
Schweinfurt Am Montag, 22. Januar, liest der Autor Axel Hacke ab 19.30 Uhr im Evangelischen Gemeindehaus in Schweinfurt in der Friedenstraße 23 auf Einladung der Stadtbücherei Schweinfurt. Die Lesung war ursprünglich für den Ebracher Hof geplant und wurde wegen der großen Nachfrage verlegt. Im Gespräch mit dieser Zeitung spricht Hacke über sein neues Buch „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und wie wir miteinander umgehen“.
Axel Hacke: Zumindest schwierig. Es geht ja bei diesem Begriff nur an der Oberfläche um Benehmen oder Manieren, in der Tiefe aber um so etwas wie Respekt gegenüber anderen. Und dieser Respekt vor anderen schwindet, zumindest bei einer lautstarken Minderheit, ob das in der Politik ist, in den Sozialen Medien, überall greift eine geradezu unglaubliche Verrohung um sich.
Hacke: Deswegen habe ich ja das Buch geschrieben. Es muss einfach ein Thema sein, wie wir miteinander umgehen, darüber muss mehr geredet werden. Der Bürgermeister von Altena zum Beispiel, auf den im November ein Messerattentat verübt wurde, hat danach berichtet, wie er über Wochen und Monate im Internet bedroht und beleidigt wurde. Irgendwann greift dann halt einer zum Messer. Verbale Gewalt schlägt in physische um.
Hacke: Nein, die Weimarer Republik war ja eine Demokratie ohne Demokraten, wie mal jemand geschrieben hat, der Staat selbst war durchsetzt mit Antidemokraten. Das ist heute ganz anders. Aber man darf nie vergessen, dass eine Demokratie immer neu erarbeitet und erkämpft werden muss, einfach selbstverständlich ist sie nie.
Hacke: Ja, natürlich, darum geht es ja. Es gibt einfach sehr viele Menschen, die sich in unserem Staat nicht mehr ausreichend wahrgenommen fühlen und dann eine Partei wie die AfD wählen. Da ist es natürlich auch Aufgabe der Politiker, sich denen etwas mehr zu widmen. Es ist aber auch eine Aufgabe von uns allen. Ich mag es nicht so, wenn immer die Schuld für alles, was einem nicht passt, bei „den Politikern“ gesucht wird. Es ist oft eine billige Ausrede dafür, sich selbst nicht engagieren zu müssen.
Hacke: Das sehe ich in diesen beiden Fällen nun nicht so. Hoeneß hat im Gefängnis gesessen, Guttenberg hat seine Zerknirschung oft erklärt. Das waren riesige Fehler, die diese beiden gemacht haben, aber muss darauf nun die ewige Verdammnis folgen? Ob jemand danach unbedingt wieder ein Amt anstreben muss, ist eine andere Sache, aber Hoeneß zum Beispiel ist von seinen Vereinsleuten im FC Bayern gewählt, der hat ja beim FC Bayern nicht geputscht. Solche Fälle wird es übrigens immer geben. Es geht um etwas anderes: Wir leben in Zeiten, in denen eigentlich ganze Gesellschaften durch die Revolution ihrer Kommunikationsmittel, durch Migrationsströme, durch eine globalisierte Wirtschaft zutiefst verunsichert sind.
Eine solche Verunsicherung erzeugt Angst und eben auch Aggression – und mit diesen Phänomenen ist nun mal schwierig umzugehen.
Hacke: Mag sein. Aber der Stammtisch ist eine geschlossene Veranstaltung, das Internet ist Öffentlichkeit. Und es besteht die Gefahr, dass der Ton, der hier herrscht, zu einer Gewöhnung in eben dieser Öffentlichkeit führt, dass er salonfähig wird und um sich greift. Und das darf man nicht zulassen.
Hacke: Sicher. Trump ist ein Mensch, den man nicht übersehen kann, er verschafft sich Geltung, in den Fernsehdebatten ist er zum Beispiel sogar plötzlich hinter Hillary Clinton aufgetaucht, noch während sie redete, und hat dafür seinen Platz verlassen. Das hat ihn attraktiv gemacht für Leute, die sich übersehen fühlen, deswegen haben sie ihn gewählt.
Dass seine Politik nun eher dazu führt, dass er Arme noch ärmer macht und sich selbst bereichert, das werden sie erst später merken, zu spät. Übrigens ist Ohnmacht ein ganz zeittypisches Gefühl. All die großen weltweiten Umwälzungen geschehen ja sozusagen mit uns, wir haben keinen Einfluss darauf, ob das nun die Erfindung der sozialen Medien ist oder die Globalisierung, wir schauen doch alle hilflos zu.
Hacke: Warum? Ich finde gerade dieses unablässige Heben des Zeigefingers gegenüber denen, die sich vom Fremden durchaus auch bedroht fühlen, nicht richtig. Es ist nicht unanständig, Angst gegenüber dem Fremden zu haben, es ist ein normales menschliches Verhalten. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Mit Feindseligkeit kommen wir nicht weiter. Aber mit Moralisieren auch nicht. Es kann eine sehr anständige Haltung sein, entschieden zu sagen: Wir werden hier in Deutschland nicht allen helfen können, die zu uns kommen. Aber es nützt trotzdem nichts, denen, die kommen, mit Hass zu begegnen. Das tut man einfach nicht.
Hacke: Die Rolle, die sie immer spielen: Die Wahrheit herausfinden, über sie berichten, Lügen entlarven, denen zur Sprache verhelfen, die sonst in der Öffentlichkeit nicht zur Geltung kämen, also einfach: ehrlich ihre Arbeit in einer Demokratie machen, unbeirrt.
