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SULZHEIM
Erinnerungen eines Franken an Olympia 1936
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 21.08.2016 03:25 Uhr

Um diesen Einsatz haben ihn sicher viele seiner Kameraden beneidet. Wilhelm Ahles war vor fast genau 80 Jahren am Finalabend der Boxwettkämpfe bei den Olympischen Sommerspielen in Berlin dabei. In der Deutschlandhalle traten am 15. Juli 1936 acht Gewichtsklassen an. Fünf Medaillen gab es an diesem Abend für die deutschen Boxer: zweimal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze. Und mittendrin in der aufgeheizten adrenalingeschwängerten Atmosphäre saß im Block 49 auf Sitz Nummer 134 der gerade mal 23 Jahre junge Sulzheimer.

Was für ein Abend! Ahles erlebte damals mit, als erstmals ein deutscher Boxer bei Olympia Gold holte: Willy Kaiser im Fliegengewicht. Kurz darauf boxten sich vier weitere Teamkollegen aufs Siegerpodest.

Wilhelm Ahles war kein gewöhnlicher boxbegeisterter Besucher, der sich aus seinem beschaulichen Heimatort Sulzheim bei Gerolzhofen (Lkr. Schweinfurt) in die Großstadt aufmachte, um dort olympische Luft zu schnuppern. Er war Soldat der Wehrmacht im Artillerieregiment 53 in Ansbach – und seit 22. Juni 1936 nicht einmal freiwillig, aber sicher gerne in Berlin.

„Er wurde abkommandiert – wie rund weitere 400 Soldaten aus ganz Deutschland“, erzählt sein Sohn Gerhard Ahles. In Berlin war er im Fahrdienst eingesetzt – wie schon einige Monate zuvor bei den Olympischen Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen. Er konnte nicht nur gut Auto fahren, er war sogar schon Fahrlehrer und steuerte auch Kettenfahrzeuge zielsicher durchs Gelände.

Begegnung mit Leni Riefenstahl

„In Garmisch hat er Kameraleute und – wenn es sein musste – auch Schnee nach oben befördert“, so Gerhard Ahles. In Berlin dagegen standen Fahrdienste mit dem Lastkraftwagen auf seinem Arbeitsprogramm. Darüber hinaus betreute der Obergefreite im olympischen Dorf einige der internationalen Teilnehmer. Dabei kam er hautnah mit einigen Sportprofis in Berührung, vor allem mit US-amerikanischen, und sogar mit einer energischen Frau, die wusste was sie wollte: der Schauspielerin, Fotografin und Filmregisseurin Leni Riefenstahl.

Stolz schwingt in der Stimme des Sohnes mit, wenn er von seinem Vater erzählt. Nur eines bedauert Gerhard Ahles, der sich seit Jahren mit der Frühgeschichte Sulzheims befasst und sich gerne mit der Vergangenheit beschäftigt. „Ich hätte ihn viel mehr fragen sollen, denn er hatte ja durchaus mehr erlebt als andere Väter.“ Manches erschließt sich aber anhand weiterer Erinnerungsstücke, die sich bis heute in Familienbesitz befinden.

So geben Schwarzweiß-Fotos einen Einblick in die aufregende Zeit in Berlin. Auch sie erzählen – wie die Eintrittskarte für die Boxwettkämpfe – kleine Geschichten. So steht Wilhelm Ahles auf einem der Fotos nur ein paar Meter von Leni Riefenstahl entfernt. Sie ist gerade im Gespräch mit mit einem hochgewachsenen Sportler. Für Wilhelm Ahles war das zeitlebens Jesse Owens. Mehr Ähnlichkeit hat der abgelichtete Sportler jedoch mit den Teamkollegen von Owens, den Sprintern Matthew „Mack“ Robinson (er holte in Berlin Silber); oder mit Archie F. Williams, der ebenfalls Gold in den Beinen hatte, nur nicht so häufig wie Jesse Owens.

