Das Thermometer zeigt 45 Grad. Blauer, wolkenloser Himmel bis zum Horizont. In der Ferne wirbelt Staub auf. Eine Explosion. Schreie, eine zweite Explosion. Männer in Uniform rennen los, verschanzen sich hinter Hauswänden und Ruinen. Es gibt einen Verletzten. Er liegt im Staub und windet sich vor Schmerzen. Die Männer handeln schnell, spurten auf die Straße, packen den Verletzten an den Schultern und schleifen ihn in sichere Entfernung, um ihn erstzuversorgen.
Von den Kameraden erhalten sie Rückendeckung, mit den Waffen im Anschlag wird der Verletztentransport gesichert. „Tak, Tak, Tak“, rufen die Peschmerga, und zielen auf den imaginären Feind. Franz W. aus Wipfeld gibt ein Signal. Die Übung ist beendet. Der vermeintlich angeschossene Soldat steht auf, klopft sich den Staub aus der Uniform.
Das Szenario bedeutet Alltag in einem Ausbildungscamp der Peschmerga außerhalb von Erbil, der Hauptstadt Kurdistans im Nordirak. Der Wipfelder bildet im Rahmen des deutschen Bundestagsmandats kurdische Soldaten im Kampf gegen die IS aus. Die Übung zeigt: Genau so kann der Ernstfall aussehen, an der Front, die nicht mal zwei Autostunden entfernt ist. Der deutsche Hauptfeldwebel ist noch nicht zufrieden. Doch das ist normal, denn die Peschmerga sind hier, um zu lernen: wie man kämpft, wie man sich schützt, wie man eine Strategie entwickelt.
Das Gelernte wird an die Soldaten weitergegeben
Zuverlässigkeit spielt dabei eine ganz große Rolle. Ein kurdischer Sprachmittler ist immer dabei, übersetzt.
Franz W. erklärt, was verbessert werden kann. Ausgebildet werden hier Trainer, die das Gelernte an ihre Soldaten weitergeben. „Wir wollen nicht den Einzelnen ausbilden, sondern den Ausbilder, dass er das Gelernte weitergeben kann. Ziel ist, dass er eigenverantwortlich arbeitet und führen kann“, ergänzt Soldatin Almut G. aus Uffenheim.
Franz W. ist als Spezialist gegen atomare, biologische und chemische Waffen in der ABC-Abwehr eingesetzt. Zurzeit dient er in der Kaserne in Bruchsal, möchte aber gerne nach Bayern zurück. „Die Standorte Hammelburg oder Wildflecken wären ideal“, sagt der Berufssoldat. Sein Aufgabengebiet ist vielseitig, angefangen vom Anlegen der Schutzkleidung und Masken, der Desinfektion im Ernstfall und sicherer Wasseraufbereitung bis hin zur Dekontamination von Personen und Fahrzeugen. „Solange Länder chemische Waffen besitzen, sind ABC-Kapazitäten notwendig. Es bleibt ein brisantes Thema.“
Der ausgebildete Chemielaborant ist in Kaufbeuren aufgewachsen, in der Nähe einer Kaserne. „Das hat meine Berufswahl beeinflusst“, gibt er zu. Bereut hat er sie nicht.
Weniger Verluste an der Front
„Ich möchte auch weiterhin an Auslandseinsätzen teilnehmen, andere Kulturen kennenlernen und interessante Eindrücke bekommen“, sagt der 27-Jährige. Sein Wunschziel ist die Offizierslaufbahn. Die Peschmerga-Soldaten sitzen dicht gedrängt im Schatten. „Seit wir von den Deutschen ausgebildet werden, haben wir viel weniger Verluste an der Front“, sagt Sarbast, ein 34-jähriger Kurde. Was das bedeutet, ist klar: weniger Tote, die im Kampf gegen die IS fallen. Der dreifache Familienvater hat schon gegen Saddam Hussein gekämpft, später gegen den Islamischen Staat (IS) in Mossul, in der irakischen Armee.
