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SCHWEINFURT
Einen jungen Dahlke muss die Stadt finanzieren
Jürgen Dahlke ist seit 32 Jahren hauptamtlicher Geschäftsführer der Kulturwerkstatt Disharmonie.
Foto: Hannes Helferich | Jürgen Dahlke ist seit 32 Jahren hauptamtlicher Geschäftsführer der Kulturwerkstatt Disharmonie.
Hannes Helferich
Hannes Helferich
 |  aktualisiert: 29.03.2018 02:32 Uhr

Auf die Frage, wie viele Menschen die Programme der Disharmonie unter seiner Ägide als Geschäftsführer schon besucht haben, antwortet Jürgen Dahlke spontan: „Massenhaft, fast eine Million“. Dann hält er aber doch kurz inne, rechnet zur Sicherheit noch mal nach, nickt und sagt, dass es vielleicht sogar mehr als eine Million sind. Seit 35 Jahren engagiert er sich in der Kulturwerkstatt, anfangs ehrenamtlich und auch mal kurz als Vorsitzender, seit 32 Jahren als Hauptamtlicher.

Disharmonie ohne Jürgen Dahlke ist im Moment noch schwer vorstellbar

Disharmonie ohne Dahlke? Die Antwort gibt unerwartet Ali Büttner. Er hat an diesem Montagvormittag mit seinem Korbtheater gerade fünf Kindergartengruppen glücklich gemacht, räumt im Saal seine Bühne weg und mischt sich ins Interview ein, weil er Dahlkes Arbeit loben und auf die „gigantische Programmvielfalt“ hinweisen will. Kindertheater gehört auch dazu, in der Disharmonie hat es einen festen Platz, freut er sich.

Alternative Kunst und Kultur fand in Schweinfurt vor 40 Jahren vor allem in der legendären „Schreinerei“ nahe dem Obertor statt. Aus dieser kritischen Bewegung gründeten sich dann vor 35 Jahren das Jugendkulturhaus Stattbahnhof und die Kulturwerkstatt Disharmonie, letztere mit dem „Super Standort“ am Main. Die Gutermannpromenade war damals „ein verlassenes Eck“, im Gebäude „haben die Tauben vom Marktplatz gewohnt“, erinnert Dahlke. Aber heute ist es hier vor allem wegen der Disharmonie voller Leben.

Die Kulturwerkstatt ist weit über die Grenzen der Stadt hinaus ein Begriff

Die Kulturwerkstatt sei heute etabliert, eine feste Größe, ein Begriff, längst nicht mehr nur in der lokalen Kulturlandschaft. Das drücke sich dadurch aus, dass Größen wie Django Asül, Rolf Miller oder Matuschek „bei uns ihre Premieren spielen“, womit Dahlke die Disharmonie, konkret den Saal mit 120 Sitzplätzen meint. „Wegen der Atmosphäre und weil die wissen, dass wir in Sachen Licht und Ton längst Profis sind“.

Finanzieren müsse sich die Disharmonie aber von Anfang selbst – mit einem Mix aus öffentlichen Mitteln, eigenen Umsätzen, privaten Geldgebern, Spendern, Sponsoren. „Das hat seinen Reiz, ist aber gelebte Unsicherheit, perspektivische Planungen lassen sich kaum kalkulieren“, sagt Dahlke. Gott sei Dank habe man das bisher immer hingekriegt, „weil wir mit Geld umgehen können, weil wir Risiko scheuen, weil uns über 600 Mitglieder stützen, weil der Vorstand engagiert ist und weil ehrenamtliche Helfer da sind“. Dahlke spricht von einer zirka 20-köpfigen Supertruppe, die die Künstler betreut, an der Theke steht, Kartendienst leistet.

Ohne die Ehrenamtlichen wäre das Mammut-Pensum nicht zu realisieren

Dahlke räumt ein, dass das/sein Pensum unheimlich ist. Von September bis in den Juni ist jedes Wochenende Dienst, 250 Veranstaltungen im Jahr, plus Workshops, plus Treffen der Gruppen im Haus. Er hat dennoch nach wie vor großen Spaß, denkt auch nicht heute oder morgen ans Aufhören, aber übermorgen. Dahlke ist 61. Er weiß, dass es einen wie ihn nicht mehr geben wird.

