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SCHONUNGEN
Ein neues Grün für die Neue Mitte
Schonungen feierte die Sanierung von Bayerns „größter bewohnter Altlast“. Tausende Besucher und viel politische Prominenz waren dabei.
Natürlich bleifrei: Böllerschützen und Prominenz gaben am neugestalteten Bachbett die Startschüsse fürs Steinachfest.
Foto: Uwe Eichler | Natürlich bleifrei: Böllerschützen und Prominenz gaben am neugestalteten Bachbett die Startschüsse fürs Steinachfest.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:04 Uhr

Trotz krachender Salven, donnerndem Mörser und dichtem Pulverdampf über der Steinach, wie zur Zeit der Napoleonischen Kriege: An den Kaiser der Franzosen, der fast auf den Tag genau vor 195 Jahren verblichen ist, am 5. Mai 1821 im „Longwood House“ auf St. Helena, werden am Samstag die Wenigsten gedacht haben.

Der Ehrensalut der Böllerschützen des Schützengaus war der Startschuss für ein Riesenspektakel in Schonungens Neuer Mitte, mit Steinachfest und der Eröffnung der Wandersaison „wunderbar wanderbar“ im Oberland.

Dabei könnte Schonungen am Ableben des verbannten korsischen Diktators sogar diskret beteiligt gewesen sein: Durch das Arsen des „Schweinfurter Grün“, das die Tapeten in Napoleons Exil-Domizil auf der feucht-windigen Atlantikinsel ausgedünstet haben. Die schwermetallhaltige Farbe war zwischen 1814 und 1930 in der Fabrik von Wilhelm Sattler an der Steinach produziert worden, in rauen Mengen: Ein „Giftgrün“ im Wortsinn, das der „bewohnten Giftmülldeponie“ den größten Altlastenfall Bayerns, 15 Jahre andauernde Rückbau-, Sanierungs- und Wiederherstellungs-Schlachten, politische Grabenkämpfe sowie Gesamtkosten von 45 Millionen Euro beschert hat.

Am Ende hat sich der Pulverdampf buchstäblich gelegt. Die zahlreich anwesenden Schonunger durften die Einweihung des neuen Wohnquartiers mit einem Festwochenende, reichlich Live-Musik und einer Hochglanz-Informationsbroschüre feiern. Gerechnet wurde mit Tausenden Besuchern.

Ordentlich krachen ließ es auch die anwesende Prominenz, darunter der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Florian Pronold (SPD), die CSU-Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber, CSU-Innenstaatssekretär Gerhard Eck sowie die SPD-Europaabgeordnete Kerstin Westphal. Die Promis waren – mit Ohrenstöpseln – dabei, als mit Sicherheitsabstand Richtung Sattlerwiese geschossen wurde, und sie waren auch beim Mörser am Zug.

Dort, wo jahrelang gebohrt und gebaggert wurde, plätscherte und funkelte die Steinach bei bestem Kaiserwetter im neuen Bachbett. Die Grußworte auf der Hauptbühne waren dann geprägt von dem Bemühen, die jeweils eigenen politischen Farben möglichst kräftig, aber auch „giftfrei“, zum Leuchten zu bringen.

Bürgermeister Stefan Rottmann verwies auf die „zeitweise größte Baustelle Unterfrankens“, auf enorme städtebauliche Impulse, auf Babyboom und eine wachsende Zahl von Baugesuchen in der Gemeinde: eine neue Zeitrechnung für Schonungen habe begonnen. Sein Dank galt Bürgern, Firmen, Mitkämpfern, nicht zuletzt Amtsvorgänger Kilian Hartmann.

