Erzählen kann Jens Lüning. Was er sagt, ist spannend, witzig, mitreißend. Er reiht nicht einfach Fakten und Zahlen aneinander, erschlägt seine Zuhörer nicht mit wissenschaftlichen Details. Stattdessen zeichnet er ein Bild vom Leben der Menschen in der Zeit der Bandkeramik vor 7500 Jahren: Was sie gegessen haben, wie ihre Kleindung aussah, wie sie gewohnt haben. Und ab und an trägt er die Würdenzeichen eines Clan-Chefs.
Lüning, emeritierter Professor für Vor- und Frühgeschichte an der Uni Frankfurt, hat bei seinem Vortrag im Schwanfelder Bürgerzentrum ein Heimspiel: Von 1979 bis 1985 und 2003 hat er hier in der Nähe der Schule eine Siedlung der Bandkeramiker ausgegraben. Das führte dazu, dass sich Schwanfeld das älteste Dorf Deutschlands nennen kann. Lüning ist auch wesentlich daran beteiligt, dass die Fröhrscheune zu einem Museum ausgebaut wird. Die Stars darin: Die Bandkeramiker – und die Besucher. Das Konzept setzt auf mitmachen, anfassen, erleben.
Schwanfeld war aus archäologischer Sicht ein Glücksfall, sagt Lüning. Die Wissenschaftler hatten Zeit, mussten nicht gegen ein Bauprojekt angraben. „Heute könnte ich die Grabung nicht mehr machen“, ist er sich sicher. Unter anderem, weil die Denkmalämter zusammengeschrumpft wurden, es von dort kaum mehr Kontakt zu den Universitäten gibt, wenn irgendwo eine archäologisch interessante Stelle im Boden auftaucht.
Grabungsreserven für die Zukunft
Vier Reihen Häuser haben in der Bandkeramik-Zeit in Schwanfeld gestanden. Eine Reihe ist noch nicht ausgegraben, Lüning verrät auch die genaue Lage nicht. „Das sind Grabungsreserven für die Zukunft.“ Zwei Gräber mit Skeletten haben die Archäologen gefunden. Einen Mann, er ist im Archäologischen Museum in Bad Königshofen ausgestellt. Und einen Jungen, der im Schwanfelder Rathaus zu sehen ist. Das Skelett des Mannes, des Schwanfelder Jägers, wie er auch genannt wird, im neuen Museum auszustellen, wäre schön, meinen Lüning und Bürgermeister Richard Köth. Funde wie dieser gehören der Staatlichen Prähistorischen Sammlung. Weil es damals keinen geeigneten Ausstellungsort in Schwanfeld gab, kam das Skelett nach Königshofen, sagt Lüning, hofft auf Diplomatie, um den Clan-Chef wieder in die Heimat zu holen.
Lüning weiß viel über den Mann, der um 5484 vor Christus gestorben ist. Er ist 25 Jahre alt geworden, stammt aus dem Erzgebirge, kam mit 15 nach Schwanfeld. „Die fantastische Strontium-Methode“ bringt solche Ergebnisse. Laienhaft formuliert: Der Strontium-Gehalt von Wasser und Nahrungsmitteln ist regional verschieden. Daraus ergeben sich unterschiedliche Einlagerungen in Knochen und Zähnen. Und nachdem die Schneidezähne eher entstehen als die Weisheitszähne, lässt sich so erkennen, dass jemand seine Kindheit woanders verbracht hat als sein Erwachsenen-Leben.
Der Jäger, Lüning spricht vom Clan-Chef und Siedlungsgründer, und das Kind, dessen Skelett 1985 gefunden wurde, gehören nicht zusammen. Das Kind lebte knapp 200 Jahre später. Lüning glaubt, dass die Menschen damals in einer Phase großer Not das Kind an dieser besonderen Stelle bestatteten, um die Nähe zum Siedlungsgründer zu suchen. So Mächte und Schicksal beeinflussen wollten.
Theaterfundus
Wie der Clan-Chef hieß, weiß Lüning nicht. Aber, was er für Kleidung trug. Aus Fundstücken wie kleinen rituellen Figuren, so genannten Idolen, haben er und seine Studenten rekonstruiert, wie die Textilien ausgesehen haben müssen. Und die Sachen nachgeschneidert. Hüte (trugen nur Männer), Hosen und Oberteile mit grafischen Mustern, Taschen aus Birkenrinde, Haarschmuck aus kleinen Muscheln. „Wir haben einen richtigen Theaterfundus“, sagt der Wissenschaftler. „Diese Kleidung wollen wir in die Ausstellung bringen.“
Ellenbogen in die Seite gestemmt, kerzengerade Haltung auf einem Hocker: In dieser Haltung wurden etliche Figuren gefunden. „So können sich die Museumsbesucher dann auch hinsetzen“, sagt Lüning. „Aber nicht lümmeln!“ Das tun auch die Figuren nicht, stellen sie doch Würdenträger dar – Männer und Frauen. Wie die normalen Menschen damals gekleidet waren, bleibt ein Geheimnis. „Stellen Sie sich vor, in der Zukunft findet jemand ein Foto eines Pfarrers in Priesterkleidung“, sagt Lüning. „Daraus könnte auch niemand schließen, wie die Gottesdienstbesucher ausgesehen haben.“
Sozialgeschichte, die Entwicklung der Technik, auch das zeigt das neue museum, das 2010 eröffnet wurde. Lüning war wichtig, dass der besuch dort Spaß macht. „Es gibt nichts langweiligeres als eine Vitrine mit vor sich hinstaubenden Pfeilspitzen.“ Auch Scherben werden keine allzu große Rolle spielen. Stattdessen Rekonstruktionen, die zeigen, wie etwa ein Gefäß ausgesehen hat, bevor es über 7500 Jahre in der Erde gelegen hat. „Das waren schöne Sachen.“
Das Stichwort
Die Bandkeramik ist die älteste Bauernkultur Mitteleuropas. Vor 7500 Jahren begannen auch die Menschen im Gebiet des heutigen Deutschlands erstmals stabile Häuser zu bauen, Keramik zu produzieren, Getreide anzubauen und Tiere zu züchten. (Quelle: Verein Bandkeramisches Aktionsmuseum)