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SCHWEINFURT
Essstörungen: Eine Kampagne klärt auf und eine Frau packt aus
Einblick in die Ausstellung „Klang meines Körpers“: An interaktiven Stationen mit Erfahrungsberichten von Betroffenen erfahren die Schüler mehr über das Thema Essstörungen.
Foto: Lena Müller | Einblick in die Ausstellung „Klang meines Körpers“: An interaktiven Stationen mit Erfahrungsberichten von Betroffenen erfahren die Schüler mehr über das Thema Essstörungen.
Lena Müller       -  Lena Müller
Lena Müller
 |  aktualisiert: 11.08.2020 11:23 Uhr

„Was ihr auf der Bühne seht, ist wahr“, erklärt Susanna Hasenbach den Schülern des Olympia Morata Gymnasiums, die von ihren Sitzen aus gespannt hoch zu ihr auf die Bühne schauen. Die Schauspielerin ist mit dem Stück „Food Diaries“ der Autorin Heidy de Blum an der Schule zu Gast, um die Schüler für das Thema Essstörungen zu sensibilisieren.

Themenwoche mit interaktiver Ausstellung und Theater

Bereits im Rahmen einer Themenwoche mit der Wanderausstellung „Klang meines Körpers“, organisiert und finanziert vom Landratsamt, haben die Gymnasiasten viel über diese komplexe Krankheit erfahren. Mit Susanna Hasenbach haben sie auch die Chance, mit einer Betroffenen zu diskutieren: Die 25-Jährige litt selbst lange an einer Essstörung.

Für das Stück „Food Diaries“ durchlebt sie vor den Augen der Jugendlichen fünf verschiedene Formen der Essstörung. Jede kleine Geschichte basiert dabei auf tatsächlichen Erfahrungen von Betroffenen. In ihrer Rolle kaut die Schauspielerin unter anderem genüsslich ein paar Stückchen Schokolade, bevor sie diese wieder in ein Taschentuch spuckt. „Wenn man abnimmt, wird man mit Komplimenten überhäuft“, lautet das Argument. Die besondere Essstörung, die sie hier auf der Bühne darstellt, nennt man „Kauen und Spucken“, erklärt die Schauspielerin.

Bei dieser Essstörung kosten Betroffene den Geschmack bestimmter Nahrungsmittel aus, nehmen aber kein Essen zu sich. Die Schauspielerin geht aber noch weiter. Für die Darstellung von Bulimie, auch Ess-Brech-Sucht genannt, steckt sie sich im Spiel den Finger in den Hals. „Ob ich weiß, dass das ungesund ist?“, fragt sie herausfordernd. „Klar, weiß ich das, aber ich kotze, bis ich die Magensäure schmecke.“

„Am Ende schütte ich alles in die Toilette“

Beim anschließenden „Frühstückslied“ geht es der Schauspielerin darum, den Schülern den inneren Kampf eines Betroffenen zu demonstrieren. Dabei versinkt sie in einem imaginären Buffet aus Croissants, Butter, Marmelade und Erdnussbutter, schlägt sich dabei selbst. Doch am Ende „schütte ich alles in die Toilette und drücke auf die Spülung.“ Dieser ständige Kampf im Kopf „zwischen Engelchen und Teufelchen“ begleite grundsätzlich alle Formen einer Essstörung, sagt die Schauspielerin. Anschließend gibt sie Einblick in ihre eigene Krankheitsgeschichte.

Die Schüler wollen von ihr wissen, wann sie erkrankt ist. „Bei mir fing das relativ spät an, kurz nach dem Abitur“, erklärt die 25-Jährige offen. Damals sei sie fürs Studium ins Ausland gegangen, habe sich dort aber einsam und alleine gefühlt. Essen habe für sie dann eine neue Bedeutung bekommen: „Immer wenn ich traurig war, habe ich gegessen.“ Sie nahm zu. Zurück in Deutschland begann sie ein Schauspielstudium, „da habe ich mich dick gefühlt“. Der Weg in die Krankheit war schleichend. Susanna Hasenbach ließ immer mehr Lebensmittel weg. Als dann noch private Probleme dazukamen, hat sie kaum noch gegessen. Erst eine Therapie in einer Wohngruppe und die Arbeit mit Psychotherapeuten haben ihr geholfen.

