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SCHWEINFURT
„Eine unglaubliche Verrohung“
Axel Hacke       -  Autor Axel Hacke kommt am 22. Januar zu einer Lesung im evangelischen Gemeindesaal in Schweinfurt.
Foto: DPA/Pförtner | Autor Axel Hacke kommt am 22. Januar zu einer Lesung im evangelischen Gemeindesaal in Schweinfurt.
Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 04.09.2018 02:21 Uhr

Schweinfurt Am Montag, 22. Januar, liest der Autor Axel Hacke ab 19.30 Uhr im Evangelischen Gemeindehaus in Schweinfurt in der Friedenstraße 23 auf Einladung der Stadtbücherei Schweinfurt. Die Lesung war ursprünglich für den Ebracher Hof geplant und wurde wegen der großen Nachfrage verlegt. Im Gespräch mit dieser Zeitung spricht Hacke über sein neues Buch „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und wie wir miteinander umgehen“.

Herr Hacke, über die Frage des Anstandes und wie wir miteinander umgehen, haben Sie sich viele Gedanken gemacht. Wie ist das denn nun mit dem Anstand bei uns in Deutschland?

Axel Hacke: Zumindest schwierig. Es geht ja bei diesem Begriff nur an der Oberfläche um Benehmen oder Manieren, in der Tiefe aber um so etwas wie Respekt gegenüber anderen. Und dieser Respekt vor anderen schwindet, zumindest bei einer lautstarken Minderheit, ob das in der Politik ist, in den Sozialen Medien, überall greift eine geradezu unglaubliche Verrohung um sich.

Donald Trump als US-Präsident, Putin in Russland, der Syrienkonflikt, die AfD im Bundestag, die Pegida-Märsche in Dresden – in Sachen Enthemmung der politischen Diskussionskultur kann einem nach den letzten zwei Jahren angst und bange werden.

Hacke: Deswegen habe ich ja das Buch geschrieben. Es muss einfach ein Thema sein, wie wir miteinander umgehen, darüber muss mehr geredet werden. Der Bürgermeister von Altena zum Beispiel, auf den im November ein Messerattentat verübt wurde, hat danach berichtet, wie er über Wochen und Monate im Internet bedroht und beleidigt wurde. Irgendwann greift dann halt einer zum Messer. Verbale Gewalt schlägt in physische um.

Sind wir wieder in den 1930er Jahren und merken es gar nicht?

Hacke: Nein, die Weimarer Republik war ja eine Demokratie ohne Demokraten, wie mal jemand geschrieben hat, der Staat selbst war durchsetzt mit Antidemokraten. Das ist heute ganz anders. Aber man darf nie vergessen, dass eine Demokratie immer neu erarbeitet und erkämpft werden muss, einfach selbstverständlich ist sie nie.

Sie haben in Ihrem Buch eindrucksvoll die Szene beschrieben, wie ein Minister und eine Bürgerin in Dresden sich über das Anti-Kriegs-Kunstwerk vor der Frauenkirche streiten und erkennbar aneinander vorbeireden. Wäre es nicht Aufgabe der Politik, viel mehr zu versuchen, die womöglich irrationalen Ängste speziell dieser Frau ernst zu nehmen, nachzufragen, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen?

Hacke: Ja, natürlich, darum geht es ja. Es gibt einfach sehr viele Menschen, die sich in unserem Staat nicht mehr ausreichend wahrgenommen fühlen und dann eine Partei wie die AfD wählen. Da ist es natürlich auch Aufgabe der Politiker, sich denen etwas mehr zu widmen. Es ist aber auch eine Aufgabe von uns allen. Ich mag es nicht so, wenn immer die Schuld für alles, was einem nicht passt, bei „den Politikern“ gesucht wird. Es ist oft eine billige Ausrede dafür, sich selbst nicht engagieren zu müssen.

„Es besteht die Gefahr, dass der Ton, der hier herrscht, zu einer Gewöhnung in eben dieser Öffentlichkeit führt, dass er salonfähig wird und um sich greift. Und das darf man nicht zulassen.“
Axel Hacke über die gerade in Sozialen Medien spürbare Verrohung des Umgangstons bei Diskussionen.
Ist es nicht verständlich, wenn das Gefühl die da oben hören auf uns da unten sowieso nicht, aufkommt? Es sind nur kleine Mosaiksteinchen, aber die Selbstgerechtigkeit von Uli Hoeneß und Karl-Theodor zu Guttenberg suchte ihresgleichen.

