„Wenn dir am Leben nichts mehr auffällt, in der Welt, die dich umgibt, dann fällt dir fürs Predigen nichts mehr ein.“ Mit diesem einen Satz trifft Pfarrer Stefan Mai das, was für ihn den Kern einer guten Predigt ausmacht:
Sie muss die Menschen in ihrem Alltag berühren, sie muss den Transfer schaffen, die uralten Worte, die in der Bibel überliefert sind, mit der heutigen Lebenswirklichkeit zu verbinden. „Wenn mir dazu nichts mehr einfällt, dann muss ich aufhören“, stellt der Pfarrer von Gerolzhofen fest.
Damit meint Mai, der vor wenigen Tagen 56 Jahre alt geworden ist, nicht, dass er damit rechnet, irgendwann seinen Beruf als Priester an den Nagel zu hängen. Vielmehr ist dies seine Antwort auf die Frage, wie lange er als Radio-Prediger sprechen möchte. Noch stellt sich ihm diese Frage nicht – er fühlt sich noch „am Puls der Zeit“, noch traut er es sich zu, „auch die Fragen und Sorgen der jungen Menschen“ zu verstehen. Für ihn eine Voraussetzung zum Predigen mit solcher Reichweite, wie sie das Radio eröffnet, wenn etwa 700 000 zuhören.
Zweimal pro Jahr an der Reihe
Seit zehn Jahren predigt Pfarrer Mai regelmäßig im Radio. Am Sonntag, 22. August, ist es wieder soweit, von 10.35 bis 11 Uhr gestaltet und spricht er die wöchentliche Morgenfeier auf Bayern 1. Zweimal im Jahr ist er an der Reihe.
Mai gehört einer Gruppe von rund 20 Frauen und Männern an, die im Bayerischen Rundfunk für die katholische Kirche predigen. Aus der Diözese Würzburg sind sie zu dritt – Stefan Mai, Generalvikar Karl Hillenbrand und Rainer Dvorak aus Würzburg. Radioprediger werden vom Bischof ernannt und müssen von Monsignore Erwin Albrecht, dem Rundfunkbeauftragten der bayerischen Bischöfe, bestätigt werden. Man rutscht also nicht einfach so auf diesen Posten.
„Ich hatte schon immer Spaß am Predigen“, sagt Pfarrer Mai, „mich reizt es, dabei die Verbindung zwischen dem Evangelium und der Gegenwart herauszustellen.“ Die große Kunst sei es dabei, „einfach und ehrlich immer wieder neue Themen zum gleichen Evangelium zu finden“. Wer Mai predigen gehört hat, kann bestätigen, dass ihm das gelingt. Seine Worte kommen bei den Menschen an. Die Situation der Rundfunkpredigt unterscheidet sich grundlegend von der Predigt in der Kirche. „In der Kirche blicke ich in die Gesichter der Zuhörer, ich kann genau registrieren, wenn meine Worte Betroffenheit auslösen, wenn ein stiller Raum plötzlich noch stiller wird, die Menschen den Atem anhalten“, beschreibt Mai. Bei der Aufnahme im Studio des Radiosenders herrscht zwar auch Totenstille, aber Mai sitzt allein mit einem Mikrofon in einem Kämmerchen. Eine Glasscheibe trennt ihn von der Aufnahme-Crew, Regieanweisungen von außen unterbrechen ihn, wenn etwas nicht passt, beispielsweise wenn er nicht deutlich genug spricht.
An diesem Dienstag fährt Pfarrer Mai wieder nach München, um beim Bayerischen Rundfunk am Hauptbahnhof die 25-minütige Sendung zur Morgenfeier aufzuzeichnen. Etwa zweieinhalb Stunden Studiozeit sind dazu eingeplant. Neben der Ansprache wählt Mai auch die Lieder aus, die während der Morgenfeier zu hören sein werden.
Freie Themenwahl
Bei der Themenwahl für seine Ansprache ist Pfarrer Mai frei. „Es sollte sich aber auf die Bibeltexte des jeweiligen Sonntags beziehen, oder auf ein aktuelles Thema, auch wenn dieses brisant ist“, sagt er. Er selbst habe Anfang des Jahres über die Krise der katholischen Kirche gesprochen. „Die Reaktion: Gott sei Dank greift mal jemand dieses Thema auf“, berichtet Mai.
Exakt vorgeschrieben ist der Zeitplan der Sendung. Wenn eine Morgenfeier 23,45 Minuten dauert, dann muss das sekundengenau passen. Gleiches gilt für Live-Übertragungen von Rundfunk-Gottesdiensten, die Mai innerhalb der Diözese Würzburg betreut. „Hier wird ein genaues Drehbuch ausgearbeitet, das ich mit den Pfarrern vor Ort, die die Gottesdienste halten, vorher durchspreche“, sagt der Gerolzhöfer Geistliche. Diese Rundfunk-Gottesdienste sind abwechselnd in den bayerischen Diözesen und innerhalb der Diözesen über die Fläche verteilt. Aus Gerolzhofen wurde ein solcher Gottesdienst an Ostern 2009 gesendet.
„Die Predigt ist für mich die spannendste Sache im Gottesdienst“, erklärt Mai, „es ist eines der Hauptgeschäfte eines Pfarrers.“ Schon als Schüler hätten ihn Kurzgeschichten interessiert – Geschichten, die oft keinen klaren Ausgang haben. Hier findet Mai Anregungen für seine Predigten: „Ich verzichte bewusst darauf, meine Predigten mit 'Amen' – so sei es – zu beenden. Denn was eine Predigt einem sagt, das muss jeder für sich selbst rausfinden.“ Er will die Menschen dazu anhalten, über das Gehörte nachzudenken und daraus Rückschlüsse für ihr Leben zu ziehen.
Für Stefan Mai ist jede Predigt wichtig, die er hält. Die größte Verantwortung sehe er aber darin, bei Requien über das Leben eines Verstorbenen zu sprechen. „Da geht es darum, das Leben eines Menschen zu deuten und aus dem Glauben heraus zu würdigen“, so Mai. Trotz der Verantwortung fällt ihm das am leichtesten, sagt er.
ONLINE-TIPP
Stefan Mai bietet seine Predigten im Internet zum Download an unter: www.stefanmai.de