Zugegeben, vor dem Gastspiel der Kammeroper München mit dem bekannten Schwank „Charleys Tante“ als Operette hatte ich meine Zweifel: Wie kann man diesen Lustspiel-Klassiker des Engländers Brandon Thomas (1850-1914) zur Operette umarbeiten? Unterbrechen die Musiknummern nicht den Fluss des Stückes, schmälern sie nicht seine auf Dauer-Komik angelegte Wirkung? Und wie kann man die für Orchester komponierte Unterhaltungsmusik des heute fast vergessenen Komponisten Ernst Fischer (1900-1975) mit Gesangstexten versehen, zumal diese instrumentalen Charakterstücke nicht gerade reich an gesanglichen Linien sind. Und: Kann man das dann überhaupt Operette nennen, wenn man die Werke von Emmerich Kálmán und Franz Lehár im Ohr hat?
Und nach der Aufführung? Dass viele dieser Vorbehalte im Verlauf verblassten und stattdessen Begeisterung für ein bezaubernd neues Theaterstück wuchs, war vor allem dem Regisseur, Autor, Übersetzer, Darsteller und Dozenten Dominik Wilgenbus zu verdanken. Er führte bei „Charleys Tante“ Regie und schrieb das Buch und die Liedtexte.
Zu diesem Glücksfall gesellte sich ein zweiter: Nämlich der Allround-Musiker Alexander Krampe, der Fischers Musik für das kleine Orchester bearbeitete und arrangierte. Erst vor 14 Tagen hatte Krampe mit der Instrumentierung der Klavierstimme von Franz Schuberts „Die Winterreise“ sein empfindsames Können bewiesen.
Dieses hervorragende Leitungsteam der Kammeroper München inspiriert mit seiner Theaterleidenschaft auch alle Mitwirkenden: Angefangen mit dem liebevoll gestalteten Programmheft von Nerina Wilter, mit den viktorianischen Kostümentwürfen von Uschi Haug, über Peter Engels stimmiges Bühnenbild aus Buchrücken, die Choreografie von Bettina Fritsche bis zum Dirigenten Nabil Shehata und seinen Musikerinnen und Musikern. Sie ließen die neu arrangierte Musik Ernst Fischers funkeln, luftig und sprühend wie die virtuosen Marimbaphon-Kapriolen von Ria Ideta.
Oxford 1892. Wir sind im St. Olde?s College und treffen den Studenten Charles (Semjon Bulinsky), der in Amy Spettigue (Anne-Katrin Steffens), Tochter des Prodekans Lord Spettigue (Maximilian Kiener), unsterblich verliebt ist. Doch wo kann er sich ihr erklären? Da kommt ein Telegramm der unbekannten reichen Erbtante aus Brasilien gerade recht, die sich zum Lunch ankündigt. Das ist die Gelegenheit. Doch als sich die Tante verspätet, muss Charleys Freund Fancourt Babberley, Student mit Theaterambitionen (Maximilian Nowka), diese Tante spielen.
Mitten in diesem falschen Spiel taucht plötzlich die echte Erbtante Donna Lucia (Katharina Blaschke) auf. Der allgegenwärtige Butler Brassett (Burkhard Kosche), der zackige Colonel Sir Chesney von Torsten Frisch und Theresa Pilsl als Ela Delahay vervollständigen das singende und spielende Ensemble.
Unschlagbare Situationskomik
Vor allem aber ist ihr komödiantisches Talent gefordert, um die unschlagbare Situationskomik, die Verwechslungen, Notlügen und den Wortwitz des Schwanks zu präsentieren. Das gelingt den spielfreudigen Akteuren ebenso gut wie die zahlreichen Slapstick-Nummern, etwa die tolle Sturz-Szene von Maximilian Nowka. Sängerische Höhepunkte sind die Duette Amy-Charley „Frag mich mal was Leichtes“ und „Jetzt kommt das Glück“, Charleys Bekenntnis „Ich bin ein Freak“, das Duett „Es ist vorbei“, Babberleys „Spiel nicht mit mir“ oder Donna Lucias Erinnerung an „Pedro, den wilden Stier“.
Langer begeisterter Applaus für alle Darsteller, für einen faschingstollen, mit spürbarer Spiellust präsentierten Nachmittag. Natürlich kam dazu auch Dirigent Nabil Sheata für sein Orchester mit auf die Bühne.
Vielleicht lernt das Publikum ja auch einmal die beiden kreativen Theatermacher der engagierten Truppe kennen, Dominik Wilgenbus und Alexander Krampe. Denn die Kammeroper München wird sicher wieder mit einem neuen Programm im Schweinfurter Theater für eine Überraschung sorgen.