Reiner Schuler macht seinen Job gern. Er ist jetzt im fünften Jahr Mitarbeiter beim Menüservice des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK). "Man kann Menschen etwas Gutes tun. Mir macht das Spaß", sagt er. Eigentlich ist er ja Rentner. Aber wie das so oft ist, bei Leuten, die den Ruf haben, engagiert und sozial zu sein. Sie hören, sobald sie in Rente sind, den Satz: "Du hast doch jetzt Zeit. Willst Du nicht mitmachen?" So war das auch bei Reiner Schuler. Erst hat er Kinder zu Freizeiten gefahren. Dann hat er Essen ausgefahren.
Für viele Menschen der einzige Kontakt
Corona hat für ihn und für die Menschen, denen er das Mittagessen bringt, einige Veränderungen mit sich gebracht. Mehr Menschen greifen seit dem Beginn der Pandemie auf den Service zurück. Corona wirkt sich auch auf das Soziale, auf das Miteinander aus, erzählt Reiner Schuler. Für viele der Leute ist er der einzige Kontakt. Vielleicht kommt noch jemand von der Sozialstation dazu. Viele Leute haben niemanden mehr. Oder die Angehörigen leben ganz woanders.
Ein paar nette Worte gehen auch trotz der Abstands-und Hygieneregeln noch. Das ist Reiner Schuler wichtig. Aber Nähe, so wie vor Corona, geht nicht mehr. In die Wohnung rein könnte Schuler nur noch in extremen Ausnahmefällen, wenn jemand nicht in der Lage wäre, das Essen entgegenzunehmen.
Schuler fehlt die Nähe, die Normalität. Den Kunden, die er alle gut kennt, auch. Schuler weiß, wie es den Leuten geht. "Man kriegt schon so einige Schicksale mit." Einsamkeit nach dem Tod des Partners, Krebs in der Familie, eine bösartige Erkrankung, die jemanden mit weit über 90 trifft. Man merkt gleich, wie's jemandem geht, sagt er. Geht's seinem Gegenüber gut, freut er sich. Geht's dem Gegenüber schlecht, versucht Schuler, positive Stimmung zu verbreiten. Auf Menschen einzugehen, ist ihm wichtig. Deswegen ist er auch vielseitig engagiert. In der Kirche, als Helfer bei Blutspende-Terminen daheim in Poppenhausen, zum Beispiel.
Mit einer Frau spricht er immer über das Wetter. "Wird's wieder kälter?", fragt sie. Schulers Antwort, dass der Frühling eine Pause macht, gefällt ihr nicht. Aber sie scheint sich zu freuen, dass sie mit jemandem reden kann. Und sie gibt ihm Recht: "Wir haben ja noch Winter." Schuler erzählt auch gerne, was er mit seinem Enkel alles erlebt hat. Er freut sich, wenn ihn seine Kunden nach ein paar Tagen frei fragen, was er gemacht hat, wie es ihm geht. Bevor er einen freien Tag hat, gibt er Bescheid, wer dann das Essen bringt. "Morgen kommt die Marion." Es soll ja alles ein bisschen persönlich sein. Deswegen stellen sich Fahrer und Fahrerinnen auch mit Vornamen vor.
Der Job als Menü-Ausfahrer fordert übrigens auch körperlich. "Ich habe die sportliche Tour", sagt Schuler. Viele Kunden leben in oberen Stockwerken. Einen Aufzug gibt es nur in einem Haus. Schuler kommt da schon ins Schwitzen. Außerdem muss er zur Zeit mit FFP2-Maske unterwegs sein. Hygiene-Handschuhe machen sein Leben jetzt leichter. Am Anfang desinfizierte er sich ständig die Hände. "Ich hatte Hände wie ein Maurer." Raus aus dem Auto, Box holen, zum Kunden bringen, wieder zurück. Das geht schnell, kann aber schwierig werden, wenn alles zugeparkt ist. Oder wenn, wie vor kurzem, viel Schnee liegt.
Im Landkreis fällt das Treppensteigen weg
Unangenehm wird's, wenn es regnet. Die Dienstjacke hat keine Kapuze. "Da läuft mir alles den Kragen runter." Manchmal kommt er auch ganz schön ins Schwitzen bei dem ganzen Treppensteigen und dem Wechsel von Auto-Klima und draußen. Um 9.45 fährt er mit seinem Transporter vom BRK in der Gorch-Fock-Straße in Schweinfurt los, so gegen 10.30 macht er sich seine Wasserflasche auf. Da ist fast Halbzeit. Von der Stadt geht es in Richtung Landkreis, nach Bergrheinfeld, Hergolshausen, Werneck, Geldersheim. "Da wird es entspannt. Ich muss keine Treppenhäuser mehr steigen."
Reiner Schuler denkt dabei an die alten Leute, die kaum laufen können, auf einen Rollator angewiesen sind. Die kaum aus ihren Wohnungen rauskommen. Und sich trotzdem irgendwie um ihren Alltag kümmern müssen. "Was die Leute leisten, ist enorm", sagt er. Manchmal kann er es nicht verstehen, über was sich manche aufregen, die eigentlich keine Probleme haben.
Schuler kennt jetzt Straßen und Ecken, von denen er nicht gewusst hat, dass es sie gibt. Er hat auch einige Geschicklichkeit als Fahrer entwickelt. Der Transporter ist ziemlich lang, der Frachtraum ist mit einer durchgehenden Wand von der Fahrerkabine abgetrennt. Rückwärtskamera gibt's keine. Das erfordert schon Fingerspitzengefühl.
28 Essen fährt Schuler heute aus. Die Route hat er im Kopf, Hausnummern muss er nicht nachschauen. "Ich muss nur schauen, wer heute nichts will", sagt er. Den Menüservice kann man an 365 Tagen im Jahr buchen. Oder auch nur ab und zu. Bestellt ein Stammkunde zum Beispiel sein Essen am Sonntag ab, dann hat das meistens einen schönen Grund: Eine Einladung. Das freut Schuler.
Die Fahrer nehmen die Bestellungen für die nächste Woche entgegen, sagen bei der Zentrale in Schweinfurt Bescheid, wenn jemand an einem anderen Tag essen haben möchte.
Was sind die Renner auf der Karte? Das weiß Schuler natürlich. "Die Leute schwärmen für Rinderrouladen, für Rindfleisch mit Meerrettich. Und für Kaiserschmarrn."
Die Tour endet, wo sie begonnen hat. Im Bergl. Für Schuler ist die Arbeit noch nicht beendet, wenn er das Auto auf den BRK-Hof in der Gorch-Fock-Straße stellt. Die Boxen muss er spülen. Außerdem regelmäßig das Auto checken. Und es regelmäßig in die Waschanlage fahren. Mit einem dreckigen Auto vorfahren, das geht überhaupt nicht, sagt er.
62 333 Essen hat das BRK 2020 ausgefahren. Der Menüservice wurde aufgrund des höheren Bedarfs durch Corona auf den kompletten Landkreis ausgedehnt.