Er und der Verein wissen deshalb, dass jetzt irgendein junger Mensch eingestellt werden muss, der als Nachfolger aufgebaut wird. Der Disharmonie fehlt für diesen Vollzeitjob aber das Geld, der Verein könne gerade die, die den Laden so wunderbar am Laufen halten und bezahlen. Um diesen, seinen Job erledigen zu können, brauche es Überzeugung, vor allem aber tiefe Kontakte in die Szene. Der/die Neue „muss reinwachsen, das braucht seine Zeit“.

Kulturarbeit der Disharmonie ist Vielfalt, Teilhabe und Qualität

Dahlke sieht hier die Stadt gefordert, für die die Disharmonie ein großer Mehrwert sei, weil sie an den Schnittstellen von Kultur, Bildung, Jugend, Kindern, Umwelt, Soziales, Politik und Soziales wirkt. Die Kulturarbeit der Disharmonie beschreibt er so: „Sie besteht aus Teilhalbe plus Vielfalt plus Qualität“.

Von Anfang gebe es für dieses Gesamtpaket aber nur 40 000, erst seit kurzem 50 000 Euro. Nötig seien aber künftig die immer wieder auch beantragten 110 000 Euro pro Jahr, um diesen neuen jungen Menschen jetzt einstellen zu können. Ein bisschen davon sollte auch für die eine oder andere neue Programmidee übrig bleiben. „Wir brauchen gesicherte finanzielle Rahmenbedingungen“, sagt Dahlke. Wenn die Stadtratsmehrheit sich dieses Mal verweigere, „verarmt die Szene und 45 Jahre Arbeit beginnt wegen ein bisschen Geld einzuschlafen“, sagt Dahlke voraus.

Dahlke: Anteil der Freien Kultur am Kulturhaushalt der Stadt ist unangemessen

Er verweist hier auf die einmalige Erfolgsgeschichte der Schweinfurter Kulturvereine und Kulturverbände, die Talente und Kreative fördern, die mit ihrer Arbeit viel zur Integration beitragen. Aber: Mit einem Anteil von unscheinbaren 1,08 Prozent am Kulturhaushalt der Stadt für die gesamte Freie Kultur sei der Stellenwert vollkommen unangemessen. Was wäre angemessen? Dahlke überlegt da nicht lange, sagt zehn Prozent. Beim Gesamtetat für die Kultur in der Stadt wären das 1,2 Millionen Euro, halt zehnmal mehr als heute.

Der Disharmonie-Geschäftsführer lenkt hier den Blick auch auf die Zuschauerzahlen: 50 Prozent der Besucher kultureller Veranstaltungen in Schweinfurt nutzten die Angebote der freien Szene. Alle Stars seien aus den Kulturzentren gekommen, sagt Dahlke und nennt an Promis, die in der Disharmonie das Laufen lernten – Urban Priol, Pelzig (Frank Markus Barwasser), Michael Wollny. „Wir haben die Bühne für sie zur Verfügung gestellt“.

Herzenswunsch: Eine fest installierte Open-Air-Bühne auf dem Main

Es mangelt also nur am Geld, nicht an den Ideen und auch nicht an Künstlern. „Es gibt viel zu wenig Spielorte“, aber immer mehr Musiker und Künstler, die auftreten wollen. An manchen Tagen gibt es bis zu 70 Anfragen, berichtet er. Man kann es fast nicht glauben.

Die Theaterarbeit würde er gerne ausbauen, er hat interkulturelle Projekte im Kopf, will damit noch mehr Experimentelles und junge Leute ins Haus bringen und an die Disharmonie binden. „Wir schaffen das schon gut über den Jazz (Jazzival und Jazz am Main), die Slams um Manfred Manger und den Comedy-Longue“.

Und am Ende wiederholt er dann noch seinen Herzenswunsch: Eine fest installierte Open-Air-Bühne auf dem Main. Bei der Landesausstellung Main und Meer gab es – viel beachtet – eine solche schwimmende Bühne. „Das hätten wir gerne dauerhaft“, sagt Dahlke und fügt nicht ganz ernst gemeint an: „Wenn sogar Grillboote möglich sind“.

Michael Wollny ist heute ein Star. Groß geworden ist aber auch er mit Auftritten in der Disharmonie.
Foto: Josef Lamber | Michael Wollny ist heute ein Star. Groß geworden ist aber auch er mit Auftritten in der Disharmonie.
 
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