Die Pflicht zu erinnern, aufzuklären und zu verhindern, dass Menschen ihr Recht auf Leben streitig gemacht wird: Diese Mahnung kennzeichnete das diesjährige Gedenken an die Opfer der Heil- und Pflegeanstalt Werneck während der Nazizeit, organisiert von "PAX' an", der Initiative für Menschenrechte. Eines der Opfer, Wilhelm Werner, rückte Wernecks Bürgermeister Sebastian Hauck als Hauptredner am Mahnmal im Schlosspark in den Mittelpunkt.
Seit 1996 gehört der 3. Oktober in Werneck auch dem Gedenken an die Menschen, die in der ehemaligen Pflegeanstalt gequält, zwangssterilisiert und ermordet wurden. Als "lebensunwert" hatten die Nationalsozialisten die Kranken und Behinderten gebrandmarkt, hatten unfassbare Verbrechen an ihnen begangen, erinnerten Klaus Schröder und Margit Hettrich von PAX's an.
Unter dem Deckmantel der reichsweit geplanten, sogenannten "Aktion T 4" waren vom 3. bis 6. Oktober 760 Patientinnen und Patienten aus Werneck mit Sammeltransporten verlegt worden. Offiziell in die Pflegeanstalt nach Lohr, aber die wenigsten kamen lebend zurück. 370 von ihnen wurden sofort in Tötungsanstalten transportiert.
Erschreckende Zustände in Werneck
In den frühen 1990er Jahren hatte eine Gruppe von Mitarbeitern des heutigen Psychiatrischen Bezirkskrankenhauses um den Arzt Dr. Thomas Schmelter die erschreckenden Zustände in Werneck ans Tageslicht gebracht, blickte Bürgermeister Hauck zurück. Schmelter verfolgte mit 50 anderen Besucherinnen und Besuchern, darunter viele Mitstreiter sowie Altbürgermeisterin Edeltraud Baumgartl, die Gedenkfeier. Für den richtigen musikalischen Ton sorgten dabei Klaus Baur und Benedikt Heinrich von der Musiktherapie der Psychiatrie.
Um den Opfern in Werneck einen Namen, ein Gesicht zu geben, erinnerte Hauck an Wilhelm Werner. Aus einer mittellosen Familie stammend, lebte der Junge nach der Scheidung der Eltern mit Mutter und Schwester im Armenhaus. Mit zehn Jahren kam er in eine Anstalt für "Schwachsinnige", wahrscheinlich weil er gehörlos war, "taub-stumm", wie es früher hieß. Dort lernte er lesen, schreiben, rechnen und zeichnen.
Im Alter von 21 Jahren wurde Wilhelm Werner unter der vermeintlichen Diagnose "Idiotie" in die Heil- und Pflegeanstalt im Wernecker Schloss eingewiesen. Wie 227 andere Patienten wurde er zwischen 1934 und 1939 zwangssterilisiert.
Leid in 40 Bleistift-Zeichnungen festgehalten
Sein erlebtes Leid hielt er auf 40 Bleistift-Zeichnungen fest, die 2008 wieder auftauchten. Der künstlerische und dokumentarische Wert der Zeichnungen wurde bei der Prinzhorn-Sammlung der Uniklinik Heidelberg erkannt: Zum ersten Mal wurde die Zwangssterilisationen aus der Perspektive eines Opfers dargestellt.
Sich selbst zeichnete Wilhelm Werner meist als passive Clownspuppe, an der Ärzte und Schwestern mit Hakenkreuz-Armbinden hantieren. Die detailgetreuen Abbildungen der OP-Instrumente und genauen Beobachtungen lassen den Schluss zu, so Hauck, dass Werner wohl an Autismus litt. Auch dieser Patient wurde ermordet, am 6. Oktober 1940 in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein.
Seine Bilder machen zwar angesichts der Grausamkeiten sprachlos, sagte Hauck. Sie fordern aber auch auf zu sprechen: Gegen Diskriminierung heute, gegen Rassismus, gegen Antisemitismus, gegen Inhumanität. Es sei nicht hinnehmbar, dass sich Minderheiten bei uns nicht sicher fühlen könnten. Daher sei die Wachsamkeit aller gefordert.