Weihnachten als das Fest der Liebe und des Friedens – für manche Bewohnerinnen des Frauenhauses ist das heuer zum ersten Mal möglich. Wo vorher Gewalt herrschte, gibt es nun neben dem Leid auch Hoffnung, Ruhe und Erleichterung.
„Ich weiß es noch genau, es war ein Dienstag“ erzählt Hilde Schmitt (Name geändert) von dem Tag, als sie ins Frauenhaus ging. Fort von einem Mann, der sie am Morgen noch verprügelt und fast zu Tode gewürgt hat. Vor den Augen seiner drei Kinder. Der älteste Sohn ging dazwischen, das Leidensmaß war voll. „Mein Mann war Facharbeiter in der Großindustrie, der Alkohol hat ihn ruiniert. Und uns fast alle mit“. Jahrelang war Schmitt massiver Gewalt ausgesetzt. Warum sie nicht eher gegangen ist? „Ich habe gedacht, ich kann die Familie zusammenhalten, ich muss mich nur noch mehr anstrengen.“
Das war vor fast 30 Jahren. Damals waren die Verhältnisse sehr beengt, erzählt Gertrud Schätzlein, Leiterin des Frauenhauses. Bis zu vier Frauen lebten in einem Zimmer, die Frauen gingen damals nicht alleine aus dem Haus. Die ersten elf Monate wurde das Haus ehrenamtlich und mit Hilfe von Spenden geführt.
„Es war der beste Schritt meines Lebens, ich mache keinen Hehl draus, es hat mir ja nur gutgetan“, erzählt Schmitt von ihrem Weg in ein gewaltfreies Leben. Damals wurde über familiäre Gewalt kaum gesprochen und Brutalität wurde eher als Kavaliersdelikt betrachtet denn als Straftat.
Doch so wie sich das Familienbild in den letzten 50 Jahren gewandelt hat, wandelt sich auch die Vorstellung vom Staat, indem klar wird, wie sehr Demokratie, Frieden und Gleichberechtigung damit zusammenhängen, dass Menschen zu selbstbewußten und starken Persönlichkeiten werden dürfen. Im besten Fall in glücklichen Familien.
Familien können aber auch Terrorzellen bedeuten für die Schwachen und Schutzbedürftigen. 52 Frauen und 54 Kinder haben im vorigen Jahr im Frauenhaus gelebt. Etwa zwei bis drei Monate blieben die Frauen 2016 durchschnittlich dort. Wichtig ist, dass der Beginn eines gewaltfreien Lebens ohne zeitlichen Druck erfolgt, damit erhöhen sich die Chancen um ein Vielfaches, so Schätzlein.
Für Hilde Schmitt war die Erfahrung, mit ihren Erlebnissen nicht allein zu sein, besonders wichtig. „Ich habe heute noch Kontakt zu den Mitbewohnerinnen von damals, das tut mir immer noch gut. Überhaupt habe ich mir Hilfe geholt, wo ich nur konnte, zweimal war ich in einer psychosomatischen Klinik, da habe ich mich befreit.“ Es ist ein langer Weg gewesen bis dahin. Das Team des Frauenhauses begleitet die Schutzsuchenden solange es notwendig ist. Es gibt unter anderem jede Woche ein offenes Treffen für ehemalige Bewohnerinnen.
Heute ist klar erkennbar, wie die Seele den Körper beeinflusst und umgekehrt, wie Gewalterfahrungen die Seele verletzen. Wir bräuchten die doppelte Menge an Räumen, so Schätzlein, um jederzeit eine Frau, die Schutz braucht, aufnehmen zu können. 86 Frauen habe das Team abweisen müssen im vorigen Jahr, das bedeutet 86 Mal Unsicherheit über die Zukunft in einer sowieso schweren Lebensphase. Das bedeutet auch, dass manche Frauen zurück zum gewalttätigen Partner gehen, mit ihren Kindern. So transportiert Gewalt sich weiter.
„Was mir am meisten leid getan hat, waren meine Kinder“, erzählt Schmitt. Dass sie die Todesangst der Mutter erleben müssen, die Sorge um die Familie aushalten müssen, die Gewalt oft auch selbst erfahren, das verletzt sie fürs Leben. Hier wäre dringend weitere Unterstützung nötig, so Schätzlein.
Söhne, die nie ein positives Männerbild von ihren Vätern erlernen konnten, Töchter, die erleben mussten, dass ihre Mutter die Demütigungen widerstandslos hinnehmen.
Gewalt als „normales“ Muster funktioniert auch heute noch. Wenn Verantwortliche in der Politik meinen, „bei uns in der Provinz ist die Welt noch in Ordnung“, dann zeugt das eher von Blindheit auf dem Auge, das hinter die Dunkelziffern und hinter die verschlossenen Türen blicken könnte.
Das Thema ist aber heute nicht mehr so tabuisiert wie früher, so Schätzlein. Heute ist das Wissen größer, Frauen können sich schon in einem frühen Stadium Beratung holen, sie können früher aus Gewaltbeziehungen herausgehen, alleinerziehende Frauen sind keine Randerscheinungen mehr.
