Es ist das Jahr 1987, es herrscht Krieg zwischen Iran und Irak. Der Irak wirft Bomben im Süden von Teheran ab. Fünfzig Kilometer weiter, im Norden der Stadt, wohnt Hans-Otto Schirmer. Er ist zu der Zeit Kriminalhauptkommissar beim Bundeskriminalamt – und Personenschützer für deutsche Botschafter. Den Bombenangriff selbst bekommt er nicht mit. Sechs Millionen Menschen leben in Teheran, entsprechend groß ist die Stadt. „Aber das Flakfeuer haben wir gehört“, sagt Schirmer. Im Iran sind solche Angriffe Alltag. „Da schläft man nicht mehr ruhig.“
Der Einsatz im Iran ist für Schirmer der erste als Personenschützer. Vier weitere in anderen Ländern sollen folgen. „Da wollte keiner hin vom BKA. Keiner.“ Schirmer meldet sich freiwillig. Er wird sofort genommen, kann aber wegen der Bombenabwürfe nicht direkt fliegen. Vier Wochen später, kurz vor Weihnachten, landet er in Teheran. „Ich dachte mir, Persien, das ist doch mal was.“ Schirmer will bei seiner Arbeit andere Kulturen kennenlernen. Kriege in den Regionen halten ihn nicht ab. „Wenn einen so was abschreckt, dann darf man nicht in solche Länder gehen.“
„Alles ist sehr gewöhnungsbedürftig“
Im Iran stellt der Schweinfurter fest, dass alles „sehr gewöhnungsbedürftig“ ist. Schirmer erzählt von Restaurants, in denen unten Familien und alleinstehende Frauen sitzen und oben die Männer. Von Frauen, die draußen nicht alleine unterwegs sein dürfen. Von islamischer Musik, die als einzige erlaubt ist. „Wir hatten einmal von der Botschaft eine Party und unser Telefonist, ein Iraner, hat Damen mitgebracht – alle vermummt.“ Der erste Gang sei der zur Toilette gewesen, um sich umzuziehen. Schwierig für die Frauen war dann der Nachhauseweg. „Die meisten Damen hatten einen Cousin dabei oder irgendeinen Mann. Ohne ging es nicht.“
Zu dieser Zeit gibt es im Iran das sogenannte Komitee. „Das waren selbst ernannte Wächter. Die haben in ihrem Viertel aufgepasst, dass islamische Sitten eingehalten werden“, erzählt Schirmer. Das Komitee führte selbst Kontrollen durch. „Die waren gefährlich. Denn das waren keine Offiziellen.“ Nachts sei die Stadt komplett dunkel gewesen. Keine Lampe habe geleuchtet. Aus Angst, dass die Iraker gezielt Bomben abwerfen könnten.
Für den Personenschutz der Botschafter gibt es eine spezielle Ausbildung
An einem solchen Abend bemerkt das Komitee die Party der Botschaft. Schirmer: „Ich guck' raus, sehe die und rufe 'Komitee! Komitee!'“ Doch alle hätten gelacht und geglaubt, das sei ein Scherz. „Und dann ging es los. Die haben an der Tür gerüttelt, sie aber nicht aufgekriegt.“ Die Männer seien schließlich über die Mauer gesprungen. Plötzlich habe einer geschossen. „Da war Totenstille bei uns.“ Die Frauen verstecken sich, der iranische Telefonist versucht, zu vermitteln. Er erklärt, dass sie Diplomaten sind, aber das Komitee will sich nicht abhalten lassen, will das Haus stürmen. „Dann kamen die Pasdaran, die Offiziellen, und das Komitee ist verschwunden“, erzählt Schirmer. Ein Jahr ist er im Iran, dann meldet er sich für den nächsten Einsatz.
