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SCHWEINFURT
Erfolg für Deutschtürken eine Ehrensache
Erfolg ist Ehrensache: (von links) Die Fans und Fragesteller Mustafa Rahmi Solak und Görkem Serdar, Halil Cesur (Ausbildungsakquisiteur für Migranten), Erdi Egemen Sür (Deutscher Meister Kickboxen), Musiker Bico von “Biju“, Roland Maul, Ausbildungsberater der Handwerkskammer für Unterfranken sowie Gastgeber Bilal Bas, Vorsitzender der Türkiyemspor Schweinfurt.
Foto: Uwe Eichler | Erfolg ist Ehrensache: (von links) Die Fans und Fragesteller Mustafa Rahmi Solak und Görkem Serdar, Halil Cesur (Ausbildungsakquisiteur für Migranten), Erdi Egemen Sür (Deutscher Meister Kickboxen), Musiker Bico von ...
Redaktion
 |  aktualisiert: 13.01.2016 10:52 Uhr

„Es gibt viele Kulturen, aber nur eine Zivilisation.“ Mustafa Kemal Atatürk, der Gründer der modernen Türkei, dachte dabei an Europa. Nun blickt er von einem Bild ins volle Vereinsheim der Fußballer von „Türkiyemspor Schweinfurt“, auf dem ehemaligen VfR-Gelände. Für den Reformer waren Bildung, Fortschritt, Erfolg und Ehre nicht zu trennen – was er beim Themennachmittag „Zukunft für Jugendliche mit Migrationshintergrund“, in Einklang mit der Schweinfurter Integrationspolitik, gesehen hat, dürfte ihm gefallen haben.

Etwa das Treffen dreier überaus erfolgreicher türkischer Schweinfurter: Erdi Egemen Sür ist deutscher Meister im Kickboxen, Yusuf Emre Kasal, der per Video zugeschaltet wird, Mittelfeldspieler beim türkischen Erstligisten Denizlispor. Bico von „Biju“ (vormals „Mashallah“) gilt als Barry White der deutschen HipHop- und Soul-Szene.

Mit gutem Beispiel voran

Sicher 170 Jugendliche harren dreieinhalb Stunden lang geduldig und diszipliniert aus, stellen Fragen. Halil Cesur von der Gesellschaft für berufliche Förderung (GbF) moderiert, Roland Maul, Ausbildungsberater der Handwerkskammer Unterfranken stellt vielfältige Karrieremöglichkeiten vor. Qualifizierter Nachwuchs wird händeringend gesucht – ein „Lehrstellenradar“, als App erhältlich, klärt über tausend offene Stellen auf.

Bei Kampfsportler Erdi vom „Phönix Fightclub“ rucken einige Köpfe hoch: „Der Mensch ist ein Kämpfer, will sich messen“, sagt der Schweinfurter, gelernter Fachlagerist: „Bitte nicht falsch verstehen, nicht schlägern“. Der Kickboxer war Friedensschüler, nach jedem Fight verträgt er sich wieder mit seinem Gegner: „Ich würde nichts machen, was seine Würde und Stolz herabsetzen würde.“ Ohne Ausbildung geht es nicht, wirbt der Aufsteiger, junge Leute seien wie Rohdiamanten, die geschliffen werden müssen. Tief im Herzen seien wohl auch Problemkinder „Superleute“, meint Erdi, der seinen Gürtel dabei hat. Nur eben ohne Selbstbewusstsein. Und: „Allein geht auf der Welt gar nichts.“

Außer Videos mit seinen Erfolgen gibt es noch einen Schaukampf, und den Wunsch nach Partnern für Schweinfurts Kampfsport: „Das nächste Mal komme ich mit zehn Gürteln.“ Clever wirken sie, die ehrgeizigen Mitt- und Endzwanziger, fast ein wenig weise.

So auch Yusuf Emre Kasal, der von Halil Cesur in den Wehranlagen befragt wurde: Kasal befindet sich nach einer Verletzung gerade im Wiederaufbautraining in Antalya. Der Arbeiter-Sohn hat sich selbst ins Gymnasium vorgekämpft, mit 15 Jahren wechselte er vom FC Schweinfurt nach Nürnberg, spielte in der türkischen Jugend-Nationalelf, hatte Höhen und Tiefen. „Es reicht nicht, talentiert zu sein“, stellt der in sich ruhende 24-Jährige klar, es brauche Opfer, Energie, Zusammenhalt und Ausbildung sowie auch Verzicht als Teenager.

Auf 75 000 Euro Marktwert dotiert ihn das Internet. „Die mentale Stütze habe ich der Religion zu verdanken, dann der Familie, dann Freunden.“ Die Eltern seien in der Verantwortung: „Schule, Schule, Schule.“ Über kulinarisch inspirierte Schmähungen, etwa aus der Chemnitzer Fankurve, kann der Zidane-Fan nur lächeln: „In der Türkei sind Beleidigungen intensiver.“

Einen eigenen, hellen Kopf, den hat auch Kadir Bico. Der Musiker („Ich bin ein Land in sich“) ist gerade 28 geworden. Angefangen hat er als Rapper. Mittlerweile wohnt er in Berlin: „Es liegt jeden in den Genen, der als Deutschtürke hier lebt, zu ziehen.“ Kein Musterschüler in der Friedensschule, erinnert sich sein Lehrer. Aber mit Ausdauer: „Ich habe zwei Jahre auf der Couch von Freunden geschlafen, nur um nicht im Büro zu arbeiten.“ Xavier Naidoo bekam eine CD mit Telefon-Nummer ins Auto geworfen. Der habe nicht geantwortet, damals. Heute arbeitet Bico mit Schauspieler und Musikgröße Tyron Ricketts oder Songwriter Mic Donet zusammen.

Er hat sein eigenes „Kreativkollektiv“ MedusaVision, dreht gerade ein Video in Istanbul, mit Musik für Leute, die, wie er sagt, im Spiegel noch ihre Seele suchen. Auch wenn er sich selbst als „100 Prozent Türke“ sieht, habe das nichts zu bedeuten: „Nationalität, das ist etwas respektlos Gott gegenüber.“ Überhaupt: „Ich glaube, es gibt viele Deutsche, die nicht integriert sind“. Das Deutschland von Goethe, Kant oder Bach ist für ihn das Gegenteil von „Hartz IV-Fernsehen“. Sein Motto: „Free your mind“, „Befreie deinen Geist“.

Bildung stoppe Kriege, beuge Propaganda und Manipulation vor. Bico holt seine Weggefährten vom Main nach vorne. Darunter junge Frauen, die vielversprechende Lebensläufe vorzeigen, nicht wenige im Raum haben Abitur. Den meisten geht es wohl wie Bico. Der fühlt sich sofort wieder als „Schweinfurter Junge“, wenn er heimkehrt und bei der Anfahrt das SKF-Hochhaus aufragt: „Das ist meine Erdung hier.“

 
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