Wie könnte ein reicher Staat sich besser für eine gute demografische Entwicklung einsetzen als beim Schutz von Frauen und Kindern? Bayern steht übrigens seit 2012 bundesweit an vorletzter Stelle hinsichtlich der finanziellen Beteiligung an Frauenhausplätzen.
Hilde Schmitt hat sich Hilfe geholt. Männer gestehen sich das seltener zu. Sie gehen viel öfter den falschen Weg bis zum Ende, rund dreimal so hoch wie bei Frauen ist die Suizidrate von Männern. Bayern liegt übrigens hier seit Jahren bundesweit an der Spitze. Viele Männer drohen mit Suizid, „wenn du mich verlässt, nehme ich die Kinder mit in den Tod.“
Seit 37 Jahren gibt es das Frauenhaus. Es ist heute kaum vorstellbar, aber damals wurde die Arbeit der Frauenhäuser geradezu als skandalös erachtet, gerade in Bayern, damals war als Wohlfahrtsauftrag gesetzlich verankert, familienzusammenführend zu arbeiten, das heißt, das Wohl von Frauen und Kindern war einem Familienideal untergeordnet, das oft genug mit der Realität nichts zu tun hatte.
Es hat sich inzwischen auch die Ausrichtung der Frauenhaus-Arbeit geändert, so Schätzlein. „Anfangs dachten wir, eine sichere Unterkunft, eine gute Anwältin und Existenzsicherung würden genügen. Heute wissen wir, dass psychosoziale und psychologische Unterstützung sowohl für die Frauen als auch für die Kinder dringend notwendig ist. Die Folgebelastungen unter anderem durch körperliche oder psychische Erkrankungen haben sich als gravierend herausgestellt. Deshalb wäre es umso wichtiger, dass das Frauenhaus gerade auch im Kinderbereich mehr Unterstützung anbieten könnte. Es gibt momentan nur eine fest angestellte Mitarbeiterin.
Hilde Schmitt erzählt: „Am Anfang bin ich immer wieder nach Hause zu meinen Eltern oder zu meinen Geschwistern, aber ich bin auch immer wieder zu ihm zurück wegen der Versprechungen und weil ich den Kindern nicht den Vater nehmen wollte. Aber ich hätte viel eher gehen müssen“, macht sie sich noch heute Vorwürfe. „Für die Kinder war das Mitansehen viel schlimmer als ich dachte. Ich hätte mit den Kindern sofort zum Psychologen gemusst.
“ Heute ist es gesellschaftlich akzeptiert, sich psychologische Hilfe für die Kinder zu holen. „Damals sagte der Hausarzt, ach, das verarbeiten die schon.“ Die Weitergabe der Gewalt von Generation zu Generation belastet Schmitt sehr. „Ach, das Unheil, wie es sich da durchzieht“, seufzt sie, „ich musste als Kind zusehen, wie meine Mutter geprügelt wurde und konnte es wiederum meinen Kindern nicht ersparen.“
Heute können zwölf Frauen mit bis zu 18 Kindern im Frauenhaus wohnen. Finanzielle Förderung gibt es durch den Freistaat Bayern, der Stadt und den Landkreis Schweinfurt sowie den Landkreisen Bad Kissingen, Rhön-Grabfeld und Haßberge. Es sei jedoch dringend eine weitere Personalstelle notwendig für die bessere Betreuung der Kinder, so Schätzlein. Das Frauenhaus trug 2016 übrigens mit rund sieben Prozent einen ebenso großen Anteil der Finanzierung selbst bei – der Kampf um eine gesicherte Finanzierung und das Einwerben von Spenden frisst jedoch an der Zeit für die eigentliche Aufgabe, der Hilfe für Frauen und ihren Kindern auf dem Weg aus der Gewalterfahrung. Sogar der Eigenanteil der Bewohnerinnen war 2016 mit rund 7 Prozent höher als der staatliche Zuschuss, so Schätzlein.
Sie ist dennoch sehr froh über die gute Unterstützung durch Spenden und Zuwendungen, ohne die die Arbeit so kaum machbar wäre.
Das Frauenhaus bietet auch telefonische und persönliche Beratung, rund um die Uhr können Frauen in Notfällen anrufen. Auch Unbeteiligte, die von Gewalt gegen Frauen wissen, zum Beispiel Nachbarn oder besorgte Bekannte können sich Informationen holen. Das Frauenhaus wird vom Verein Frauen helfen Frauen getragen. Interessierte und potenzielle Mitstreiterinnen können sich gerne melden, so Schätzlein. „Wir brauchen nicht nur finanzielle Unterstützung“.
Aber nach allen Erfahrungen aus vielen Jahren Engagement zeigen sich auch Lichtblicke. Auch für Hilde Schmitt. Erst jetzt zeigt sich der Kreislauf der Gewalt unterbrochen: Für die kleine Urenkelin ist endlich das harmonische Familienleben Normalität geworden. Weihnachten kann in Frieden unterm Weihnachtsbaum stattfinden. „Viele Probleme haben sich noch durch die Leben meiner Kinder und auch Enkelkinder gezogen, aber die Hoffnung hat mich auch stark gemacht. Für mich selber ist mein Leben jetzt komplett in Ordnung.“
Die Telefonnummer des Frauenhauses: Tel. (0 97 21) 78 60 30
Infos auch im Internet unter www.frauenhaus-schweinfurt.de