Zwar ist das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld (KKG) seit 15 Monaten abgeschaltet, dennoch ist eine schwere Havarie nicht ausgeschlossen, solange sich noch spaltbares Material in der Anlage befindet. Deswegen werden – wie für alle deutschen AKW-Standorte – auch für das KKG die Katastrophenschutzpläne erneuert.
Das betrifft vor allem die Evakuierungsszenarien, wie der Leiter des Kreisordnungsamtes, Karl-Heinz Nusser, am Dienstag dem Umweltausschuss des Kreistags bei der Präsentation der Zwischenergebnisse sagte.
Lehren aus Fukushima
Die Neufassung des Katastrophenschutzplans geht auf eine Empfehlung der Strahlenschutzkommission zurück, die das Reaktorunglück von Fukushima aus dem Jahr 2011 ausgewertet hat. Die Schutzzonen, für die je nach Schwere eines Unglücks Hilfsmaßnahmen eingeleitet werden, sind deutlich vergrößert worden.
So ist künftig die Mittelzone, für die heute schon detaillierte Evakuierungspläne ausgearbeitet werden, doppelt so groß wie bisher. Reicht sie derzeit um Grafenrheinfeld bis Niederwerrn und Stammheim, liegen bald auch Oerlenbach, Unterpleichfeld und Theres innerhalb der Zone.
Logistische Herausforderung
Das bedeutet: Im Extremfall, für den der Katastrophenschutzplan ausgelegt ist, müssten aus der Kernzone (nur Landkreis) 24.000 Menschen und aus der Mittelzone weitere 88.000 Menschen binnen 24 Stunden weggebracht werden. Dazu kommen noch die Einwohner Schweinfurts und der Randlagen angrenzender Landkreise. Alles in allem dürften es etwa 200.000 Menschen sein. Eine logistische Herausforderung.
Allerdings gehen die Planer davon aus, dass sich drei Viertel der Menschen mit dem eigenen Pkw selbst in Sicherheit bringen und versuchen werden, bei Verwandten und Bekannten unterzukommen. Für die anderen koordiniert die Regierung von Unterfranken den Transport. Vorgesehen sind Sammelstellen, an denen sich die Menschen einfinden sollen.
Evakuierung zu Verteilstellen
Von dort werden sie hauptsächlich in Bussen und Zügen zu so genannten Verteilstellen gebracht, die 40 bis 100 Kilometer vom AKW entfernt liegen und daneben über eine Notfallstation verfügen sollen. Nach Registrierung und Versorgung reisen die Evakuierten weiter bis zu ihren Unterkünften – auch in benachbarte Bundesländer. Das Prinzip funktioniert in etwa wie die heute praktizierte Verteilung der Flüchtlinge.
Nusser erwartet, dass auch künftig für jede zu evakuierende Ortschaft Zielgebiete definiert werden, was noch nicht geschehen sei. Nach dem derzeitigen Plan werden die Einwohner aus Röthlein in Marktbreit unterkommen, die aus Grafenrheinfeld in Uffenheim. Jede kreisfreie Stadt und jeder Landkreis in Bayern muss mindestens 1400 Plätze bereithalten.
Problemfälle Kliniken und Altenheime
Um eine solche Rettung sicherzustellen, tragen die Verwaltungen wie das Schweinfurter Landratsamt derzeit eine ganze Menge an Informationen zusammen: die Transportkapazitäten von Omnibusunternehmen und Rettungsdiensten, die Festlegung der Evakuierungssektoren je nach Windrichtung, mögliche Transportrouten einschließlich Straßensperren für den Individualverkehr, die Erfassung aller schwierig zu evakuierenden Einrichtungen.
Denn gerade die Räumung von Krankenhäusern und Altenheimen gestaltet sich laut Nusser als besonders aufwändig. Dabei wolle man sich auf die Konzepte der Betreiber stützen, die bereits jetzt vorliegen.
Der Landkreis Schweinfurt ist aber nicht nur Evakuierungszone bei einem schweren Unglück in Grafenrheinfeld, sondern muss selbst Unterkünfte vorhalten, wenn die Bevölkerung an einem anderen bayerischen AKW-Standort gerettet werden muss. Die 1400 Plätze werden hauptsächlich durch die ehemalige Conn-Kaserne bei Geldersheim abgedeckt.
Jodtabletten im Landratsamt
Noch keine Änderung gibt es laut Nusser für die Bevorratung von Jodtabletten, die das Ablagern von radioaktivem Jod in der Schilddrüse verhindern sollen und beim Austritt atomarer Strahlung an Menschen bis 45 Jahren ausgegeben werden. In der Zone bis zehn Kilometer um das AKW liegen die Medikamente bei den Gemeinden bereit, für die restliche Region im 20-Kilometer-Radius lagern sie im Keller des Landratsamts.
Wie Nusser sagte, arbeiten derzeit Städte und Landkreise der zuständigen Regierung von Unterfranken zu. Wann der neue Plan in Kraft tritt, ist noch offen.