunikation ist non verbal, Gesten und Mimik zeigen den Ärzten, wo es weh tut. Die Madegassen nehmen das zahnärztliche Angebot als selbstverständlich an. Doch längst nicht alle Notleidenden können die Zahnärzte versorgen. Belohnt werden die Deutschen 100-fach mit dem Lächeln der Kinder, das tut Osters Seele „mehr als gut“. Ein großes Lob geht an die sieben Nonnen der Einrichtung, die sich mit Herz und Engagement um alles kümmerten und beim gemeinsamen Basketball-Spiel die barfüßig spielenden Zahnärzte gehörig abzogen.
Viele Erlebnisse prägen den ehrenamtlichen Einsatz am Rande der Dornenwüste, so heißt die karge Region übersetzt, der wohl bei allen Beteiligten noch lange nachhallen wird. Nach einer Neuauflage gefragt zögert der Zahnarzt lange. Momentan kann er sich das weniger vorstellen. Er ist froh, wieder daheim zu sein, aber „auch mehr als froh“, sich diesen außergewöhnliche Erfahrungen gestellt zu haben.