Nicht alle Kinder, die in den Kinderdorfhäusern des Erich-Kästner-Kinderdorfs in den Landkreisen Schweinfurt und Kitzingen wohnen, besuchen eine normale Schule. Einige von ihnen können den regulären Schulalltag auf Grund von Traumata in der Kindheit nicht bewältigen. Deshalb gibt es seit gut 20 Jahren ein besonderes Beschulungskonzept in Bimbach – das "Schulchen". Im Gegensatz zum Unterricht an den staatlichen Schulen, lernen die Kinder dort in der Ganztagesschule in ihrem eigenen Tempo, je nach ihren Bedürfnissen und Fortschritten.
Ziel sei es, die Kinder wieder soweit fit zu machen, dass sie am Unterricht in den staatlichen Schulen teilnehmen können, erklärt Stefanie Peschel, die als Diplom-Sozialpädagogin im Schulchen-Haus in Bimbach arbeitet. Das "Schulchen" ist ein Kooperationsprojekt zwischen Schule und Jugendhilfe, so Peschel. Entstanden ist das Projekt vor rund 20 Jahren, da es im Erich-Kästner-Kinderdorf Kinder gab, die beispielsweise wegen traumatischer Erlebnisse als nicht beschulbar im Regelschulsystem galten.
"Deshalb will das Schulchen das Schulsystem so anpassen, dass die Schüler ein Umfeld bekommen, in dem sie wieder lernen können", erläutert Gerald Möhrlein, der Vorsitzende des Erich-Kästner-Kinderdorfs Oberschwarzach. Es diene als sicherer Ort, an dem die Schüler sowohl körperlich als auch mental in Ruhe ankommen können, ohne sich verstellen zu müssen. Denn wegen Traumata in der Kindheit "haben sie ganz andere Dinge im Kopf", so Möhrlein.
Auf das Zusammenspiel kommt es an
Die Kinder hätten allen voran den eigenen Überlebenswillen im Sinn. Sie würden sich Sorgen machen zu verhungern oder zeigen Verhaltensauffälligkeiten – Probleme, denen man mit dem Unterricht im regulären Schulsystem an Gymnasien, Grund-, Mittel- oder Realschulen nicht nachkommen könne. Deswegen gibt es, anders als an den staatlichen Schulen, im Schulchen-Haus in Bimbach weder feste Klassen noch einen festen Unterrichtsplan. Je nach dem, was täglich ansteht, werden die Kinder zusammen oder in kleineren Gruppen unterrichtet, sagt Peschel. Und falls der geplante Tagesablauf wegen eines Kindes mal nicht wie gedacht funktioniere, werde flexibel umstrukturiert. Dabei achtet sie darauf, dass sich die Kinder untereinander verstehen – das Alter spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Darum komme es auch vor, dass beispielsweise ein achtjähriger und ein 13-jähriger Junge zusammen den selben Unterrichtsstoff lernen. Dieser werde aber so aufbereitet, erklärt die Sozialpädagogin, dass er auch für Gruppen mit unterschiedlichen Altersstufen angepasst ist. Momentan werden sieben Kinder mit dem "Schulchen-Konzept" beschult. Das jüngste Kind ist acht Jahre alt, das älteste 14. Die Kinder lernen in Bimbach ganz normalen Unterrichtsstoff aus den bayerischen Lehrplänen, beispielsweise aus den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch.
Kinder lernen ihre Stärken und Schwächen kennen
Auch fängt der Tag im "Schulchen", so wie an den staatlichen Schulen, für die Kinder morgens um 8 Uhr an und endet von Montag bis Donnerstag erst am Nachmittag. Doch anders als im regulären Schulsystem können die Kinder erst einmal in Ruhe ankommen. Daraufhin wird der Tagesablauf mit den Kindern besprochen und es bleibt Zeit für Gespräche, erklärt Peschel. Gespickt ist der Schulalltag in Bimbach daraufhin mit Bewegungspausen, vielen kreativen und praktischen Projekten und therapeutischem Unterricht. "Dadurch lernen die Kinder ihre Stärken und Schwächen kennen", erklärt sie.
In dem zweistöckigem Haus, in dem die Kinder im "Schulchen-Prinzip" unterrichtet werden, gibt es mehrere große Räume, die die Kinder selbst mitgestaltet haben. So fühlen sie sich wohl und lernen Verantwortung zu tragen, berichtet die Sozialpädagogin. Und durch den Platz haben die Kinder Raum, sich auch mal zurück zu ziehen. Zusätzlich "können wir dadurch Konflikte entzerren", erklärt sie.
Lebensorientierte Themen auf der Tagesordnung
Während die Kinder im oberen Stockwerk des Hauses vorrangig lernen, wird im Erdgeschoss gekocht, gespielt oder es werden Projekte bearbeitet. Denn nicht nur der Füllerführerschein oder Vokabeln pauken stehen auf der Tagesordnung: Die Kinder lernen auch durch lebensorientierten Unterricht. Zusammen mit Lehrer, Erzieher, Pädagogen und Therapeuten kochen die Kinder das Mittagessen, überlegen sich den Speiseplan oder gehen mit zum Einkaufen.
Im "Schulchen" sei jeder Angestellte wie ein Lehrer, sagt Möhrlein. Denn haben die Kinder erst einmal Vertrauen gefasst und fühlen sich wohl, "machen sie keinen Unterschied, wer sie unterrichtet." Freilich sei das Ziel des "Schulchen"-Konzepts die Rückführung der Kinder an reguläre Schulen. Doch erst wenn die Kinder lernen, mit Frust und Fehlschlägen umzugehen, so Peschel, kämen sie auch im normalen Unterricht zurecht.