Für Krisensituationen ausgebildet
Nach seiner Ausbildung arbeitet Schirmer zunächst beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden in der Terrorismusbekämpfung. Für den Personenschutz im Ausland besucht er einen speziellen Lehrgang: Selbstverteidigung, Schießtraining, Training mit einem sondergeschützten Fahrzeug. Als er einmal mit einem Botschafter im Ausland mit dem Auto in eine Kontrolle gerät, lässt der Fahrer das Fenster herunter. „Ich habe gerufen: Bist du verrückt? Mach' das Fenster hoch.“ Das Fahrzeug war mit Funk und Lautsprecher ausgestattet, so dass er mit dem Fahrer kommunizieren konnte. Solche Situationen habe es immer wieder mal gegeben.
Bewerben für die Einsätze kann sich zu der Zeit jeder Polizist, egal, aus welchem Bereich. Ein Einsatz dauert ein Jahr. Mindestens zwei Beamte müssen den Schutz des Botschafters übernehmen. Dabei geht es um Termine außerhalb seiner Residenz. Innerhalb übernimmt der Bundesgrenzschutz. Während Schirmers Auslandseinsätzen gibt es das in allen Ländern mit Bürgerkriegen oder Guerillagruppen. Er geht von zehn bis zwölf Ländern damals aus, heute schätzt er die Zahl auf vier bis fünf.
Die deutschen Diplomaten stehen auf einer Liste für Attentate
1990 schützt Schirmer den Botschafter in Kolumbien. „Ein heißes Pflaster“, sagt der 67-Jährige. „Das war die Zeit von Pablo Escobar. Es gab jeden Tag Bombenattentate.“ Fünf Personenschützer sind als Diplomaten in Kolumbien, zehn Männer des Bundesgrenzschutzes bewachen die Botschaft und die Residenz des Botschafters. Die kolumbianische Polizei unterstützt mit zwei gepanzerten Fahrzeugen. An einem Tag liegen 1000 Kilo Dynamit in der Nähe der Botschaft. „Ein Polizist hat gerade noch mit der Schere die Lunte durchgeschnitten.“ Einen Kilometer entfernt explodieren 800 Kilo Dynamit. „Da flogen die Fensterschreiben raus“, so Schirmer.
Zu der Zeit setzt die Mafia Kopfgelder auf Polizisten und das Militär aus, die Guerilla-Gruppe M 19 ermordet Präsidentschaftskandidaten. Als man der Frau Escobars die Einreise nach Deutschland verweigert, stehen die deutschen Diplomaten auf einer Liste für Attentate. Schirmer wirkt relativ gelassen, wenn er heute daran zurückdenkt. „Sicher war es nicht ungefährlich. Aber es ist ja nie etwas passiert.“ Für ihn war es der „Alltag“.
Völlig sachlich erzählt Schirmer von einem anderen Erlebnis: „Wir sind mal abends in eine Discothek gekommen, da schießt einer in die Decke, weil er die Rechnung nicht bezahlen will. Das kann man sich nicht vorstellen, aber es war so.“
Heute engagiert sich Hans-Otto Schirmer beim Weißen Ring
In Schweinfurt wohnt Schirmer in einem Haus mit seiner Mutter. Eine eigene Familie hat er nicht. Er ist seit ein paar Jahren pensioniert, engagiert sich im Weißen Ring. Der 67-Jährige sammelt Briefmarken und Münzen, viele auch aus den Ländern, in denen er Personenschützer war. Regelmäßig stellt er sie beim Briefmarkensammelverein aus.
Auch an zwei Einsätze im Kongo erinnert sich der Schweinfurter: „Das war das Wildeste.“ Seit zwei Wochen ist er mit seinem Kollegen in dem Land, hat noch keine Unterkunft in der Nähe der Botschaft, wohnt im Hotel. Über Funk kommt eine Warnung. „Es hieß, geht mal nicht raus, da bewegt sich was.“ Die Männer hören Kanonenschüsse und Panzer. Es ist der erste von zwei Militärputschen, die Schirmer miterlebt. Ein Mob von 500 Leuten läuft auf das Hotel zu, will es stürmen. „Da hatte ich das erste Mal Todesangst.“ Mobutu, der damalige Diktator mit Anteilen am Hotel, verhindert das.
