Weltweit rund 17 Millionen und etwa 300 000 in Deutschland leiden an einer unheimlichen Krankheit. Hauptsymptom ist eine permanente körperliche Erschöpfung. Auch in Dingolshausen ist eine Frau betroffen. Die Patientin hat die Kraft für höchstens zwei bis drei Sätze am Tag, dann muss sie das Gespräch abbrechen. Körperliche Anstrengung ist so gut wie unmöglich und die Frau reagiert empfindlich auf Geräusche.
Obwohl diese Symptome auch anderen Krankheiten zugeordnet werden könnten, leidet die Patientin aus Dingolshausen an ME/CFS. Diese Abkürzung steht für die myalgische Enzephalomyelitis, englisch „Chronic Fatigue Syndrom“ genannt, eine chronische neuroimmunologische Multisystemerkrankung, die mit schwersten Einschränkungen einhergeht.
Die Krankheit hat viele Symptome angefangen von lähmender, körperlicher und geistiger Erschöpfung, organisch, nicht psychisch.
Stimmverlust, Magen-, Darm- und Herzbeschwerden, Geräusch- und Lichtempfindlichkeit, Atemprobleme, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen bis hin zum Leben in Dunkelheit und Isolation können dazu gehören, oft begleitet von Nahrungsmittelunverträglichkeit, welche zur dauerhaften Behinderung und Bettlägerigkeit führen kann. Nicht alle Symptome müssen allerdings eintreten, jede ME/CFS-Erkrankung nimmt einen anderen Verlauf.
Schwer genug für Patient und Angehörige, wenn diese organische Krankheit ein Familienmitglied befällt. Was das Ganze aber noch weiter verkompliziert, ist die Tatsache, dass die Krankheit im deutschen Diagnosekatalog für Ärzte nur als „sonstige Krankheiten des Gehirns“ geführt wird. Und das, obwohl, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits seit 1969 ME/CFS als eigenständige Krankheit anerkennt.
Beginn mit einem viralen Infekt
Doch von vorne: Bei der Dingolshäuserin begann die Krankheit 2014 typischerweise mit einem viralen Infekt. Sie wurde zunächst krankgeschrieben. Schon 2013 hatten sich sonderbare Symptome gezeigt wie Nahrungsmittelunverträglichkeit oder leichtes Schwitzen unter den Achseln im Winter, während gleichzeitig andere Körperteile froren. Und das bei einer Frau, die sportlich topfit war, Fußball gespielt hatte, joggte, Mountainbike fuhr, an Laufwettbewerben teilnahm und sich vor allem gesund ernährte.
Irgendwann sollte die Frau wieder arbeiten. Doch jede Belastung wurde ihr zu viel. Jetzt aber hatte die Erkrankte einmal ein bisschen Glück in ihrem Unglück. Sie hat nämlich Dr. Heidi Kempf aus Gerolzhofen als Hausärztin. Weil sich die Symptome über mehr als sechs Monate hinzogen, schöpfte diese den Verdacht, ihre Patientin könnte am ME/CFS erkrankt sein.
Damit passierte zumindest nicht, was vielen anderen ME/CFS-Patientin passiert. Wenn ein Arzt diese Krankheit nämlich nicht erkennt, wird sie oft auf die psychische Schiene gesetzt, Richtung „Burn Out“ oder Depression interpretiert. „Gehen Sie doch mal zur Psychiatrie“, lautet die Empfehlung.
Was dann kommt, ist für ME/CFS-Patienten fatal. Wenn ein Patient als depressiv eingestuft wird, geht es in der Regel zur Reha, wo viel Bewegung verordnet wird. Doch was bei Depressionen hilft, ist bei ME/CFS äußerst kontraproduktiv. Jede kleine Anstrengung lässt Betroffene in noch tiefere Erschöpfung versinken.
Was die Medizin bisher über die Krankheit weiß, ist nicht viel. Unklar ist vor allem die Ursache. Diagnostiziert wird die Krankheit an der Charité in Berlin bei Professor Carmen Scheibenbogen. Vorher müssen alle Krankheiten mit Erschöpfungssymptomatik ausgeschlossen werden. Zum Beispiel musste bei der Dingolshäuserin eine Borreliose erst durch Antibiotika behandelt werden.
Keine Kraft für Bücher oder Fernsehen
2015 konnte die Frau noch laufen. Doch jetzt liegt sie 23 Stunden am Tag, kann nicht mehr fernsehen, kein Buch mehr lesen. Wenn sie einmal aufsteht, setzt sie sich in den Rollstuhl, um Kraft zu sparen. Besuch kann sie nicht mehr empfangen. Menschen, die sie besuchen wollen, können das manchmal nicht verstehen. Aber die Belastung eines Besuchs würde zu einer Zustandsverschlechterung führen, die lange anhalten kann.
Wenigstens noch selbstständig essen und zur Toilette fahren kann die Frau. Von einem Mindestmaß an Lebensqualität kann man bei der Dingolshäuserin aber längst nicht mehr sprechen.
Ihr Lebenspartner kann nicht verstehen, warum in Deutschland nicht mehr gegen diese Krankheit getan wird. Die Forschung hält sich in engem Rahmen. Wenn es gelänge, einen Biomarker für diese Krankheit zu finden, wäre schon viel gewonnen, meint der Lebensgefährte, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat.
Medizinstudenten erfahren an den Universitäten nichts über ME/CFS. Vielleicht, so der Dingolshäuser, sei es sogar gewollt, dass diese Krankheit unterdrückt wird. Der Grund: Sie könnte leicht von Drückebergern genutzt werden, um sich arbeitsunfähig schreiben zu lassen. Denn äußerlich sehen die Patienten völlig gesund aus. Und die Krankheit lässt sich schwer nachweisen.
Der Partner der Erkrankten will nun eine Unterschriftensammlung von Mathias Ilka aus Rimbach im Odenwald unterstützen, um das Thema vor den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages zu bringen und die Anerkennung von ME/CFS als schwere, körperliche Erkrankung durchzusetzen.
Unterschriftslisten liegen in der Bäckerei Schwab in Dingolshausen und in den Filialen in Gerolzhofen und Donnersdorf sowie im Haarstudio Scherenschnitt in Dingolshausen aus.