
Was macht ihn aus, den Mann, der die Jüdin Regina Steinig und ihre Tochter Lucia vier Jahre in Wien vor den Nazis versteckt hat? Er ist ein Held, muss es sein, hat Reinhold Duschka doch beiden das Leben gerettet – und sein eigenes auf Spiel gesetzt. Doch Duschka war keiner, der sich gern ins Rampenlicht stellte. "Was hätt' ich denn anderes tun soll'n", soll er später einmal gesagt haben. Eher wortkarg, verschwiegen, uneitel, beschreibt ihn der Mann, der über seine Geschichte ein Buch geschrieben hat: Erich Hackl. Und der das, was Lucia Heilmann über ihre Geschichte und den Kunsthandwerker Duschka erzählte, dann doch eine Heldengeschichte nennt.
Eben weil sie eine ist. Weil Duschka all die Qualitäten mitbrachte, die ein Retter braucht. Von 1941 bis zu Kriegsende, als die Russen Wien befreien, versteckt Duschka die Frau und das Mädchen, das später die Geschichte immer wieder publik machen wird. Ihr, Luzia Heilmann, war es wichtig, an diesen Menschen zu erinnern. Ein Buch wünsche sie sich darüber, hat die heute 89-Jährige einmal gesagt. Und Erich Hackl (Jahrgang 1954) hat es gehört, von einer Bekannten, wie er bei seiner Lesung im Schweinfurter Bayernkolleg erzählt. Hackl schrieb dieses Buch, das reale Personen, das wahre Leben nachskizziert.
Das Leben als Stoff für Bücher
Ein Merkmal seiner Werke, für die der Österreicher mit etlichen Preisen ausgezeichnet worden ist. Reine Fiktion ist nicht Hackls Ding, er orientiert sich am Leben, an Schicksalen, spricht mit Betroffenen, Zeitzeugen, liest in alten Unterlagen, versucht so viel Material zusammenzubekommen, damit sich Vergessenes ins Bewusstsein zurückformen lässt. Schnörkellos, klar, ist seine Sprache, immer deutlich, dass er hier Erinnerungen nachskizziert. Und doch entstehen Bilder, taucht man ein in die Geschichte.
Wie bei seinem neuesten Buch: "Am Seil". Sein Titel, erklärt Hackl, ist Sinnbild für die Verbindung der drei Protagonisten: Der Mutter Regina, der damals achtjährigen Lucia und dem Kunsthandwerker Duschka, der das Bergsteigen liebt und in diesen vier Jahren der Kopf der Seilschaft dieses Trios sein wird. Einer, der führt, der Verantwortung zeigt und immer wieder viel riskiert. 1941, im letzten Moment, taucht die Jüdin Regina Steinig mit ihrer Tochter in Duschkas Werkstatt unter. Er ist der einzige, der helfen könnte – und der es tut. Duschkas Werkstatt ist eine von 150 in diesem riesigen Gebäude, das für über dreieinhalb Jahre Lebensraum für Regina und Lucia wird. Sie arbeiten mit, helfen, zusätzlich Geld zu verdienen, damit Duschka am Schwarzmarkt Lebensmittel kaufen kann.
Vier Jahre voller Angst
Jede Stunde, jede Minute in diesen vier Jahren, die nach einer folgenschweren Bombardierung der Werkstatthöfe fünf Monate Versteckens im Keller eines Ladengeschäfts folgen werden, ist voller Angst, zitiert der Autor Lucia. Und das Leben, es ist voller Brutalität. Das Bangen, die Sehnsucht Lucias nach Normalität, nach anderen Kindern, nach Freiheit, und der Terror, der wütet. Es ist ein Schicksal, das nicht kalt lassen kann, das bewegt und am Ende gut ausgeht. Wieder marschieren Soldaten in Wien ein, doch diesmal tragen sie keine Stahlhelme, sondern Pelzmützen.
Die Reaktion von Lucia Heilmann, als sie die ersten Seiten gelesen hatte? Auch das erzählt der Schriftsteller den Schülerinnen Janine Johnson und Elli Sanchez-Wünsch, die Vorstellung und Fragerunde moderieren. Zuerst schlug die Protagonistin seines Buchs die Arme über den Kopf zusammen. Zu wenig sei die Rede von Reinhold Duschka. Doch am Ende war sie glücklich mit dieser Heldengeschichte, sagt Hackl. Denn aus einem stillen Helden, der seine Ecken, Kanten und auch Fehler hatte, der ein ganz normaler Mensch war, lässt sich nun mal kein Ritter in goldener Rüstung machen. Muss es auch nicht.
"Am Seil", Diogenes Verlag, 978-3-257-07032-3