
Willy Denzer ist ein Original, insbesondere in der Szene: Alle Drucker und Setzer aus der Region kennen den Willy, weil sie irgendwie mal mit ihm zu tun hatten. Bis 1997 war er der Chef der letzten Druckerei und Setzerwerkstatt in Gochsheim. Im Jahr darauf baute der mittlerweile 84-Jährige in den Kirchgaden eine Setzerwerkstatt auf. Und jetzt gibt es gleich nebenan im einstigen Druckereigebäude noch ein „Museum“, das „sammelsurium graphicum“.
Den Reporter, auch aus einer Buchdruckerei-Familie stammend, und Disharmonie-Druckwerkstattleiter Werner Enke hat Denzer zur Exklusivführung durchs „graphicum“ eingeladen. Und sie sind die ersten, denen Willy Denzer die noch „druckfrische“ Firmengeschichte überreicht.
Großvater Bernhard Denzer ist gelernter Buchbinder und gründet 1900 in Gochsheim eine Buchbinderei mit angegliederter „einfach ausgestatteter Druckerei“, schreibt Willy Denzer in der Firmenchronik. Ganz sicher schien der Großvater sich nicht zu sein, dass das klappt: Er ergänzte die Buchbinderei jedenfalls um ein Gemischtwarengeschäft und betrieb zusätzlich eine Minilandwirtschaft mit Schweinen und Ziegen.
Sohn Georg übernahm 1931 die Kleindruckerei
Bernhard Denzer hatte aber den richtigen Riecher: Es kamen immer mehr Druckaufträge von den vielen Gochsheimer Gemüsehändlern. Der älteste Sohn Georg trat in die Fußstapfen, wurde Schriftsetzer und übernahm 1931 die Kleindruckerei. Anekdotenreich erzählt Willy Denzer auf vielen Seiten den Fortgang des Unternehmens, vom Glück im Zweiten Weltkrieg, als eine Bombe die Druckerei nur knapp verfehlt, von der Aufnahme der Geschäfte wieder 1948 in schweren Zeiten.
Neue Bleischriften zu bekommen, war genauso schwierig wie die Papierbeschaffung. Die Kunden mussten Altpapier mitbringen, einer hatte eine Bibel von 1886 dabei. „Die habe ich konfiziert, sie ist noch heute in meiner privaten Sammlung“, schreibt Denzer, der 1948 seine Lehre zum Schriftsetzer im elterlichen Betrieb begonnen hatte.
Aber: Es ging aufwärts, der Kundenkreis nahm zu. Neben allgemeinen Drucksachen kristallisierten sich die perforierten Durchschreibeblocks vor allem für Baufirmen und Baustoffhändler als Spezialität. „Da hatten wir den Dreh heraus“, sagt Denzer. Kenntnisreich schildert der 84-Jährige die nie endenden Probleme, die viele kleine Druckereien hatten, als in den 1970ern der Fotosatz aufkam. Willy Denzer, längst Chef, trug den Veränderungen Rechnung, kaufte eine (gebrauchte) Fotosatzanlage, eine Reprokamera, Filmentwicklungs- und Heidelberger Druckmaschinen. Zuvor schon hatte man mit dem Offsetdruck angefangen.
1997 erfolgt die Schließung des Betriebs
Aber die Computer und modernen Kopierer „nagten am Auftragskuchen“. Mitte der 1990er denkt er über den Kauf einer teuren Zweifarbendruckmaschine nach, entscheidet sich zum Nein, was insofern richtig war, als kurz danach seine Frau Inge, im Betrieb eine unverzichtbare Allrounderin, schwer erkrankte, zum Pflegefall wurde. Eine Betriebsübernahme durch die beiden Töchter kam nicht Frage, weshalb Denzer – trotz noch guter Auftragslage – die 1997 erfolgte Schließung vorbereitete. Alle Maschinen konnte er verkaufen.
„Von jeder habe ich mich mit einer Ansprache verabschiedet“, verrät Denzer. Liebevoll dankt er seiner vor einem Jahr verstorbenen Frau Inge – vor allem für ihr professionelles Korrekturlesen.
Geblieben ist ihm die Buchdruck-Setzerei. „Leidenschaftlich gerne setze ich noch einige Kleinigkeiten“, sagt er. Zuletzt zwei Werbeblätter für das sammelsurium graphicum, das zu schaffen, er beim Aufräumen entschied, als er über über Drucke, Holzschnitte, alte Druckkarten und ein Faksimile des bekannten Künstlers, Malers und Grafikers Michel Heim stolperte, der Jahre auch in Gochsheim und Schweinfurt wirkte.
„Das war der Schlüssel“, sagt er. Denzer entschloss sich, die frühere Wohnung im Obergeschoss der Druckerei zu nutzen. In der einstigen Küche sind Druckgrafiken, Artikel und Linoschnitte von Heim, Willy Müller-Gera und Richard Rother ausgestellt. Denzer kennt Rothers Nazilastigkeit, spart das Wirken des Grafikers aber bewusst nicht aus: „Das muss auch gezeigt werden.“
Das Schlafzimmer ist die Plakatabteilung
Das Schlafzimmer ist die Abteilung für Plakate. Sie hängen an den Wänden, liegen auf dem Boden. „Litfaß auf dem Fußboden“, sagt Denzer schmunzelnd. Dem Grünen Anton Hofreiter hat er bei einem Besuch in Gochsheim das Plakat „Entweder Schluss mit Kohle oder Schluss mit Klima“ abgeschwatzt. Vor allem wegen der Gestaltung und Farbgebung.
In der Ecke steht der Linolschnitt für ein Plakat der legendären Band The Shades, deren Mitglieder in Gochsheim das Laufen und Musikspielen lernten. In der Ex-Küche sind 50 Weihnachtskarten aller Epochen seit 1900 zu sehen, made by Denzer in Gochsheim. Dem Maler und Holzschneider Albrecht Dürer widmet er im Flur eine Klein-Ausstellung. Kreationen in Grafik von „Könnern aus dem Schweinfurter Raum“ sind zu sehen. Dazu alte Bucheinbände, alte Zeitungen, Fachbücher, jede Menge Historisches aus der Buchdruckzeit „mit vielen Drum und Dran“.
Am Ende bittet Denzer in seine kleine, aber feine Setzerei im Erdgeschoss. Viele Teile daraus sind rübergewandert in die Setzerwerkstatt im Reichsdorfmuseum. „Das Blei im Setzkasten hat die Welt mehr verändert als das Blei im Gewehr“, steht dort auf einer Tafel am Eingang.
Auch nach diesen zwei Stunden mit dem Gochsheimer Original im sammelsurium weiß der Besucher mit diesem Satz sehr viel anzufangen. Durchs graphicum führt er ab sofort kleine Gruppen bis zu acht Personen. „Eintritt und Getränke frei“, lacht der „Schriftsetzermeister blei“ und sagt seine Telefonnummer: Tel. (0 97 21) 6 10 66.