Susanna Hasenbach: „Es gibt Momente, da schreit die Stimme mal wieder“

„Ich konnte das Stück erst spielen, als ich gefestigter war“, sagt die Schauspielerin. Generell habe sie keine Angst davor, Zuschauern intime Einblicke in ihr Leben zu geben. Ihre Schauspiel-Arbeit sieht sie als Bestärkung und Bekräftigung, für ihre Heilung das Richtige zu tun. Und auch die Schüler sollen dadurch wissen, dass sie gut und okay sind, so wie sie ausschauen.

Doch trotz ihrer Aufklärungsarbeit ist die 25-Jährige selbst nicht ganz geheilt, denn es gebe noch Momente „da schreit die Stimme mal wieder“, vor allem, wenn sie unter Stress stehe. Das ist für die Schauspielerin das Zeichen, um mal wieder eine Pause zu machen.

Die Message: Seid mit Euch selbst zufrieden

Deshalb lautet ihre grundlegende Botschaft an die Schüler „im eigenen Körper zufrieden zu sein und in sich selbst hineinzuhören.“ Da sind die Schülerinnen Marie und Sinem schon auf einem guten Weg. Die beiden besuchen gerade die Ausstellung „Klang meines Körpers“ im Obergeschoss des Gymnasiums. Hier dreht sich alles um die Krankheitsgeschichten betroffener Mädchen und Jungs, die die Musiktherapeutin Stephanie Lahusen vor zehn Jahren konzipiert hat.

Ausstellung und Theaterstück haben den beiden gut gefallen: „Dadurch konnte man sehen, wie Menschen mit einer Essstörung darunter leiden“, sagt Sinem. Der 13-Jährigen ist wichtig, „dass ich mich in mir wohl fühle“. Und für Marie steht fest: „Wenn jemandem mein Aussehen nicht passt, dann soll er eben wegschauen.“ Dünne Mädchen wie bei Germany's Next Topmodel sind für die Schülerinnen deshalb kein Vorbild: „Ich finde das eher lächerlich, als interessant“, stellt Marie klar.

Dass sie ein Problem haben, wird vielen erst jetzt bewusst

Solche Aussagen freuen auch Solveig Steiche vom Gesundheitsamt Schweinfurt, die mit ihrem Team die Ausstellung betreut. „Uns ist wichtig, die Innenansicht der Betroffenen darzustellen“, erklärt sie. Die Schüler sind dabei interaktiv eingebunden und geben im Spiel einander positives Feedback.

Dass Aufklärungsarbeit beim Thema Essstörungen immer noch nötig ist zeigen die Erfahrungen von Solveig Steiche: „Der Redebedarf kommt im Nachgang“, denn erst dann werde vielen Schülern bewusst, dass auch sie Probleme mit ihrem Essverhalten hätten.

Einblick in die Ausstellung „Klang meines Körpers“: An interaktiven Stationen mit Erfahrungsberichten von Betroffenen erfahren die Schüler mehr über das Thema Essstörungen.
Foto: Lena Müller | Einblick in die Ausstellung „Klang meines Körpers“: An interaktiven Stationen mit Erfahrungsberichten von Betroffenen erfahren die Schüler mehr über das Thema Essstörungen.
Die Schauspielerin sensibilisierte mit dem Theaterstück „Food Diaries“ Schüler für das Thema Essstörung.
Foto: Lena Müller | Die Schauspielerin sensibilisierte mit dem Theaterstück „Food Diaries“ Schüler für das Thema Essstörung.
 
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