„Doch als Kurde habe ich viele Benachteiligungen erlebt“, erzählt der Anti-Terror-Spezialist. Jetzt kämpft er mit den Peschmerga für die Sicherheit seiner Heimat Kurdistan. Die Familie ist mit seinem Einsatz einverstanden. „Meine Frau sieht das als eine große Ehre, wenn ich für mein Land kämpfe“, sagt er stolz.
Franz W. ist jetzt fast vier Monate im Irak. Nur noch wenige Wochen, dann kommt er zurück nach Hause. „Ich vermisse Familie und Freunde“, gibt er zu. „Und vor allem frische Luft und Grün. Das geht mir ab!“ Durch den Übersetzer hat er einen engen Kontakt zu den lokalen Soldaten, die er ausbildet. „Natürlich lernt man die Peschmerga sehr gut kennen, wir verbringen ja täglich mehrere Stunden miteinander. Aber es ist wichtig, einen gewissen Abstand zu wahren, denn immerhin sind wir ihre Ausbilder, und sie sollen ja etwas lernen“, sagt der Hauptfeldwebel.
Viele einheimische Soldaten sind Analphabeten
Dann spricht er über das andere Selbstverständnis des Kämpfens mit der Waffe und, wie wichtig die Ausbildungsmission der Bundeswehr hier ist. Bei den Lehrgängen wird viel mit Bildern gearbeitet, Kampf- und Verteidigungsszenen werden mit Figuren oder Steinen dargestellt. Denn viele von den einheimischen Soldaten sind Analphabeten. Die jetzige Ausbildungsgruppe sei kriegserfahren, „die Soldaten haben schon in Mossul gekämpft“.
Doch bis die lokalen Soldaten als Ausbilder und Gruppenführer qualifiziert sind, ist es ein langer Weg. „Sie müssen wissen, wie man sich im Ernstfall verhält, strategisch und verteidigungsmäßig. Zusätzlich müssen sie in einem Kurzvortrag präsentieren, dass sie Führungsstärke besitzen. Lesen und schreiben zu können, ist nicht zwingend nötig“, ergänzt der Unterfranke.
„Wir bilden die Peschmerga aus, damit sie gegen den IS bestehen können. Das trägt auch zur Sicherheit für Europa bei“, fasst Oberst Peter Eichelsdörfer, Kommandeur des deutschen Einsatzkontingentes, den internationalen Einsatz zusammen. Der Krieg gegen die Islamisten tobt in rund 140 Kilometern Entfernung, in Tal Afar. Das nahe Mossul wurde fast ganz von der IS befreit. Dort gibt es aber immer noch genügend Sprengfallen, die eine Erkundungstour in der Stadt fast unmöglich machen. Trotzdem sind die deutschen Soldaten im Zuge ihrer Auftragserfüllung auch außerhalb des Camps unterwegs.
Ein Arzt ist immer dabei
„Erbil ist sicher, doch viele Dörfer außerhalb sind zerstört“, ergänzt der Vorgesetzte des 27-Jährigen. Dort gibt es noch jede Menge an Sprengkörpern, die versteckt und heimtückisch in Häusern, auf dem Dorfplatz und auf Wegen deponiert sind. „Wir fahren auch nur in gepanzerten Fahrzeugen raus, im Konvoi, ein Arzt ist immer dabei. Damit es eine schnelle Erstversorgung im Fall eines Angriffes oder einer Explosion gibt“, ergänzt Eichelsdörfer. „Das Gefühl einer Bedrohung ist da, und dem müssen wir Rechnung tragen.“
Franz W. kennt die Gefährdung und weiß, wie er sich im Ernstfall zu verhalten hat. Schon jetzt freut er sich auf den sicheren Spaziergang zu Hause, entlang der Mainaue in Wipfeld und in den heimischen Weinbergen – bei Temperaturen garantiert unter 45 Grad.