„Über zwei Millionen Euro kamen von der EU“, darauf wies Kerstin Westphal hin, die als Europaabgeordnete die Gelegenheit nutzte, die Werbetrommel für die Europäische Einheit zu rühren. 500 Millionen Euro erhalte der Freistaat aus Fördertöpfen der EU in der aktuellen Förderperiode. Nur sei die Stimmung oft EU-verdrossen: „Wir stehen vor großen und schwierigen Zeiten.“ Es seien die Le Pens, Höckes, Bachmanns, Wilders, die die Werte Europas kaputt zu machen versuchten. Westphal lobte ausdrücklich die Demo gegen die AfD in Schweinfurt: „Genauso muss es sein.“

Der Dank von Florian Pronold galt der „Solidargemeinschaft umweltbewusster Bürger“ (SuB), der lokalen Bürgerinitiative. Aus einem belasteten Stück Geschichte sei eine „lebende Zukunftsgemeinde“ gemacht worden. Schonungen sei der Beweis, dass der ländliche Raum nicht nur aus Problemfällen bestünde, so der SPD-Parlamentarier aus Deggendorf.

Gerhard Eck feierte Unterfranken als „Meisterwerk unseres Herrgotts“ und blickte auf den langen Vorlauf des Projekts zurück, der viele Menschen aufgezehrt, manche Gesundheit belastet habe. „Hier ist das soziale Schiff Schonungen geboren worden“, sagte der Innenstaatssekretär. Er bedankte sich überparteilich, bei Theo Kohmann von der SuB wie Kilian Hartmann. Fast 80 Prozent habe man an Fördergeldern erhalten, von der europäischen über die Bundes- bis zur bayerischen Ebene.

„Das Problempaar Grün und Schonungen existiert nicht mehr“, freute sich Landrat Florian Töpper, der ans Zeitlimit bis Ende 2015 und enorme Belastungen für die Anwohner erinnerte. Außerdem daran, dass es hier um zwei Projekte gehe: die Altlastensanierung und die städtebauliche Entwicklung hin zu mehr Lebens- und Wohnqualität.

Theo Kohmann fand vor den „lieben Farbfabriklern“ auch kritische Worte: „Es wäre schön gewesen, wenn nach 2003 wieder einmal ein Umweltminister oder eine Umweltministerin nach Schonungen gekommen wäre.“ Bezüglich des Umgangs mit einigen Abrissen und Bauschäden gebe es im Ministerium noch Entscheidungsbedarf. Insofern könne er noch nicht von einem wirklichen Abschluss sprechen.

Fertig und zum Oberlandfest vorgestellt wurde das Buch der SuB, in dem Autorin Ursula Lux den Altlasten-Krimi aus Sicht der Betroffenen aufrollt. In der Nachbarschaft steht das Elternhaus von Stefan Rottmann, der die Feierstimmung der Wiesenbesucher etwas dämpfte: Die schöne Freifläche bleibe nicht erhalten, hier soll noch ein Senioren- und Pflegezentrum entstehen. Diakon Michael Wahler und Lektor Gerhard Räth übernahmen die ökumenische Segnung, Klaus Glöckle überreichte für die beteiligten Firmen ein Gedenkschild.

Dann gab es für die Ehrengäste einen Rundgang durch Schonungens Festmeile zwischen Rathaus, Altlasten-Lehrpfad, Radweg, neuen Parkplätzen, Treppen und Brücken an der Steinach. Von der Hauptbühne auf der Sattlerwiese bis zur Nebenbühne auf dem Quartiersplatz an der Sattlerstraße: Schonungens einstiges Industriegebiet erstrahlte in einer anderen Art von Grün.

Viel politische Prominenz traf sich in Schonungens Neuer Mitte.
Foto: Uwe Eichler | Viel politische Prominenz traf sich in Schonungens Neuer Mitte.
Bürgermeister Stefan Rottmann und Landrat Florian Töpper ließen es an der Sattlerwiese so richtig krachen.
Foto: Uwe Eichler | Bürgermeister Stefan Rottmann und Landrat Florian Töpper ließen es an der Sattlerwiese so richtig krachen.
 
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