Auch Pergamon wurde nicht an einem Tag gebaut. So überschreibt Dr. Stephan Oettermann seinen Beitrag, die Begleitpublikation für Yadegar Asisis Panorama der antiken Metropole im Pergamonmuseum auf der Museumsinsel Berlin. An diesem gewaltigen Werk hat Oettermann, einst Stadtarchivar von Gerolzhofen, maßgeblich mitgearbeitet.
Das Pergamon-Panorama, das ein ganzes Jahr auf der Museumsinsel zu sehen war, gilt als Monumentalwerk. Zehn kreative Mitarbeiter setzten die schöpferische Idee des Künstlers und Architekten Yadegar Asisi um, fünf waren zuständig für Presse, Marketing und Finanzen und 60 weitere Mitarbeiterarten fast rund zweieinhalb Jahre lang mit Planung und Durchführung des Projekts beschäftigt. Stephan Oettermann besorgte weitgehend die Texte zur Ausstellung.
Gezeigt haben die Panoramamacher einen ganzen Tag des Lebens in der antiken Stadt zur Zeit des römischen Kaisers Hadrian (Regierungszeit 117 bis 138 n. Chr.), vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang und auch während der Nacht. Etwa 70 deutsche und türkische Akteure bevölkerten das Riesenpanorama, unter ihnen Stephan Oettermann in der Rolle des Gelehrten.
Spielen musste Oettermann diese Rolle nicht, denn er ist auch im wirklichen Leben ein Gelehrter. In seinem reichen Berufsleben war er als Literaturwissenschaftler, Kulturhistoriker, Kurator und Publizist (unter anderem für den „Spiegel“) unterwegs. Lange ausgehalten hat er es nirgends. „Das Projekt Pergamon war der längste Job meines Lebens“, sagt er, der inzwischen wieder nach Gerolzhofen in sein Haus in der Steingrabenstraße zurückgekehrt ist.
„Dieses Panorama ist ein Triumph der Perspektive, eine Vision von antiken urbanen Räumen“, meint Oettermann, vor allem im Blick auf die rekonstruierte Architektur Pergamons. In Berlin standen auf einer Fläche von 4500 Quadratmetern bis zu 25 Meter hohe und 103 Meter lange Bilder. Insgesamt 2472 Quadratmeter Stoff wurden für dieses Panorama bedruckt und zusammengenäht. Die Bäume für das antike Szenario kamen aus Südfrankreich.
Als das 360-Grad-Panorama am 30. September 2012 schloss, hatten 1,5 Millionen Besucher diese Rekonstruktion der antiken Metropole besucht. Damit war „Pergamon“ eine der erfolgreichsten Sonderausstellungen der Staatlichen Museen zu Berlin überhaupt. Die Rezeption bezeichnete das Panorama als wegweisendes Kooperationsprojekt aus Wissenschaft und Kunst.
Auch an Asisis nächstem Panorama mit dem Titel „Leipzig 1813“ war Stephan Oettermann anfangs noch als interner Kurator der Asisi GmbH beteiligt. Dieses Werk zeigt seit 3. August bis Ende 2015 die Völkerschlacht bei Leipzig aus der Perspektive der Stadt Leipzig vom Turm der Thomaskirche. Wie immer bei Asisi-Panoramen gehörte dazu eine Ausstellung. Aufgabe Oettermanns war es, Exponate beizuschaffen und abermals Texte zu schreiben. Hier war er ganz in seinem Metier, denn als Kulturhistoriker ist der knapp 64-Jährige Experte für das 18. und 19. Jahrhundert.
Prinzipiell sieht der Kulturhistoriker seine Arbeit eher unter künstlerischen Aspekten denn unter kommerziellen, auch wenn das Unternehmen Asisi riesige Umsätze hat. „Panoramamacher haben keine Abnehmer, sondern ein Publikum“, sagt er.
Warum aber hat Stephan Oettermann eine so interessante Arbeit in einem derart renommierten Unternehmen beendet? Wohl deshalb, weil er ein eigenständiger Geist ist, der selbst Ideen entwickeln und umsetzen will. Wer ihn kennt, weiß, dass Oettermann nicht zum Befehlsempfänger taugt. „Wenn eine Idee nicht vom Chef stammte, dann war sie nicht existent“, sagt er über Yadegar Asisi. Das klingt so, als wäre es der Grund, warum sich die Wege von Asisi und Oettermann getrennt haben. Doch er sagt auch: „Die Zeit der Panoramen war zu Ende, weil alle gute Dinge ein Ende haben.“
So wird Asisi jetzt ohne Oettermann ein Panorama über den Untergang der Titanic konzipieren. Und Stephan Oettermann wird sich wieder seinem Lexikon über öffentliche Vergnügungen widmen, das einmal 10 000 Seiten haben soll. Daran arbeitet er jetzt jeden Tag sechs bis sieben Stunden.
Er hat lange überlegt, ob er nicht seine Zelte auch in Gerolzhofen ganz abbrechen und sein Haus verkaufen sollte. Schließlich ist er an ein Leben aus dem Koffer gewohnt. In Berlin und Leipzig hat er Fluchtgedanken entwickelt. Doch er ist auch zu der Einsicht gelangt: „Wenn man immer älter wird und sieht, dass sich die Projekte häufen, sollte man auch mal sesshaft werden.“
Dass er sich für Gerolzhofen entschieden hat, ist nicht zuletzt auch der Tatsache zu verdanken, dass hier sein bester Freund Udo Cox lebt, ein Restaurator von Kunstgegenständen.
Einen verantwortlichen Posten wie etwa den des Stadtarchivars – er hatte ihn von 2003 bis 2009 – will der Kunsthistoriker in Gerolzhofen nicht mehr übernehmen. Den gab er übrigens aus ähnlichen Gründen wie jetzt bei Asisi auf: Er fühlte sich und seine Ideen nicht ernst genommen, geschweige denn verstanden, und sagte am Ende über sich und sein Verhältnis zur damaligen Bürgermeisterin Irmgard Krammer: „Oft war ich so gerade noch geduldet.“