Jedenfalls lauscht der Leichtathlet auf dem Foto den Anweisungen Riefenstahls. Wilhelm Ahles und andere Männer, teilweise in Uniform, verfolgen die Szene, die auf dem „Reichssportfeld“ aufgenommen worden sein dürfte. Links im Bild ist ein Teil des Kamerawagens erkennbar. Rechts liegt ein quadratischer glänzender Reflektor am Boden.

Womöglich hat Riefenstahl gerade eine Aufnahme vorbereitet. Sie dokumentierte ja im Auftrag der Nazis die Spiele der XI. Olympiade. Die Ästhetik ihrer Bilder in den beiden Teilfilmen „Fest der Völker“ und „Fest der Schönheit“ wurden als Meisterwerke gelobt und später als ideologisches Blendwerk kritisiert.

Sportler aus Peru

Auf einem anderen Foto umarmt Wilhelm Ahles einen Sportler aus Peru. Es könnte ein Mitglied der Fußballmannschaft sein. „Leider hat mein Vater die Bilder nicht beschriftet“, bedauert Gerhard Ahles, „aber er hat auch gerne Fußball gespielt.“

Die Peruaner sind 1936 nach dem Viertelfinale gegen Österreich vorzeitig abgereist. Grund war eine Entscheidung des FIFA-Schiedsgerichts, das Spiel vom 8. August unter Ausschluss der Zuschauer zu wiederholen. Dabei hatten die Peruaner mit vier zu zwei Toren gewonnen. Die Österreicher wollten dieses Ergebnis jedoch nicht akzeptieren – angeblich, weil peruanische Fans österreichische Spieler angegriffen hätten.

Die Peruaner vermuteten Rassismus als eigentlichen Grund der Fifa-Entscheidung, da sie schwarze Spieler im Team hatten. Das war ein Thema, das generell bei den Berliner Spielen präsent war – in einem Land, dessen Regierung ein knappes Jahr zuvor, Mitte September 1935 in Nürnberg die „Rassegesetze“ verkündet hatte.

Postkarten aus Berlin

Wilhelm Ahles hatte keine Berührungsängste – im Gegenteil. Und er hat seine Lieben daheim an seinen Erlebnissen teilhaben lassen und ihnen Postkarten geschickt – aus Garmisch-Partenkirchen und aus Berlin. Die Karte mit dem Reichssportfeld als Motiv scheint ihm besonders wichtig gewesen zu sein, denn neben vielen Grüßen hat er seinen Eltern auch geschrieben, dass die Post aufgehoben werden sollte.

Sie befindet sich noch heute in Familienbesitz.

Für seinen Arbeitseinsatz in Berlin hat Wilhelm Ahles ebenfalls eine Medaille erhalten – in Bronze; sie entsprach der originalen Auszeichnung. Dazu gab es ein Zeugnis, das ihm eine sehr gute Diensttüchtigkeit bescheinigte sowie eine Erinnerungsmedaille. „Bis zu seinem Tod im Jahr 1998 erhielt er vom Deutschen olympischen Komitee Geburtstagswünsche“, erzählt Gerhard Ahles, der alle Erinnerungsstücke seines Vaters hütet.

Leni Riefenstahl unterhält sich mit einem Sportler. Dazwischen ist im Hintergrund der Kopf von Wilhelm Ahles erkennbar.Fotos (2): Archiv Gerhard Ahles
Foto: Archiv Ahles | Leni Riefenstahl unterhält sich mit einem Sportler. Dazwischen ist im Hintergrund der Kopf von Wilhelm Ahles erkennbar.Fotos (2): Archiv Gerhard Ahles
Original Bronzemedaille von 1936
Foto: Christine Jeske | Original Bronzemedaille von 1936
Eintrittskarte für das Boxfinale, Wilhelm Ahles aus Sulzheim war dabei.
Foto: Archiv Ahles | Eintrittskarte für das Boxfinale, Wilhelm Ahles aus Sulzheim war dabei.
 
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