Am Wochenende weilten fünf Seminaristen des Priesterseminars Würzburg mit Regens Stefan Michelberger an der Spitze in Gerolzhofen. Die Gäste gestalteten den Vorabend- und den Sonntagsgottesdienst im Steigerwalddom mit und waren am Samstagabend zu Gast im Pfarrer-Hersam-Haus, als die Pfarrei zu einer sehr interessanten Begegnung lud.
Ziel solcher "Gemeindetage", die einmal pro Semester stattfinden, ist es, dass die Studenten Kontakt zur christlichen Basis halten und rechtzeitig einen Eindruck gewinnen können, welche immensen Herausforderungen auf sie zukommen, falls sie sich tatsächlich für ihre Priesterberufung entscheiden werden. Ein vom Pfarrgemeinderat vorbereitetes kleines Anspiel zu Beginn des Abends schilderte teils drastisch, welch kompliziertes Netzwerk eine Pfarrgemeinde ist mit ihren verschiedenen Bewegungen, Meinungen, Charismen und Ansichten, ihren Spannungen und Widersprüchen und in ihrer ganzen Vielfalt - und dies alles angesichts immer größer werdenden pastoralen Einheiten, immer weniger Priester und eines eklatanten Besucherrückgangs bei den Gottesdiensten. Dabei ist es genau dieses Netz, das möglichst viele Menschen tragen und vielleicht sogar einige neue einfangen soll.
- Hier in kurzes Video vom Vorabendgottesdienst am Samstag, 11. Januar 2020, mit den Seminaristen:
Die Zeiten, als ein Priester, seine Person, sein Verhalten im Privaten und in der Öffentlichkeit, seine Äußerungen unantastbar waren und seine sonntäglichen Worthülsen-Predigten von den Kirchenbesuchern frömmlerisch-brav und meist kritiklos hingenommen wurden, sind längst vorbei. Die Gemeindemitglieder haben sich emanzipiert.
Aus der Komfortzone heraus
Aber auch die Kirche selbst als Institution wurde aus ihrer Komfortzone herausgezerrt. Die einen, die sich noch zu ihr bekennen, fordern einen modernen Aufbruch mit einer Entstaubung der Liturgie, mit der Abschaffung des Zölibats und sogar der Zulassung des Priesteramts für Frauen. Dann gibt es selbstredend aber auch treue Gläubige, die an den alten Traditionen und bedeutungsvollen Riten liebend gern festhalten wollen, weil gerade diese ihnen noch die einzigen Anker und Ruhepole sind im immer komplexer werdenden Alltag.
Zwischen den Stühlen
In diesem innerkirchlichen Spannungsfeld zwischen beharrenden Kräften und solchen, die nach vorne preschen wollen, sitzt der Priester oft genug zwischen allen Stühlen und reibt sich physisch und psychisch auf. Und dabei hat er meist noch gar nicht damit begonnen, außerkirchlich aktiv zu werden und sich auch um diejenigen zu bemühen, die der Kirche längst enttäuscht den Rücken gekehrt haben. Wenn er dann beginnt, den schwindenden Kirchenbesuch auf sich zu projizieren und eine Monat für Monat leerer werdende Kirche als Misserfolg seiner eigenen Bemühungen zu interpretieren, dann gibt es auch bei einem Geistlichen oft genug eine seelische Sollbruchstelle. Burnout, Depression, Sabbatjahr, Berufsunfähigkeit.
In dem Anspiel des Pfarrgemeinderats wurden die unterschiedlichsten Strömungen einer Pfarrgemeinde deutlich - wohlgemerkt innerhalb einer Pfarrgemeinde. Denn die Stimmen derjeniger, die längst ausgetreten sind oder die noch nie einer Glaubensgemeinschaft angehörten, dürften noch drastischer, noch gehässiger oder noch mitleidig-zynischer ausfallen.
