Es geht um Vergänglichkeit, in einem bekannten Song von Eric Clapton, "Tears in Heaven", aus dem Jahr 1991: "Wenn ich dir jetzt da oben im Himmel begegnen würde, würdest du mich dann wiedererkennen? Wüsstest du überhaupt noch, wie ich heiße?" Geprägt wurde die Ballade vom Unfalltod seines kleinen Sohns, der kurz zuvor aus dem Fenster eines New Yorker Hochhauses gestürzt war.
In der Aussegnungshalle des Hauptfriedhofs gab es nun, erstmals in Schweinfurt, eine Trauerfeier für Menschen ohne Angehörige, die mit der Melodie von "Tears in Heaven" begann. Zur stilvollen Zeremonie für 15 Menschen, von denen nur noch die Namen und die Lebensdaten bekannt sind, war unter anderem mit einer Sterbeanzeige im "Schweinfurter Tagblatt" eingeladen worden.
Überraschend viele Menschen sind gekommen, manche mit Blumen. Kerzen flackern, Namensschilder und Buketts schaffen einen würdigen Rahmen. Nur einige wenige schwarze Urnen stehen vor dem bunten Glasfenster, die meisten wurden schon auf die Fläche für anonyme Bestattungen gebracht. "Ordnungsrechtliche Bestattung" lautet die offizielle Bezeichnung. Nun gibt es, mit Unterstützung des Ordnungsamts, eine kleine Gedenkfeier, bei der nicht das Offizielle, sondern menschliche Würde und Herzenswärme im Vordergrund stehen sollen.
Anonym bedeutet, ohne Namen zu sein, trostlos, aussichtslos, hilflos und würdelos
"Gut, erfreulich, ja, segensreich ist es, dass Sie heute die Regel gebrochen haben", bedankt sich Joachim Werb bei der Trauergemeinde. Der Diakon der katholischen Stadtkirche hat den Anstoß für diese besondere Aussegnung gegeben, die elementare Fragen an die Lebenden stellt. "Anonym", das bedeute "a nomos", ohne Namen zu sein, so Werb, damit trostlos, aussichtslos, hilflos und würdelos.
"Trauern heißt Erinnern" – aber was ist, wenn da nur noch ganz Wenige sind, die sich an den Verstorbenen erinnern? Einige Wegbegleiter sind dabei, unter rund 70 Gästen auch jüngere Besucherinnen und Besucher. Pfarrer Mulugeta Giragn Aga vertritt die Evangelische Kirche. Der Geistliche stammt aus Äthiopien. "Sie wussten, da wird wieder ein Tor sein, am Ende des Lebens", sagt Pfarrer Mulugeta, sei es nun in den Frieden, in die Heimat, in die ewige Ruhe. Es bleibe, so der Seelsorger, die Hoffnung, dass am Ende mehr ist als nur Nichts und Leere.
Diakon Werb begleitet als Keyboarder die Sängerin Sabine Boujong und den Gitarristen Johannes Hofmann. "Somewhere over the rainbow" ist zu hören, ebenso "Amoi seg ma uns wieder" von Andreas Gabalier. Es gibt Gebete und eine Segnung. Die Namen und das Sterbealter werden im Wechsel verlesen: Dieter Stühler, 56 Jahre. Kilian Karl Günther, 77 Jahre. Siegfried Gerhard Hoffmann, 75 Jahre. Elli Marie Mittenzwei, 88 Jahre. Rudolf Andreas Siegel, 83 Jahre. Klaus Gollhardt, 72 Jahre. Ute Sieglinde Heerdegen, 64 Jahre. Gabriele Hildegard Schweizer, 73 Jahre. Roland Reinhold Stix, 65 Jahre. Irma Katharina Albert, 95 Jahre. Olha Patrashko, 40 Jahre. Dieter Schlereth, 74 Jahre. Ludwig Meister, 61 Jahre. Antonio Lobina, 83 Jahre. Otto Schmidpeter, 55 Jahre.
Stille Beisetzungen nehmen in Schweinfurt tendenziell zu
In Schweinfurt nehmen die stillen Beisetzungen tendenziell zu, insgesamt 30 waren es im letzten Jahr. Voraussetzung für eine Urnengrablege durch die Stadt, ohne Hinzuziehen eines Bestattungshauses, ist es, dass keine Angehörigen gefunden werden können. Die wären prinzipiell kostenpflichtig. Über die genauen Kosten hält man sich im Rathaus bedeckt, die würden je nach Einzelfall variieren. Rein anonyme Bestattungen waren bei den 30 Fällen bereits inbegriffen. Diese sind auch dann möglich, wenn die verstorbene Person es per Testament so verfügt.
Trauerfeiern für Unbekannte soll es in Zukunft öfters geben. "Ich hoffe, damit, im Verbund, eine Tradition begründet zu haben", sagt Diakon Werb, dessen Frau über eine Dokumentation auf das Thema gekommen war. Vorbild ist Halle, wo solche Gedenkfeiern schon seit längerem zur Bestattungskultur zählen. Möglich wurde die Feierstunde mit gemeinsamer Sterbeanzeige dank Unterstützung der "Trauerhilfe Kalli Müller", der "Main Post" und beiden Kirchen.
Um das Materielle soll es aber gerade nicht gehen: "Hinter jedem Namen steht ein Mensch", betont der Diakon. Über eine zukünftige Unterstützung für das Projekt würde er sich nichtsdestotrotz freuen, eine Spende ist auf das Konto der LIGA Würzburg möglich, IBAN: DE38 7509 0300 0003 0368 98, Stichwort "Anonyme Trauerfeier".
Über das Schicksal der 15 Verstorbenen erhaben fühlen darf sich ohnehin niemand: Im Schnitt wird jeder Erdenbürger nach drei Generationen vergessen, zumindest auf dieser Welt. Den Wenigsten ist das "Weiterleben" eines Mozart vergönnt, der 1791, den Sitten seiner Zeit entsprechend, anonym bei Wien beigesetzt worden ist – nicht im Armengrab, wie die Legende behauptet. Zuletzt gehen die Besucher nach vorne, legen Blumen nieder, halten inne oder machen Handyfotos, als kleine Geste gegen die Vergänglichkeit.