
„Das fängt schon an, wenn ich ein Taxi nehme“, weiß Mette. Das Landessozialgericht kennt kaum einer, obwohl es bei der Zweigstelle der Landeshauptstadt um Themen geht, die aktuell Sozialgeschichte schreiben.
20 Senate hat das Landessozialgericht. 14 sind in der Münchner Zentrale angesiedelt, sechs an der einzigen Zweigstelle in Schweinfurt. 1993, als Schweinfurt die Krisenregion I in Bayern war, setzte Ministerpräsident Edmund Stoiber die Aufsplitterung des Landessozialgerichtes gegen heftigste Widerstände durch. Die Spitze des Streits zwischen Justiz und Politik verursachte der damals noch existente Bayerische Senat, der die Argumentation gegen eine Aufteilung als begründet sah und deshalb einen kompletten Umzug von München nach Schweinfurt vorschlug.
Signal für Strukturwandel
Zu dieser großen Lösung kam es nicht. Doch Schweinfurt bekam die Zweigstelle, die zwar kaum neue Arbeitsplätze schuf (kamen doch mit ihr die Richter anfangs aus Oberbayern), doch ein Signal für den Strukturwandel weg von der reinen Industriestadt hin zu mehr Dienstleistungen setzte. 1995 war die Zweigstelle in dem ehemaligen AOK-Gebäude an der Friedrichstraße eingerichtet.
Nach fünf Jahren hatte das Provisorium ausgedient. Der Umzug an den Rusterberg fand statt, wo die Baufirma Glöckle auf eigene Kosten gebaut hatte. Auch dieses Projekt stand ganz im Zeichen der Krisenbewältigung. Glöckle hatte keinen Gewinn angepeilt, wollte lediglich die eigenen Arbeitsplätze sichern, wofür ein langfristiger Mietvertrag zwischen dem Freistaat und der Baufirma das Fundament war.
Elf Richter, darunter drei Vorsitzende, und 13 Mitarbeiter (für Pforte und Geschäftsstelle) beschäftigt das Landessozialgericht in Schweinfurt. Bis auf die Chefin kommen heute alle aus Franken, die Richter von den den Sozialgerichten in Bayreuth, Würzburg und Nürnberg. Die zwei Sitzungssäle sind im Erdgeschoss eingerichtet. Darüber ist die Geschäftsstelle zu finden, die im ersten Halbjahr 2009 stolze 496 neue Fälle notiert hat, wobei der Bestand bei aktuell 1418 liegt. Im zweiten Obergeschoss sind die Zimmer für die Richter. In den Verhandlungen sitzen neben dem Vorsitzenden zwei Richter und jeweils zwei ehrenamtliche Beisitzer (etwa aus dem Kreis der Arbeitgeber und der Versicherten), – alle fünf mit den gleichen Stimmrechten bei den mündlichen Verhandlungen. Diesen Terminen sind oft Erörterungstermine vorausgegangen. Mette: „Wir sprechen viel mit den Leuten, bilden uns zu jedem Fall ein umfassendes Bild.“
Auf dem Weg durch das Gerichtsgebäude begegnet der Zweigstellenleiterin ein Mitarbeiter mit mehreren Kilogramm schweren Akten, nur ein Fall. Schnell geht es also nicht immer, auch nicht im größten Sachgebiet „Rentenversicherung“ (gesetzliche). Beispiel: Frührente. Lehnt das Sozialgericht ab und gehen VdK, DGB oder der Anwalt in die nächste Instanz, entscheidet die Zweigstelle über die Fälle aus Franken, holt im Vorfeld Gutachten ein. Den gleichen Weg nehmen Streitigkeiten bei der gesetzlichen Unfallversicherung. Auch hier ist man vielfach auf die Gutachten von Medizinern angewiesen.
Von der Erörterung über die Gutachten bis zum Urteil geht es auch bei ungeklärten Hartz IV-Fällen. Das Landessozialgericht ist gerade hier bei den einstweiligen Anordnungen gefragt. Schließlich geht es um die Existenz der Betroffenen. Und bei diesem Punkt klingt bei Elisabeth Mette ein wenig Stolz durch. In ein bis zwei Monaten sei eine Anordnung draußen. Einfach seien solche Entscheidungen oft nicht, was sie an der Auslegung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft ausführt. Abwägen müsse der Richter, er müsse aber auch zeitnah entscheiden.
Der vierte große Themenkomplex am Rusterberg ist die Arbeitslosenversicherung. Wer hat Anspruch?, wer hat keinen?, muss für die Polin, die einige Jahre in Deutschland gearbeitet hat, Polen oder die Bundesrepublik Arbeitslosengeld zahlen?