Soldaten plündern im Kongo ganze Straßenzüge
Soldaten plündern zu der Zeit im Kongo ganze Straßenzüge. „Die haben eine Mark im Monat Sold bekommen und noch fünf Kilo Reis und Tomaten und ein paar Hühner“, weiß Schirmer. Um sich etwas für den Lebensunterhalt zu verdienen, bewachen sie Autos vor den Discos. „Irgendwann gab es Unruhen“, erinnert sich der 67-Jährige und erzählt, wie ein Konvoi in die Straße fährt: „Ein Lkw am Anfang, einer am Ende. Und wer sich wehrte, wurde erschossen.“
Schirmer weiß von einer Deutschen, die damals als Ortskraft im Kongo arbeitete und deren Haus gestürmt werden sollte. Ein General verscheuchte die Plünderer. „Aber viele andere hat es erwischt. Die wollten irgendwas plündern, ganz egal was. Nur, damit man was hat.“
Nachts begegnet Schirmer oft Kindersoldaten. Auf einer Fahrt gerät er einmal in eine Kontrolle. „Ich hatte die Hand schon am Revolver, da sehe ich hinter einem Baum eine Kalaschnikow.“ Er fragt, was los ist, verweist auf das diplomatische Kennzeichen. „Ich habe Hunger“, antwortet das Kind. „Für solche Situationen hatten wir immer Gummibärchen dabei und ein Paket Geldscheine. Wir haben ein bisschen bezahlt, dann war alles okay.“
In Algerien schläft Schirmer mit der Maschinenpistole
Schirmer erinnert sich auch an schöne Erlebnisse während seiner Dienste. Er sitzt in einer grauen Kapuzenjacke auf dem Sofa, blättert durch Alben mit alten Fotos. Die schwarze Brille umrandet seine Augen. Oft lacht er, wenn er an die Zeit im Ausland denkt – trotz der Gefahren, trotz des Risikos. Weihnachten feierte er einmal in einem Kloster im Gebirge mit katholischen Mönchen. Im Iran besichtigte er die Gräber von Xerxes und einige Ausgrabungen. Kolumbien beschreibt der 67-Jährige als eines der schönsten Länder der Welt. Dort hat er seit Jahren einen Zweitwohnsitz, an dem er ein paar Wochen im Jahr verbringt.
Seinen letzten Auslandseinsatz hat Schirmer in Algerien. Er bezeichnet ihn als „den unangenehmsten Dienstposten“. Ein Jahr lang wohnt er dort im Hotel, Deutschland hat einen ganzen Kontrakt angemietet und mit panzersicheren Türen ausgestattet. Schirmer erinnert sich an eine Terrororganisation, an 20 000 Morde in vier Jahren. „Die sind in eine Kleinstadt gefahren, haben die Verbindungsstraßen abgesperrt, im Rathaus die Karteien der Ortsvorsteher herausgesucht, denen die Köpfe abgeschnitten und aufgespießt.“ In Algerien sind acht bis zehn BKA-Beamte vor Ort. Sie schützen jeden Deutschen in der Botschaft, bringen die Ortskräfte dorthin und wieder nach Hause. Auch zu Verabredungen fahren sie die Deutschen. „Algier war der gefährlichste Ort damals. Da war jede Nacht Schießerei. Da habe ich nachts mit der Maschinenpistole geschlafen.“
Der Schweinfurter ist der einzige Kriminalbeamte mit fünf Auslandseinsätzen als Personenschützer. Heute sind maximal zwei erlaubt. „Aus psychischen Gründen“, weiß Schirmer. Psychologische Hilfe von Seiten der Polizei habe es damals nicht gegeben. „Da musstest du dich selber drum kümmern.“