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SCHWEINFURT
Ergreifend, erschreckend, verstörend
Mitreißend und erschreckend: Constanze Becker in der Frankfurter Medea-Inszenierung.
Foto: Birgit Hupfeld | Mitreißend und erschreckend: Constanze Becker in der Frankfurter Medea-Inszenierung.
Karl-Heinz Körblein
Karl-Heinz Körblein
 |  aktualisiert: 14.05.2015 17:02 Uhr

Das ist ein Abend des Schmerzes, ein Abend, der ergreift, erschreckt, verstört. Die Medea-Inszenierung Michael Thalheimers für das Schauspiel Frankfurt ist ganz, ganz großes Theater, der Höhepunkt der langsam auslaufenden Saison.

Geboten wird Euripides wohl größte, gewiss abgründigste Tragödie. Medea ist Täterin und Opfer zugleich. Sie hat um der Liebe willen ihre Familie, ihre Heimat verraten. Sie hat getötet. Jetzt ist sie mit den Kindern auf der Flucht. Selbst verraten und verstoßen wegen einer anderen, verzweifelt und auf Rache sinnend.

Thalheimer, der derzeit anerkannt beste Interpret griechischer Tragödien, hat das Stück auf seinen Kern reduziert. Seine Inszenierung ist von einer unbändigen Kraft einerseits und einem feinem Gespür für den leisen Ton geprägt. Vertraut dabei ganz auf das Wort. Seine Figuren sind allesamt gebrochen. Gebeugt und verkrampft schleppen sie sich dahin. Aus diesem Stück führt für sie allesamt kein Weg hinaus.

Olaf Altmann hat eine wuchtige, tiefgraue, leere Bühne gebaut. Medea kauert auf einem erhöhten Sims. Sie hat strähniges Haar, blutverschmierte Beine, dunkel umrandete Augen, ein tränendurchnässtes Gesicht. Weit weg von den anderen Akteuren, isoliert, presst sie ihre Verletzungen heraus.

Zwischen klar reflektierend und schaurig wehklagend, legt die großartige Constanze Becker diese Figur an. Von der eigentlich so Geschundenen geht eine ungeheuere Bedrohung aus, die Kreon, der sie ins Asyl jagen will, zum zitternden Männlein (Martin Rentzsch)macht. Ganz stark auch die Amme der Josefin Blatt, die sich mit schwerst verkrüppelten Beinen zu Beginn zu Medea hinschleppt und das ganze Leid dieses Abends quasi vorwegnimmt. Überzeugend die Besetzung des Chores der korinthischen Frauen mit Bettina Hoppe allein.

Marc Oliver Schulze im leuchtend blauen Angeberanzug ist der Opportunist schlechthin. Ein schwacher Mann, der sich windet und der mit weit aufgerissenem Mund stumm zusammenbricht, als er Medeas Mord an den gemeinsamen Kindern als die wohl härteste, eigentlich nicht denkbare Bestrafung versteht. Brutaler und effektiver kann Rache nicht sein.

Euripides Stück ist vor fast 2500 Jahren entstanden und ist doch ungeheuer aktuell, denkt man nur daran, dass allein in Deutschland jährlich 200 Kinder aus Rache und Eifersucht getötet werden. Dass Thalheimer diese Aktualität allein aus dem Text heraus, ohne irgendwelche Mätzchen, zu zeigen versteht, zeichnet diesen Regisseur und diese Inszenierung aus. Nicht zu vergessen, die sieben außergewöhnlich starken Schauspieler; Michael Benthin als bemitleidenswerter König Aigeus und Viktor Tremmel als zutiefst verstörter Bote sollen nicht unerwähnt bleiben. Die Frankfurter „Medea“ ist völlig zu Recht 2013 zum Theatertreffen in Berlin eingeladen worden.

Für die auch heute noch unverbraucht frische Inszenierung gab es in Schweinfurt lebhaften und lang anhaltenden Applaus. Der auch ein Stück Befreiung für die aufmerksamen Zuschauer war.

 
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