"Lieder sind völlig überholt"
Einige Äußerungen: "Für mich ist auch weiterhin die Gottesdienstfeier das A und O in der Kirche. Ohne einen Priester gibt es keine Gottesdienste mehr." - "Dieses frömmlerische Getue. Beten und dann aber nix tun." - "Von wegen wir brauchen mehr Priester. Wir brauchen einfach nur gut ausgebildete Gemeindeleiter. Das müssen keine Priester sein." - "Was wäre die Liturgie ohne die Gregorianische Gesänge? Dieses wertvolle Kulturgut müssen wir erhalten!" - "Wer diesen lateinischen Singsang hören will, der soll gefälligst nach Münsterschwarzach in den Gottesdienst gehen." - "Wir brauchen mehr Bewegung. Das versteht keine Sau mehr, die Lieder sind total überholt." - "Ihr müsst auch mal an die 90 Prozent denken, die mit der derzeitigen Kirche nichts mehr zu tun haben wollen. Es ist nicht so, dass die Menschen ihren Glauben verloren haben. Es braucht nur Action, neue Lieder, andere Formen." - "Das ist doch überhaupt nicht nachhaltig und total oberflächlich."
Bloße Psycho-Hygiene?
"Ach ihr, ihr reitet doch alle ein totes Pferd." - "Wer lässt sich denn heutzutage noch taufen? Und Pfarrer brauchen wir schon mal gleich gar nicht." - "Im Kindergarten reicht es völlig aus, wenn wir Nikolaus und St. Martin haben." - "Das neue Nachtgebet 'Der Seele Ruh' ist mir wichtig. Der normale Gottesdienst ist mir viel zu wenig." - "Alles Quatsch, solche Gebetsangebote. Das ist doch bloße Psycho-Hygiene."
Stefan Mai, Leiter der großen Pfarreiengemeinschaft St. Franziskus, sagte, Kirche solle gerade heutzutage ein Gefühl der Beheimatung vermitteln, wo man sich auch mal sacken lassen kann. Alte Traditionen gelte es deshalb zu schätzen. Gleichzeitig müsse er als Priester aber darauf achten, dass die Strukturen nicht verkrusten und dass er den Blick für Neuerungen nicht vergisst. Beides zu erreichen, komme allerdings der Quadratur des Kreises gleich. "Es ist fast unmöglich - und sehr anstrengend", gestand der Pfarrer offen. Und: "Im Studium und in der Ausbildung hat man darüber nichts gelernt."
Klar Kante zeigen
Insbesondere an die fünf konzentriert zuhörenden Priesteramtskandidaten gewandt, sagte Stefan Mai: "Mein Rezept: Man muss mit seiner eigenen Position klar Kante zeigen." Dies gelinge am besten über die Predigten. "Die Gemeinde lernt so das Ich eines Pfarrers kennen." Es bringe nichts, nur des lieben Friedens willen in seinen Positionen hin- und herzuschwenken. Wichtig sei ein klarer Standpunkt - und gleichzeitig aber auch der deutliche Respekt gegenüber anderen Meinungen.
Die Seminaristen stellten dann ihre eigenen Ideen und Herangehensweisen vor, wenn sie selbst als Priester neu in eine so komplizierte Gemengelage einer Pfarreiengemeinschaft kommen würden, und zeigten dies anhand eines symbolischen Gegenstands. Wie zum Beispiel ein Handy: offene Kommunikation mit allen Mitgliedern und die Leute mitnehmen, dabei allerdings authentisch bleiben, ohne abzuheben, "denn nur durch die Weihe wird man ja kein besserer Mensch". Ein anderer Student hielt eine kleine Affen-Figur hoch: mit Geselligkeit neue Brücken bauen, in einer lustigen Gemeinschaft die Freude am Glauben vermitteln.
Und dann gab es mit dem Erstsemester Raphael Schneider einen, der ein ungewöhnliches und vieldeutiges Symbol hochhielt: eine Packung Schmerztabletten. Er werde, wenn er später mal in eine neue Pfarrei komme, sich besonders um die kümmern, die krank sind und leiden, um deren Trauer und Schwere zu lindern. Gleichzeitig sei ihm klar, dass er selbst viele Abstriche bei sich machen müsse und vieles zu verkraften habe.