Nur noch schwer erkennbar und von der Witterung gebeutelt gibt das Wappen in der Mauer des alten Friedhofs, am Ortsausgang von Euerbach direkt an der Bundesstraße 303, Rätsel auf. Welcher Adelsfamilie des einstigen Ritterdorfes ist es zuzuordnen? Warum ist es in die Mauer eingelassen? Und wo ist der originale Stein, zumal sich das Wappen als Nachbildung entpuppte? Die Lösung ist in der Gruftkapelle zu finden, wissen der bisherige Bürgermeister Arthur Arnold und Johannes Krüger, ein historisch versierter Euerbacher.
In dem weißgetünchten, normalerweise verschlossenen Raum auf dem alten Friedhof hinter der Kirchenburg ziehen drei Wappen in den Wänden die Blicke auf sich. "Hier sind über 600 Jahre Dorfherrschaft versammelt", deutet Krüger auf die kürzlich neu angeordneten Sandsteine. Verewigt sind die Freiherren von Münster, von Bibra, von Steinau und die von Ingelheim. Nur das kurzzeitige Herrschafts-Intermezzo des Würzburger Fürstbischofs fehlt.
"Das hier ist das Original zu der Replik in der Friedhofsmauer", erklärt Arnold und zeigt auf das Wappen der Grafen von Ingelheim, genannt Echter von Mespelbrunn. "Der Sandstein lag hier am Boden, in der Ecke", erinnert er sich an den überraschenden Fund vor einiger Zeit. Ursprünglich zierte das Wappen das Obere Torhaus, das das Dorf nach Westen abschloss und 1715 vom damaligen Dorfherrn, dem Freiherrn von Ingelheim, neu gebaut worden war. 1878 wurde es abgebrochen, die Steine wurden für die Mauer des daneben liegenden Friedhofs verwendet, das Wappen in der Mauer eingebaut.
Laut Dorfchronik begann es allerdings zu verwittern, so dass es die Gemeinde 1981 herausnehmen und renovieren ließ. Offenbar wurde danach nur eine Nachbildung wieder eingesetzt, das Original in der Kapelle gelagert – und vergessen.
"Unter den Freiherrn von Ingelheim musste Euerbach eine schwere Zeit überstehen, auch konfessionell", blickt Johannes Krüger auf den Anfang des 18. Jahrhunderts zurück. Entgegen dem Augsburger Religionsfrieden führte der Dorfherr das "Simultaneum" ein: Er befahl, dass in der evangelischen Dorfkirche auch katholischer Gottesdienst gehalten werden musste, der bislang in der Schlosskapelle stattfand. Dabei war den Euerbachern eigens die evangelische Religion garantiert worden. Die Einwohner klagten vor dem Reichskammergericht gegen ihren Dorfherren – und bekamen Recht.
Ungewöhnlich: gemeinsames Wappen zweier Familien
Ungewöhnlich ist auch ein weiteres Wappen an der Wand, ein sogenanntes Allianzwappen: Ein gemeinsamer Stein mit den Wappen der Familien von Bibra – sie bewohnten das Obere Schloss – und der von Steinau – sie residierten im Unteren Schloss. "Sie übten bis 1604 gemeinsam die Dorfherrschaft aus", weiß Johannes Krüger, der Vorsitz wechselte jährlich. Dafür mussten sich die Adelsfamilien aber gut verstehen.
Gebaut – oder wieder aufgebaut – wurde die Gruftkapelle 1608 von den Herren von Steinau. Davor und auch später diente sie auch der Familie von Münster. "Früher wurden die Gräber eigentlich um die Kirche herum angelegt oder waren sogar in der Kirche", sagt Krüger mit Hinweis auf die Epitaphien in der evangelischen Kirche in der Kirchenburg. "Je näher am Altar, desto höherstehend die Persönlichkeit."
Die Euerbacher Gruftkapelle war eine der ersten in der ganzen Region, die außerhalb des Dorfes gebaut wurde, weil die Gräber dort angelegt wurden, "angeblich aus Gründen der Hygiene", so Krüger. "Im ganzen Landkreis Schweinfurt ist keine so alt".
Auffällig ist, dass die eigentliche Gruft der Adeligen, die Begräbnisstätte unter der Kapelle mit den sechs sichtbaren Gräbern im Boden, einen anderen Raumzuschnitt aufweist als die darüber liegende Kapelle. "Ob die Gruft später als 1608 angelegt wurde, ist noch nicht erforscht. Mysteriös ist es auf jeden Fall", so Krüger.
Die Nutzung der Gruftkapelle als Aussegnungshalle hatte mit der Vollbelegung des alten Friedhofs und der Neuausweisung des neuen Friedhofs samt neuer Leichenhalle in den 1960er Jahre ausgedient. Erst vor einigen Jahren richtete die Gemeinde den alten Friedhof für eine Wiederbelegung her.
Vor kurzem wurde daher vom Gemeindebauhof auch der Raum der Gruftkapelle wieder in einen würdigen Zustand versetzt, inklusive der Aufhängung der Wappen, die auf ihrem Boden gelagert waren. "Es ist wichtig, dass das Gebäude als Aussegnungshalle wieder eine Nutzung hat, dass es gebraucht wird", sagt Arnold.