Hacke: Das sehe ich in diesen beiden Fällen nun nicht so. Hoeneß hat im Gefängnis gesessen, Guttenberg hat seine Zerknirschung oft erklärt. Das waren riesige Fehler, die diese beiden gemacht haben, aber muss darauf nun die ewige Verdammnis folgen? Ob jemand danach unbedingt wieder ein Amt anstreben muss, ist eine andere Sache, aber Hoeneß zum Beispiel ist von seinen Vereinsleuten im FC Bayern gewählt, der hat ja beim FC Bayern nicht geputscht. Solche Fälle wird es übrigens immer geben. Es geht um etwas anderes: Wir leben in Zeiten, in denen eigentlich ganze Gesellschaften durch die Revolution ihrer Kommunikationsmittel, durch Migrationsströme, durch eine globalisierte Wirtschaft zutiefst verunsichert sind.

Eine solche Verunsicherung erzeugt Angst und eben auch Aggression – und mit diesen Phänomenen ist nun mal schwierig umzugehen.

Gerade in den Sozialen Medien und im Internet allgemein scheint das Niveau gesunken, geht es rau und herzlos zu. Sind wir enthemmt oder wird das überbewertet? Im Prinzip hat sich der Stammtisch doch einfach nur verlagert.

Hacke: Mag sein. Aber der Stammtisch ist eine geschlossene Veranstaltung, das Internet ist Öffentlichkeit. Und es besteht die Gefahr, dass der Ton, der hier herrscht, zu einer Gewöhnung in eben dieser Öffentlichkeit führt, dass er salonfähig wird und um sich greift. Und das darf man nicht zulassen.

Im Buch ist auch das Zitat zu finden: „Der Mensch hält sich nicht aus, wenn er sich als komplett bedeutungslos empfindet.“ Erklärt das die Lautstärke und Vehemenz mancher Zeitgenossen?

Hacke: Sicher. Trump ist ein Mensch, den man nicht übersehen kann, er verschafft sich Geltung, in den Fernsehdebatten ist er zum Beispiel sogar plötzlich hinter Hillary Clinton aufgetaucht, noch während sie redete, und hat dafür seinen Platz verlassen. Das hat ihn attraktiv gemacht für Leute, die sich übersehen fühlen, deswegen haben sie ihn gewählt.

Dass seine Politik nun eher dazu führt, dass er Arme noch ärmer macht und sich selbst bereichert, das werden sie erst später merken, zu spät. Übrigens ist Ohnmacht ein ganz zeittypisches Gefühl. All die großen weltweiten Umwälzungen geschehen ja sozusagen mit uns, wir haben keinen Einfluss darauf, ob das nun die Erfindung der sozialen Medien ist oder die Globalisierung, wir schauen doch alle hilflos zu.

Wenn man anständiges Verhalten einfordert, ist man dann nur ein linksliberaler, politischer Mainstream-Belehrer? Ein moralisierender Fantast?

Hacke: Warum? Ich finde gerade dieses unablässige Heben des Zeigefingers gegenüber denen, die sich vom Fremden durchaus auch bedroht fühlen, nicht richtig. Es ist nicht unanständig, Angst gegenüber dem Fremden zu haben, es ist ein normales menschliches Verhalten. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Mit Feindseligkeit kommen wir nicht weiter. Aber mit Moralisieren auch nicht. Es kann eine sehr anständige Haltung sein, entschieden zu sagen: Wir werden hier in Deutschland nicht allen helfen können, die zu uns kommen. Aber es nützt trotzdem nichts, denen, die kommen, mit Hass zu begegnen. Das tut man einfach nicht.

Welche Rolle spielen die Massenmedien in der Frage des Anstands?

Hacke: Die Rolle, die sie immer spielen: Die Wahrheit herausfinden, über sie berichten, Lügen entlarven, denen zur Sprache verhelfen, die sonst in der Öffentlichkeit nicht zur Geltung kämen, also einfach: ehrlich ihre Arbeit in einer Demokratie machen, unbeirrt.