Hacke: Also, die deutsche Gesellschaft besteht zum allergrößten Teil aus hochanständigen Menschen, die von ihren Eltern so erzogen worden sind. Es besteht nur die Gefahr, dass uns in der Gesellschaft, in der wir leben, das „Ich“ ein bisschen zu sehr in den Vordergrund gerutscht ist, und das „Wir“ eher in Vergessenheit gerät. Das muss man zum Thema machen. Deswegen sind nicht alle Deutschen Egoisten, im Gegenteil, die Tatsache, dass mein Buch seit Monaten in den Bestsellerlisten steht, zeigt mir, dass sich sehr viele Menschen unglaublich unwohl fühlen damit, dass ein paar Maßstäbe verrutscht sind.
Hacke: Nein, im Gegenteil. Es gibt durchaus Wichtigeres als berufliches Fortkommen. Aber das muss natürlich schon jeder für sich selbst entscheiden.
Hacke: So hat er sich auch gefühlt. Aber bei ihm galt Anstand immer nur gegenüber seinesgleichen, seiner Familie, seinen SS-Männern. Anstand ist aber ein unteilbarer Begriff, der grundsätzliche Respekt hatte allen Menschen zu gelten. Die Nazis haben einen Begriff übernommen, der ihnen nach meiner Vorstellung eben nicht gehört. Darüber haben ja damals auch andere geschrieben. Erich Kästner zum Beispiel, Hans Fallada, Albert Camus.
Hacke: Darum geht es. Zivilisation ist immer bedroht von dem, was tief drinnen rumort im Menschen an Aggression, Wut, Gemeinheit, sie muss immer wieder errungen und verteidigt werden.
Hacke: Sie sagen es ja selbst: weil er gegen das Establishment antritt, von dem sich viele nicht vertreten fühlen. So hat es ja Berlusconi in Italien auch gemacht, sich als Vertreter der kleinen Leute ausgegeben und hinter dieser Fassade Bunga-Bunga gemacht und sich die Taschen gefüllt. Er hat kein einziges Problem gelöst, sondern alles nur verschlimmert. So wird es bei Trump auch sein.
Hacke: Sagen wir es so: Nicht jeder AfD-Wähler ist ein Nazi, obwohl etliche AfD-Politiker es sind. Und ich halte auch nichts davon, jeden von ihnen nun als Faschisten zu beschimpfen, obwohl man natürlich auch klar sagen muss, dass er mit seiner Wahl politisch sehr dubiose Leute unterstützt. Aber oft wäre es wohl nützlicher, man würde erst einmal fragen, sich interessieren: Warum wählst du die, was ist dir passiert, dass du dich so entscheidest? Einfach reden, sich erkundigen, das ist immer erst mal besser als gleich zu urteilen.
Hacke: Man kann doch nicht im Ernst wegen Trump den Kontakt zu den USA abbrechen wollen. Er hatte ja nicht einmal die Mehrheit der Stimmen, nur das Wahlsystem hat ihn ins Amt gebracht. Die Mehrheit der Amerikaner ist mit dem Mann noch viel unglücklicher, als wir es sind.
Hacke: Ja, natürlich. Aber man muss natürlich auch schon eine eigene Haltung haben, und wenn es um den Anstand geht, dann muss die eigentlich sein: Welche Meinung man auch immer hat, zur Flüchtlingspolitik zum Beispiel: Aggression gegen Menschen hilft in keinem Fall weiter, die macht alles nur noch schlimmer. Mich hat schon an dem vor Jahren erschienenen Buch von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ neben vielen Inhalten am meisten die Form gestört, dieser mürrische, irgendwie menschenfeindliche Ton, der da im Buch rumorte.
Hacke: Mit der Dummheit in diesem Sinn ist ja in meinem Buch so eine Seelendummheit gemeint, wie Robert Musil das mal formuliert hat, eine gefühlsmäßige Verrohung – das ist ja keine Intelligenz- oder Bildungsfrage. Und da gibt es tatsächlich Leute, mit denen kann man kaum noch diskutieren, so wie eine Auseinandersetzung mit echten Rechtsradikalen eher Zeitverschwendung ist. Aber darum geht es ja nicht, es geht um sehr viele andere Menschen, mit denen man reden kann und muss.
Hacke: Klar, sind sie ja auch. Aber es gibt eine Menge Leute, die in keiner Kirche sind.
Hacke: Warum immer dieser Ruf nach Vorbildern? Ich finde, für seine Haltung ist erst mal jeder selbst verantwortlich, wir sind doch alles erwachsene Menschen. Und ich finde es auch verständlich, dass man – ob man das nun Leitkultur nennt oder anders – in diesen Zeiten über solche Identitätsfragen debattiert. Aber eine Diskussion über den Anstand, also über die Frage, wie wir eigentlich miteinander umgehen wollen und wie nicht, finde ich tatsächlich mindestens genauso wichtig. Es ist sehr schade, dass das so lange übersehen worden ist. Aber das ändert sich ja nun auch gerade.
Tickets für die Lesung am 22. Januar (19.30 Uhr) im evangelischen Gemeindehaus in Schweinfurt gibt es in der Stadtbücherei (12 Euro VVK/15 Euro Abendkasse). Schüler/innen und Student/innen zahlen einen Fixpreis von fünf Euro. Die bereits gekauften Karten für den Ebracher Hof behalten natürlich ihre Gültigkeit.