Als im Herbst letzten Jahres Ute und Harald Hess ihre Weinstube im Fischerrain aus gesundheitlichen Gründen schlossen, ging für den kleinen Stadtteil am Main eine Tradition zu Ende, die einmal von elf Lokalen geprägt war. Es waren die Fischer mit ihren Fischbäckereien, die zunächst Bier und dann auch den oft selbst angebauten Wein und den Most in den Buschenschänken anboten, die sich nach und nach zu respektablen Weinstuben und Restaurant entwickelten.
Die Weinstube Krug, die Reichskneipe, die Fischerpforte, die Fischbäckerei Elflein, die Mainaussicht, die Mainlust, die Wolfsschlucht, der Hagenmeyer Bierausschank, die Weinstube Urlaub, die Brauereigaststätte Lauscher und schließlich die Weinstube Gößwein, die 1988 von Ute und Harald Hess übernommen wurde.
In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gab es im Fischerrain 14 Fischer, vier Metzger, zwei Schlosser, einen Spengler und einen Schmid, hat Hans Gößwein in seinen Erinnerungen festgehalten.
Im 19. und 20. Jahrhundert drängte sich die Gaststätten in Schweinfurt auf engstem Raum
Die große Anzahl von Gaststätten auf engstem Raum war für Schweinfurt im 19. und 20. Jahrhundert keine Besonderheit. 126 Lokale hat Edgar Lösch in seinem Buch "Geschichte der alten Gasthäuser in Schweinfurt" portraitiert. Die Brautradition in Schweinfurt lässt sich weit zurückverfolgen.
So wurde 1622 das offene Brauhaus gegründet, in der mehrere Brauer im Wechsel ihr Bier produzierten. Später entwickelten sich daraus mehrere Privatbrauereien, erinnert sei an das Brauhaus, Wallbräu und Hagenmeyer. Sie alle gibt es nicht mehr. In der Stadt ist heute noch lediglich die Brauerei Roth aktiv.
Aber zurück vom Fischerrain und zur Weinstube Gößwein, später Hess. Ihr erster Wirt, Martin Gößwein, stammte aus Prichsenstadt und eröffnete 1898 im Fischerrain sein erstes Lokal, das 1929 von seinem Sohn Hans und schließlich von Horst Gößwein übernommen wurde.
Der inzwischen 90-Jährige lebt auch heute noch im Fischerrain, im fünften Stock des Hauses mit der Hausnummer 2, von der man einen schönen Blick auf die Altstadt hat und in der er viele Erinnerungsstücke angesammelt hat.
Industrielle und Schauspieler gehörten zu den Gästen der Weinstube
Darunter eine ganze Reihe von Alben, die die Entwicklung des Hauses dokumentieren, das unter der Regie seines Vater und ihm zu einem der führenden Restaurant der Region aufstieg, in der sich prominente Besucher wie Grete Weiser und Heinz Rühmann und die Besitzer und Manager der Großindustrie, darunter die Schäfers und Sachsens die Klinke in die Hand gaben. Gunter und sein Bruder Ernst Wilhelm waren oft Gäste. Ihr Vater Willy, der nach seiner amerikanischen Internierung auf Gut Rechenau wohnte, übernachtete sogar bisweilen auf der Couch bei Gößweins.
Horst Gößwein hat, wie es die Familientradition vorsah, den Beruf des Kochs und Küchenmeisters gelernt und die Ausbildung mit dem Besuch der Hotelfachschule Lausanne mit dem Diplom eines Hotelkaufmanns mit Auszeichnung abgeschlossen. Danach ging es auf Wanderschaft. Wie der Vater, heuerte Horst auf Schiffen der Holland-Amerika-Line an, war unter anderem in Häusern in Bern und Paris, in ganz Deutschland und auch in den USA beschäftigt. Ehe ihn der Vater 1960 in die Heimat zurückrief.
Am Stammtisch trafen Menschen aus allen Schichten aufeinander
Gut erinnert sich Horst Gößwein an die vielen Stammtische, die Menschen aus unterschiedlichsten Schichten zusammenführten. An den Jour fixe der Rechtsanwälte donnerstagabends, an die Handwerker, die sich früh um zehn auf eine "halbe Portion" trafen und nach getaner Arbeit den Rest zu sich nahmen. Beliebt waren neben Fischen auch ein Kalbskopf oder Schnickerli.
Für viele Schweinfurter wurde der "Der Gößwein", wie er genannt wurde, zum Stammlokal, wo sie ihre Familienfeiern ausrichteten.
Horst Gößwein: "Wir fühlten uns wie ein kleines Dorf"
Die Wirte verstanden sich nicht als Konkurrenten. "Wenn kein Bier mehr da war, wurde ich in die Mainlust geschickt: "Hol mal ein paar Fläschchen", erinnert sich Horst Gößwein. "Wir fühlten uns wie ein kleines Dorf."
120 Hektoliter hatte die Weinstube in ihren Weinfässern im Keller. Im Lokal gab es zwei Fischbecken, auch eines für Seefische. Meefischli, Aal, Hecht, Waller. Zander und Karpfen standen auf der Karte. 80 Angebote umfasste die Spargelkarte. Unter Hans und Horst Gößwein wurde das Lokal nicht nur zum Treffen der Industrie, sondern auch zum Lieferanten für Großveranstaltungen, zum Beispiel für die Eröffnung des Sachs-Casinos.
Horst Gößwein hat an internationalen Kochwettbewerben teilgenommen, 1964 erhielt er die erste Goldmedaille bei der internationalen Kochausstellung in Frankfurt. 1967 übernahm er das Geschäft.
Wegen seines guten Rufs wurde Horst Gößwein an die Berufsfachschule in Bad Kissingen gerufen. Zunächst stundenweise, nach dem Neubau dort hauptberuflich. Dafür entschied er sich, weil seine Tochter nicht in seine Fußstapfen treten wollte. Also wurde an das Ehepaar Hess zunächst verpachtet, später verkauft. Nun ist dort geschlossen. Ein Nachfolger wurde nicht gefunden.
Künftig wird eine Rechtsanwaltskanzlei in den Fischerrain 67 einziehen.