
Die Überraschung war dem Vorsitzenden des Schweinfurter Kunstvereins, Karl-Heinz-Körblein, gleich bei seinen einleitenden Sätzen zur Ausstellungseröffnung in der Kunsthalle anzumerken. Vor fast drei Jahren war der Schweinfurter Künstler und Karikaturist Heinz Adolf Böhm überraschend verstorben, bevor jetzt zirka 100 ausgewählte Werke der Öffentlichkeit präsentiert wurden: "Um es ehrlich zu sagen, mit solch einem Publikumsandrang hatten wir nicht gerechnet", so Körblein. Rappelvoll war der Kunstsalon im oberen Stockwerk. Mehr als 220 Menschen drängten sich in dem Raum, um die Exponate des Schweinfurter Originals zu besichtigen und den einleitenden (und treffenden) Worten der ehemaligen Schweinfurter Oberbürgermeisterin Gudrun Grieser zu folgen. Gesanglich untermalt wurde die Veranstaltung stimmungsvoll von Böhms Stieftochter, der Sopranistin Anja Gutgesell.
Man mag es nicht glauben, aber seine künstlerische Karriere begann Heinz Adolf Böhm als Zugbegleiter bei der Bundesbahn. Und wenn man ihn vor Jahren in einem Interview einmal fragte, warum er heute nicht Oberbeamter mit gutbezahlter Pension wäre, dann schaute er einen an, als hätte er einen der Zausel vor sich, die auf dem Georg-Wichtermann-Platz fotokopierte Zettel verteilen und vor sich hin murmeln: "Glauben Sie mir, das Ende ist nah!" Er wollte immer seine künstlerische Ader ausleben, aber weil der Vater früh starb, blieb seiner Mutter nichts anderes übrig, als den 16-Jährigen zu bitten, eine Berufsausbildung zu machen. Bei der Bahn – aber auch dort hinterließ der Querdenker von Anfang an seine Spuren. Eine Uniform zu tragen, kam für ihn nie infrage und auch der obligatorischen Kappe verweigerte er sich, wie er einmal bei einem Glas Wein in seiner Schweinfurter Lieblingsvinothek "Rossino" erzählte: "Sobald der Zug fuhr, kam die wieder runter und ich hab' sie versteckt." Die Ausbildung sollte nur zwei Jahre dauern.
Böhms besonderes Talent wurde schnell klar: 1963 gewann er den ersten Preis bei einer Ausschreibung des DGB und sein langgehegter Traum, die Kunstschule in Würzburg zu besuchen, wurde Realität. Auf den ersten Blick wirkte der Schweinfurter Künstler, der seinen Gegenüber immer mit leicht verhangenen Augen fixierte, etwas mürrisch. Pure Täuschung, der falsche Weg, der falsche Ansatz. Nur, genau den Eindruck wollte er bei Gesprächen erwecken. Bloß nicht gleich alle Karten offenlegen. Lieber den Gegenüber erst einmal taxieren, einschätzen und zuhören. Hinter der reservierten Fassade verbarg sich ein extrem wacher Kopf, der mit Biss und geisteshellem Humor aus dem Vollen schöpfte.

Seine Themen und Pointen fand er nicht nur in der Berichterstattung der Presse, sondern auch – bewaffnet mit Notizbuch und Kugelschreiber – bei einer Weinschorle abends an der Theke. In einem seiner seltenen Eigenporträts zeichnete er eine feuchtfröhliche Runde bekannter Schweinfurter Geschäftsleute bei einer Rotweinprobe. Auf dem Bild ist im Vordergrund eine bekannte Lokalgröße zu sehen, die mit bedeutungsschwerem Blick ein halbvolles Glas in die Höhe hält, aus einem Weinführer deklamierend, während Böhm am Rande, den Kopf gelangweilt in die Hände gestützt, in die illustre Runde blickt – ohne Weinglas.
"Mit teilweise peinlich genauen Karikaturen, bei denen Köpfe, Situationen und Gemütsverfassungen fast fotografisch herausgearbeitet wurden, hat Böhm ein wahres Panoptikum Schweinfurts erschaffen", so Gudrun Grieser in einer ihrer unterhaltsamen, launigen und mitunter bissigen Laudatio auf den Schweinfurter Künstler: "Im Prinzip war Heinz Adolf Böhm in jedem Schweinfurter Haushalt vorhanden, weil er auch die Karikaturen für den Schweinfurter Müllkalender und Bauhof entworfen hatte. Beides war für die Bürger kostenlos. Und was kostenlos war und ist, hat jeder Schweinfurter gerne", sagte Grieser.

Seine filigranen Boshaftigkeiten und Sticheleien erschließen sich auch heute in Böhms Bildern häufig erst auf den zweiten oder dritten Blick. So verpasste er einem rundlichen Beamten vom Verkehrsüberwachungsdienst eine riesige Trillerpfeife – so kann jeder selbst entscheiden, was er mit dem Wort "Pfeife" assoziiert. Die Freiheit der Interpretation bleibt bei Böhms Bildern immer jedem selbst überlassen. Eines allerdings hat Heinz Adolf Böhm zeit seines Lebens in persönlichen Gesprächen immer abgelehnt: "Man soll einmal nicht sagen, der Böhm, der hat ja ganz nette Karikaturen gemalt". Bloß nicht! "Ganz nett ist der kleine Bruder von Scheiße." Eine Sorge, die, so zeigt sich in der beeindruckenden Ausstellung des Schweinfurter Kunstvereins deutlich, vollkommen unbegründet war.
Die Ausstellung im Kunstsalon der Kunsthalle ist vom 28. September bis 12. November zu sehen; eine weitere Ausstellung im Theater Gemeindehaus bis Februar 2024.