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GEROLZHOFEN
Einst war Gerolzhofen eine Hochburg der Narren
Büttensitzungen und Umzüge mit über 30 Motivwagen: Früher war Fasching in der Stadt ein großes Thema.
Der von Pferden gezogene Wagen des Gerolzhöfer Elferrats fährt beim Faschingsumzug 1959 die Marktstraße hoch.
Foto: Stadtarchiv | Der von Pferden gezogene Wagen des Gerolzhöfer Elferrats fährt beim Faschingsumzug 1959 die Marktstraße hoch.
Klaus Vogt
 |  aktualisiert: 10.02.2016 03:44 Uhr

Die närrischen Tage streben ihrem Höhepunkt entgegen. Büttensitzungen, Kappenabende, Faschingszüge: Der Terminkalender vieler Gemeinden strotzt nur so von Faschingsveranstaltungen. Nur um Gerolzhofen macht die Gaudi einen großen Bogen. Aus der einstigen Faschingshochburg ist närrische Diaspora geworden. Im Stadtarchiv Gerolzhofen wurden dieser Tage alte Farbdias wiederentdeckt, die tolle Motive von einem Gerolzhöfer Faschingsumzug zeigen. Ein Anlass, mit etwas Wehmut auf diese glanzvolleren Tage zurückzublicken.

Fasching, Fasenacht, Fastnacht, Karneval – egal wie das ausgelassene Treiben in den verschiedenen Regionen auch heißen mag, seine Ursprünge liegen wohl schon Tausende Jahre zurück. Gegen Ende des Winters vertrieben die Germanen mit viel Lärm und Mummenschanz die bösen Winter-Dämonen, um dann in fröhlicher Stimmung auf das Aufziehen des Frühlings zu warten.

Auch unter dem Einfluss der Kirche blieben diese alten Bräuche am Leben. Bevor mit dem Aschermittwoch die vierzigtägige Fastenzeit als Vorbereitung auf das Osterfest beginnt, ließ man es in den drei, vier Tagen davor noch einmal so richtig krachen. Diese ausschweifende Zeit bezeichnete man als „Karneval“, vom Lateinischen „carne vale“, was so viel heißt wie „Abschied vom Fleisch“. Das Schlemmen und Feiern hatte einen durchaus praktischen Hintergrund: Die Vorräte mussten verzehrt werden, da sie sonst wegen des anstehenden Fleischverbots verdorben wären.

Komödie in der Renaissance

Die Anfänge des Faschings in Gerolzhofen werden in alten Bürgermeisterrechnungen im Stadtarchiv greifbar. In der Rechnung des Jahres 1584 bekommt der lateinische Schulmeister ein kleines zusätzliches Taschengeld ausbezahlt, „weil er auf Fastnacht die Komödie von der Hochzeit zu Cana gehalten“ hat. Offenbar hatte der Lehrer mit den Kindern ein Theaterstück einstudiert. Auch im darauffolgenden Jahr 1586 führen der Schulmeister und die Kinder an Fasching eine Komödie auf. In den Jahrzehnten und Jahrhunderten danach tauchen immer wieder Hinweise in Rechnungen auf, dass es in der Stadt organisierten Frohsinn gegeben hat.

65 Jahre sind es inzwischen her, dass sich in der Stadt ein von einem Verein organisierter Fasching etablierte. Anno 1950 bildete sich ein Karnevalsausschuss, der für die Session 1951 für eine einzige Ballnacht im „Wilden Mann“ einen Prinz Karneval, eine Prinzessin und den Hofstaat samt Hofmarschall auf die Beine stellte. Und man schaffte es sogar, 1951 einen Faschingszug durch die Innenstadt ziehen zu lassen. Aus den Mitgliedern des „Karnevalsausschusses“ bildete sich schließlich der Elferrat, der sich 1953 als „Gerolzhöfer Karnevalsgesellschaft“ (Geo-Ka-Ge) als neue Abteilung dem Turnverein angliederte.

Walter Merklein, damals Redakteur des „Steigerwald-Boten“ und „Chef des Protokolls“ bei Sitzungen der Geo-Ka-Ge hat vor rund 50 Jahren die Geschichte des Gerolzhöfer Faschingsvereins detailreich niedergeschrieben. Auf diese Informationen nimmt dieser Artikel gerne Zugriff. Es begann in Gerolzhofen eine Erfolgsgeschichte des Faschings. Die Elferratsitzungen hatten hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Es gehörte zum guten Ton, sich dort sehen zu lassen. Entscheidend für den Erfolg war: Auf und hinter der Bühne engagierten sich viele Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich – und jeder brachte seine ureigenen Fähigkeiten und Talente ein.

Handwerksmeister sorgten sich um Dekoration und Bühnentechnik, Musiklehrer und Organisten schrieben Melodien und Arrangements, Beamte stellten ihr organisatorisches Können in den Dienst der Gemeinschaft, Heimatdichter und Lehrer schrieben spitze Büttentexte und die Strophen der jährlichen Faschingsschlager, Zeitungsredakteure legten Programmheftchen auf, Maler gestalteten Plakate, Frisöre waren als Maskenbildner im Einsatz, Schneider kümmerten sich um die Kostüme. . .

