Das Bild ist wohl in der 1920er-Jahren entstanden. Im Hintergrund steht der Wasserturm, dort wo von dem heutigen Stadtteil Bergl noch nichts zu sehen ist. Und auch der Abgaskamin von Fichtel & Sachs ist auf Oberndorfer Gemarkung nur von wenigen Fabrikhallen umgeben, ansonsten freies Feld, Landwirtschaft.
Und die dominierte noch vor 100 Jahren im Raum Schweinfurt, obwohl die Industrie seit Ende des 19. Jahrhunderts sprunghaft wuchs. Das galt auch für Fichtel & Sachs. Und so wurde 1917 der Schornstein errichtet, der für lange Zeit mit seinen 80 Metern das höchste Gebäude im Raum Schweinfurt sein sollte. Gebaut wurde er von der Firma Hof aus Frankfurt als Radialziegelschornstein mit einem Hochbehälter in 35 Metern Höhe, der 200 Kubikmeter Wasser enthielt, das im Brandfall zu Löschzwecken benutzt wurde.
Beleuchtung kam erst 1977
Während die Firmeninitialen „F & S“ von Beginn schon von Weitem zu sehen waren, wurde der „Sachs“-Werbeschriftzug mit seinen strahlend blauen Buchstaben erst 1977 montiert.
Dass er zum Stadtbild gehört wie die Buchstaben von SKF am Verwaltungsgebäude oder der Wasserturm am Bergl sieht man in den sozialen Medien, wenn das Licht einmal ausfällt, erklärt Mario Lory, der Technische Leiter am Standort bei einem kleinen Rundgang.
Horst Pfeuffer, der seit über 30 Jahren in der Gebäudetechnik arbeitet, führt die Besucher. Zum Fundament des Kamins mit einem Durchmesser von zwölf Metern – an der Spitze hat er nur noch einen Durchmesser von 38 Zentimetern – gelangt man durch das ehemalige Kesselhaus, in dem noch die Porträts von Ernst und Willy Sachs hängen, die nach ihrem Tod 1932 beziehungsweise 1958 hier aufgebahrt wurden, damit die Mitarbeiter Abschied von ihnen nehmen konnten.
Komplett überholt
Die Tür, die in das Innere des Kamins führt, ist gerade einmal einen knappen Meter hoch. Der Besucher spürt sofort den heftigen Zug, den der Schornstein hat. Rus rieselt von oben herab. Genutzt wird der Kamin nur noch, wenn das Notstromaggregat im Werk Nord betrieben werden muss. Ansonsten ist er ein Denkmal, das vom heutigen Besitzer, der ZF Friedrichshafen AG pfleglich behandelt wird. Erst kürzlich wurde es von vom Boden bis zur Spitze komplett überholt. „105 000 Euro hat das gekostet“, sagt Lory.
Da die Beleuchtung des Schriftzug eine Spezialanfertigung ist und Ersatzlampen immer schwierig zu bekommen sind, „wird derzeit über einen Ersatz in LED nachgedacht.“
Seine Funktion als Abgaskamin für das Fichtel & Sachs-Heizkraftwerk erfüllte der Turm bis Mitte des Jahres 1990. Als das Werk damals an die Fernwärme durch das Schweinfurter Gemeinschaftskraftwerk angeschlossen wurde, verlor der Schornstein seine Hauptfunktion, und sein Betrieb wurde eingestellt.
Platz für Richtfunkantennen
Nachdem 1987 Fichtel & Sachs vom Mannesmann-Konzern übernommen wurde, nutzte das Düsseldorfer Unternehmen, das im Telekommunikationsbereich stark engagiert war seit 1992 den Kamin und installierte auf ihm Richtfunkantennen für den Mobilfunk. Im darauffolgenden Jahr erfolgte die nächste große Sanierungsmaßnahme, in deren Rahmen der Turm – bedingt durch größere Risse – bis auf eine Höhe von 75 Meter abgebrochen wurde.
Schon 1950 war der Schornstein im Rahmen einer Generalsanierung um zehn Meter abgetragen und um 13,30 Meter neu aufgebaut worden. Die neue Gesamthöhe betrug damit nun 83,30 Meter.
Von einer Miene getroffen
Sechs Jahre zuvor drohte dem Schornstein die Vernichtung. Am 25. Februar 1944 wurde er gegen 1.15 Uhr während einer der zahlreichen alliierten Luftangriffe auf Schweinfurt von einer Luftmine getroffen. Dieser Treffer führte auf einer Höhe von 50 Metern zu einem glatten beidseitigen Durchschuss. Das Loch hatte immerhin ein Ausmaß von rund dreieinhalb mal acht Metern. Doch der Turm hielt stand, und seine sofortige Reparatur wurde veranlasst. Der Durchschuss wurde zugemauert und mit 15 Bandagen gesichert. Durch diesen Treffer besteht bis heute eine Schiefstellung von etwa 40 Zentimetern in Nordostlage, weswegen der Kamin auch gelegentlich als „Schiefer Turm von Schweinfurt“ bezeichnet wird.