Es scheint so, als seien wir von Kindesbeinen an zur Ich-Gesellschaft erzogen worden, bei der es nur um die eigenen Bedürfnisse geht, das eigene Fortkommen, den eigenen Erfolg. Was ist da passiert?

Hacke: Also, die deutsche Gesellschaft besteht zum allergrößten Teil aus hochanständigen Menschen, die von ihren Eltern so erzogen worden sind. Es besteht nur die Gefahr, dass uns in der Gesellschaft, in der wir leben, das „Ich“ ein bisschen zu sehr in den Vordergrund gerutscht ist, und das „Wir“ eher in Vergessenheit gerät. Das muss man zum Thema machen. Deswegen sind nicht alle Deutschen Egoisten, im Gegenteil, die Tatsache, dass mein Buch seit Monaten in den Bestsellerlisten steht, zeigt mir, dass sich sehr viele Menschen unglaublich unwohl fühlen damit, dass ein paar Maßstäbe verrutscht sind.

Ist es dumm, anständig zu sein, wenn es mein berufliches Fortkommen behindert, ich aber für meine Werte eingetreten bin?

Hacke: Nein, im Gegenteil. Es gibt durchaus Wichtigeres als berufliches Fortkommen. Aber das muss natürlich schon jeder für sich selbst entscheiden.

Ist Anstand nur eine Frage der Perspektive? So gesehen wäre auch ein Heinrich Himmler, einer der größten nationalsozialistischen Massenmörder, mit seiner im Buch geschilderten Rede zum Thema Anstand ein zumindest aus seiner und seiner Anhänger Sicht anständiger Mensch gewesen.

Hacke: So hat er sich auch gefühlt. Aber bei ihm galt Anstand immer nur gegenüber seinesgleichen, seiner Familie, seinen SS-Männern. Anstand ist aber ein unteilbarer Begriff, der grundsätzliche Respekt hatte allen Menschen zu gelten. Die Nazis haben einen Begriff übernommen, der ihnen nach meiner Vorstellung eben nicht gehört. Darüber haben ja damals auch andere geschrieben. Erich Kästner zum Beispiel, Hans Fallada, Albert Camus.

Kann eine weltweite Version des Anstandes „den dünnen Firnis der Zivilisation“ zusammenhalten?

Hacke: Darum geht es. Zivilisation ist immer bedroht von dem, was tief drinnen rumort im Menschen an Aggression, Wut, Gemeinheit, sie muss immer wieder errungen und verteidigt werden.

In Ihren SZ-Kolumnen kommt US-Präsident Donald Trump oft vor. Seine Egozentrik, sein Machtwille, seine Ich-Bezogenheit faszinierten seine Wähler, weil er sich als Anti-Establishment gerierte. Wieso ist das so?

Hacke: Sie sagen es ja selbst: weil er gegen das Establishment antritt, von dem sich viele nicht vertreten fühlen. So hat es ja Berlusconi in Italien auch gemacht, sich als Vertreter der kleinen Leute ausgegeben und hinter dieser Fassade Bunga-Bunga gemacht und sich die Taschen gefüllt. Er hat kein einziges Problem gelöst, sondern alles nur verschlimmert. So wird es bei Trump auch sein.

Wenn man davon ausgeht, dass Trump unanständig ist, was sind dann seine Wähler?

Hacke: Sagen wir es so: Nicht jeder AfD-Wähler ist ein Nazi, obwohl etliche AfD-Politiker es sind. Und ich halte auch nichts davon, jeden von ihnen nun als Faschisten zu beschimpfen, obwohl man natürlich auch klar sagen muss, dass er mit seiner Wahl politisch sehr dubiose Leute unterstützt. Aber oft wäre es wohl nützlicher, man würde erst einmal fragen, sich interessieren: Warum wählst du die, was ist dir passiert, dass du dich so entscheidest? Einfach reden, sich erkundigen, das ist immer erst mal besser als gleich zu urteilen.

Wenn ein anderes Land auf der Welt sagt, nein, mit diesen USA wollen wir nichts zu tun haben, bei uns gilt „Anstand first“, wäre es klug, alle Kontakte abzubrechen? Ist Reden, Diskutieren, Überzeugen nicht besser?