1953 zog der Elferrat zum ersten „Kunterbunten närrischen Abend“ in den inzwischen abgerissenen Saalbau Härterich („Wilder Mann“) ein. Das Präsidentenamt der neuen TV-Abteilung übernahm der Kaufmann Anton Flasch, der in der Marktstraße ein Schreibwaren- und Spielwarengeschäft betrieb. 1955 amtierte als Elferratspräsident der spätere Turnvereinsvorsitzende Ludwig van Eckert. 1956 folgte ihm Oberförster Ignatz Göpfert, von 1957 bis 1959 stand wieder Anton Flasch an der Spitze. Im Jahr 1960 übernahm dann Polizeimeister Rudolf Lustig den Präsidentenstab – ein Mann, der der Narretei mit Haut und Haaren ergeben war und mit dem die Geo-Ka-Ge zu ungeahnten Höhenflügen durchstartete.

Eigene Lieder, eigene Texte

1954 machte der Gerolzhöfer Fasching weitere Fortschritte. Erstmals tauchten die beiden Brunnenheiligen Gabelmann und Florian (Anton Brehm und Paul Vollmuth) auf der Bühne auf. Robert Schoué erwies sich als gewandter Stegreif-Conferencier und Rudolf Hoch aus der Redaktion der Heimatzeitung stellte sein dichterisches Können unter Beweis. Im Jahr 1955 zog man erstmals in die vereinseigene Turnhalle an der Dingolshäuser Straße um. Im TV-Vorsitzenden Xaver Schieber hatte man einen geschickten Organisator. Auf der Bühne der Narrenresidenz standen unter anderem Robert Schoué, Gerhard Oemler, Gunda Wörle und Anton Flasch.

Höhepunkt der Session 1955 war ein großer Faschingszug mit rund 30 Wagen, zahlreichen Fußgruppen und drei Musikkapellen. Extra für diesen Faschingszug wurde das erste Prinzenpaar der Geo-Ka-Ge gekürt: Ludwig I. van Eckert und Elfriede I. Niederle.

Im Fasching 1956 erhielt Gerolzhofen dann endgültig eine monarchische Regierung: Werner I. von Textilien (Werner Iff) und Hannelore I. (Haderlein). Ab diesem Jahr war es dann üblich, für jede Session ein neues Prinzenpaar zu küren. Prinz und Prinzessin stammten aus gut situierten Gerolzhöfer Familien, viele waren auch privat liiert und bereits verlobt.

Der beim Bau der Kläranlage Richtung Hörnau gemachte Kohlenfund war Thema des Faschingsschlagers 1957. Rock 'n' Roll kam in Mode und zog in die Narrenresidenz ein. Erstmals wurde der Kontakt zu anderen Faschingsgesellschaften gesucht: die Ki-Ka-Ge aus Kitzingen und die Karnevalsstreitmacht aus Dettelbach rückten in Gerolzhofen an.

1958 gab es ein beherrschendes Thema im Fasching: Die Russen hatten 1957 den Sputnik, den ersten künstlichen Erdsatelliten, in eine Erdumlaufbahn gebracht. Kein Wunder, dass die Narren über die nur angekündigte Mondfahrt der USA lästerten. „Hula-Hoop“ war der Hit des Faschings 1959. Mittelschuldirektor Dr. Ludwig Wolf dichtete den Faschingsschlager mit dem Refrain „Im Wilden Mann da fing die Liebe an“.

Tausende begeisterte Zuschauer belohnten die Mühen, die die Vorbereitung des großen Faschingszug 1959 mit über 30 Motivwagen und mehreren Hundert Mitwirkenden gemacht hatten.

Die Gerolzhöfer Prinzenpaare in der Glanzzeit

1955: Ludwig I. und Elfriede I. (Ludwig van Eckert und Elfriede Niederle) 1956: Werner I. von Textilien und Hannelore I. (Textilkaufmann Werner Iff und Hannelore Haderlein) 1957: Hubertus I. und Alice I. (Hubert Müller und Alice Weigand) 1958: Wigbert I. von Porträtien und Erika I. (der Fotograf Wigbert Friedrich und Erika Lustig) 1959: Hermann I. von Cinemascopien und Gaby I. (Kino-Betreiber Hermann Schäfer und Gaby Friedrich)

1960: Horst I. vom Arlesgarten und Gudrun I. (Horst Konrad und Gudrun Brehm aus der Gaststätte „Schwane“) 1961: Wolfgang I. vom Rhein und Annemarie I. (Wolfgang Simon und Annemarie Weigand) 1962: Adolf I. der Unpolitische u. Helga I. (Adolf Wexlberger u. Helga Vollmuth) 1963: Robert I. von Agrarien u. Helga II. (Robert Wächter und Helga Ruß aus Brünnstadt) 1964: Herbert I. der Vetter aus Dingsda und Rosemarie I. (Herbert Vetter und Rosemarie Schnitzlein). 1965: Gerald I. von Bankratien und Heidi I.

(Gerald Lindner u. Heidi Brehm) 1966: Theo I. u. Christine I. (Theo Kaeuffer u. Christine Reindl) 1967: Michael I. von Mehlien und Ilse I. (Müller Michael Glos aus Brünnau und Ilse Fuchs aus Herlheim) 1968: Alexander I. von Darmatien und Rosemarie II. von Wagenburg (Alexander Ruß und Rosemarie Messner) 1969: Peter I. von Achitektonien und Liselotte von Bilanzien (Peter Kern und Liselotte Fuchs aus Herlheim) 1970: Hans-Jürgen I. von Television und Christine II. von der Falterturmstadt (Hans-Jürgen Fehlbaum und Christine Kellermann aus Kitzingen).

 
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