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Waigolshausen
Ergreifende Feldpostbriefe aus Stalingrad an die Familie in Waigolshausen
Gerlinde Wolf (links) hat von ihrem Schwiegersohn Josef Oestreicher (rechts) die transkribierten Feldpostbriefe ihres Vaters August Strobel erhalten. Sie werden in der Familie wie ein Schatz gehütet.
Foto: Stefan Menz | Gerlinde Wolf (links) hat von ihrem Schwiegersohn Josef Oestreicher (rechts) die transkribierten Feldpostbriefe ihres Vaters August Strobel erhalten. Sie werden in der Familie wie ein Schatz gehütet.
Stefan Menz
 |  aktualisiert: 09.02.2024 13:31 Uhr

Rührend erzählt Gerlinde Wolf vom Schicksal ihres Vaters August Strobel, der wie hunderttausende andere Soldaten nie mehr nach Hause zurückkehren sollte: "Ich war drei Monate alt, als mein Vater in den Krieg musste. Ich habe ihn nicht mehr gesehen." 

Ihr Schwiegersohn Josef Oestreicher erfuhr vor einigen Jahren von Feldpostbriefen, die von seiner Schwiegermutter wohlbehütet aufbewahrt werden. "Ich schau mir das mal an", dachte er sich. Als Hobbyhistoriker interessiere ihn das von Haus aus. Zumal er für seinen Heimatort Eßleben in der dortigen Soldatenkameradschaft die Geschichte aller Kriegsteilnehmer des Ersten und Zweiten Weltkriegs akribisch erforscht hat.

30 Feldpostbriefe in Sütterlinschrift mussten lesbar gemacht werden

So wurden ihm die 30 Feldpostbriefe von Gerlinde Wolf anvertraut, alle in Sütterlinschrift, damit er sie für die Nachfahren in Maschinenschrift lesbar umschreiben konnte. Und nicht nur das: Der unermüdliche Oestreicher nutzte den "Leerlauf der Coronazeit", wie er es schmunzelnd umschreibt. "Ich saß manchmal bis zu fünf Stunden am Tag, um auch den letzten fast unleserlichen Satz zu knacken."

Das genaue Lesen und Dechiffrieren der Feldpostbriefe habe ihn nicht losgelassen. "Es hat mich sehr berührt", gerade weil er dadurch die Familiengeschichte seiner jung verstorbenen ersten Frau aus Waigolshausen noch einmal mit ganz neuen Augen anschaue.

Die Vorderseite eines Feldpostbriefes August Strobels vom 22. April 1942. Am Schluss ein eindringlicher Wunsch mit einer dunklen Vorahnung an seine Ehefrau: 'Vergess mich nicht im Gebet. Es wird sehr schlimm.'
Foto: Josef Oestreicher (Repro) | Die Vorderseite eines Feldpostbriefes August Strobels vom 22. April 1942. Am Schluss ein eindringlicher Wunsch mit einer dunklen Vorahnung an seine Ehefrau: "Vergess mich nicht im Gebet. Es wird sehr schlimm."

August Strobel, Jahrgang 1912, war ein junger und stattlicher Landwirt aus Waigolshausen. 1939 hat er seine Frau Emma geheiratet, im Oktober 1941 erblickte mit Gerlinde das erste und einzige Kind der noch jungen Familie das Licht der Welt. Im Winter 1941/1942 wurde Strobel als Soldat zum Russlandfeldzug eingezogen, er kam in die "Rheingold-Division", die im Verband der 6. Armee ab dem Herbst 1942 Stalingrad einnehmen sollte. Ein sinnloses und unheilvolles Unterfangen.

Die Feldpostbriefe beginnen im April 1942, der letzte Brief datiert auf den 6. September 1942, "danach kam nie mehr ein Lebenszeichen, bis zum heutigen Tag, keine Gefallenen- oder Todesmeldung", so Oestreicher. Für Emma Strobel ein trauriges und schlimmes Schicksal. Obwohl es verboten war, schrieb Strobel immer wieder einige Hinweise an seine Familie, wo er sich gerade aufhalte und in welcher Division er eingesetzt sei.

Sein Schicksalsweg führte ihn über Charkow in der heutigen Ukraine bis kurz vor Stalingrad. Da er Landwirt war, hatte er sich um ein Pferdegespann zu kümmern, um damit eine "Protze" zu steuern, einen einachsigen Wagen für ein Geschütz im Schlepptau. Nahezu bei jedem Lebenszeichen bittet er inständig um das Gebet für ihn, später kommen noch Kälte und Heimweh hinzu. Jeden Brief beginnt er mit "Liebe Emma und Gerlinde!", auch heute noch fühlt sich seine Tochter bewegt und angesprochen.

Vermutlich in Gefangenschaft umgekommen

Als nach dem 6. September 1942 keine Nachricht mehr kommt, legt sich stille Trauer über die Familie Strobel. Man will den Verlust nicht wahrhaben. Anfang der 1950er-Jahre unternimmt die Mutter von Gerlinde Strobel einen letzten Versuch und schreibt an den ehemaligen Chef der Einheit ihres Mannes. Dieser erinnert sich tatsächlich an August Strobel, allerdings mit einer traurigen Botschaft: Er sei nach seiner Erinnerung mit in Gefangenschaft gekommen, in ein Lager an der russisch-chinesischen Grenze. Dort seien alle bis auf einen gestorben. Damit endet das vergebliche Warten auf den treusorgenden Familienvater.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge antwortet vor einigen Jahren, dass August Strobel seit dem 20. Dezember 1942 als vermisst beziehungsweise gefallen gelte. Sein Name sei im Gedenkbuch auf dem großen deutschen Soldatenfriedhof Rossoschka bei Wolgograd (Stalingrad) verzeichnet, ebenso auf einem der 107 Granitwürfel, in denen die Namen der Vermissten in Stein verewigt sind.

Dass nun, keine 500 Kilometer von Stalingrad entfernt, wieder ein grausamer Krieg geführt wird, stimmt Oestreicher traurig. Die Nachkommen von August Strobel sind ihm jedenfalls sehr dankbar für die Überlieferung der letzten Zeilen und Gedanken ihres Vorfahren, der nie mehr nach Hause kam.

 
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