Hacke: Man kann doch nicht im Ernst wegen Trump den Kontakt zu den USA abbrechen wollen. Er hatte ja nicht einmal die Mehrheit der Stimmen, nur das Wahlsystem hat ihn ins Amt gebracht. Die Mehrheit der Amerikaner ist mit dem Mann noch viel unglücklicher, als wir es sind.

Als Donald Trump gewählt wurde, gab es einen weltweiten Aufschrei, danach fast täglich erneut über diese oder jene These. Das Gleiche gilt auf Deutschland bezogen auf die AfD. Aber stellen wir die richtigen Fragen? Müssten wir uns nicht viel mehr mit den Wählern, deren Lebensrealität und deren Nöten und Ängsten beschäftigen?

Hacke: Ja, natürlich. Aber man muss natürlich auch schon eine eigene Haltung haben, und wenn es um den Anstand geht, dann muss die eigentlich sein: Welche Meinung man auch immer hat, zur Flüchtlingspolitik zum Beispiel: Aggression gegen Menschen hilft in keinem Fall weiter, die macht alles nur noch schlimmer. Mich hat schon an dem vor Jahren erschienenen Buch von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ neben vielen Inhalten am meisten die Form gestört, dieser mürrische, irgendwie menschenfeindliche Ton, der da im Buch rumorte.

Das von Ihnen skizzierte „Museum der Dummheit“ ist eine charmante Idee. Nur wie bekommt man die Dummen da rein und zur Selbsterkenntnis? Oder sollte man es nicht lieber mit Mark Twain halten, nicht mit den Dummen zu diskutieren, weil sie einen eh nur auf ihr Niveau ziehen?

Hacke: Mit der Dummheit in diesem Sinn ist ja in meinem Buch so eine Seelendummheit gemeint, wie Robert Musil das mal formuliert hat, eine gefühlsmäßige Verrohung – das ist ja keine Intelligenz- oder Bildungsfrage. Und da gibt es tatsächlich Leute, mit denen kann man kaum noch diskutieren, so wie eine Auseinandersetzung mit echten Rechtsradikalen eher Zeitverschwendung ist. Aber darum geht es ja nicht, es geht um sehr viele andere Menschen, mit denen man reden kann und muss.

Welche Rolle spielen die Kirchen, die Religionen allgemein? Können sie Leitlinie in Sachen Anstand sein?

Hacke: Klar, sind sie ja auch. Aber es gibt eine Menge Leute, die in keiner Kirche sind.

Sie sagen, in Sachen Anstand muss jeder bei sich selbst anfangen, mit Respekt gegenüber dem anderen. Reicht das? Brauchen wir nicht mehr Vorbilder, unter anderem den Staat und seine Repräsentanten? Wieso gibt es eigentlich keine deutschlandweite Diskussion darüber, was wir unter Anstand verstehen, dafür aber eine darüber, was unsere Leitkultur sein soll?

Hacke: Warum immer dieser Ruf nach Vorbildern? Ich finde, für seine Haltung ist erst mal jeder selbst verantwortlich, wir sind doch alles erwachsene Menschen. Und ich finde es auch verständlich, dass man – ob man das nun Leitkultur nennt oder anders – in diesen Zeiten über solche Identitätsfragen debattiert. Aber eine Diskussion über den Anstand, also über die Frage, wie wir eigentlich miteinander umgehen wollen und wie nicht, finde ich tatsächlich mindestens genauso wichtig. Es ist sehr schade, dass das so lange übersehen worden ist. Aber das ändert sich ja nun auch gerade.

Tickets für die Lesung am 22. Januar (19.30 Uhr) im evangelischen Gemeindehaus in Schweinfurt gibt es in der Stadtbücherei (12 Euro VVK/15 Euro Abendkasse). Schüler/innen und Student/innen zahlen einen Fixpreis von fünf Euro. Die bereits gekauften Karten für den Ebracher Hof behalten natürlich ihre Gültigkeit.

„Warum immer dieser Ruf nach Vorbildern? Ich finde, für seine Haltung ist erst mal jeder selbst verantwortlich, wir sind doch alles erwachsene Menschen.“
Axel Hacke auf die Frage, ob die Bürger mehr Vorbilder brauchen, unter anderem in der Politik.
 
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