Es wird wohl kaum dem Zufall zuzuschreiben sein, dass sich der Schriftsteller, Übersetzer und Essayist Hans Wollschläger – gerade nachdem er die Schwelle zum sechsten Lebensjahrzehnt überschritten hatte – dem Werk des Schweinfurter Dichters und Orientalisten Friedrich Rückert (1788-1866) zuwandte. Hatte er doch bei seiner Edition von Rückerts „Kindertodtenliedern“ im Jubiläumsjahr 1988 einen Dichter kennen gelernt, der sich folgendermaßen selbst beschrieb: „Wie heißt der Tag, da ich geboren bin? Im Wandkalender les' ich Peregrin. Ja Peregrin! Ein Fremdling war ich und ein Fremdling bin Ich, und ein Fremdling geh ich hin.“
Brillanter Stilist
Ähnlich dem großen Schweinfurter war es auch bei Wollschläger dessen Begabung – so darf man ihn mit Fug und Recht als den brillantesten Stilisten der schreibenden Zunft des 20. Jahrhunderts bezeichnen –, die ihn letztlich ebenso zwangsläufig wie bei Rückert zum „Fremdling“, Außenseiter auf dieser Welt werden ließen. So nimmt es nicht wunder, das kein geringerer als der Inbegriff des literarischen Außenseiters, Arno Schmidt (1914-1979), Hans Wollschläger zu seinem einzigen Schüler erkor.
Bei ihm erfuhr Wollschläger die Ermutigung, um seine fremd- und muttersprachlichen Talente in die Welt der Literatur nicht nur einzubringen, sondern sie damit auch zu bereichern. Als übersetzerisch bedeutendster Ausfluss dieser sich gegenseitig befruchtenden Schriftsteller-Beziehung muss wohl die kongeniale Übersetzung von James Joyces (1882-1941) „Ulysses“ aus dem Jahre 1975 gelten.
Biographie über Karl May
Als bahnbrechend darf man auch Hans Wollschlägers Biographie über Karl May (1842-1912) aus dem Jahre 1965 bezeichnen, die für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem fast ein wenig ab-seitigen Literatur-Phänomen lange Zeit wegweisend sein sollte. Nicht wenig ratloses Staunen löste hingegen Wollschlägers „opus magnum“, die 1982 erschienenen „Herzgewächse oder Der Fall Adams“, aus, die formal und inhaltlich stark von der Musiktheorie und der Psychoanalyse geprägt sind. Stets unwillig, sich dem Literaturbetrieb auch nur im Geringsten anzupassen, hat er sich Ende der 80er Jahre wohl sehr bewusst den Neuseser Eremiten Rückert als bevorzugten Wegbegleiter für die nun anstehende letzte Lebensphase, ausgewählt.
Vorsitz der Rückert-Gesellschaft
Die im Schweinfurter Stadtarchiv aufbewahrten Altersgedichte Rückerts müssen ihm hierzu wie eine Offenbarung erschienen sein. So begann er nicht nur, eine historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke Friedrich Rückerts vorzubereiten, die es bis heute auf immerhin acht Bände gebracht hat, sondern übernahm 1997 auch den Vorsitz der in Schweinfurt ansässigen Rückert-Gesellschaft e.V., die er genau eine Dekade führen sollte.
1999 wandte er sich ähnlich schroff wie Rückert (und auch Arno Schmidt) fast gänzlich von der Welt ab, indem er vom immer umtriebiger werdenden Bamberg in ein einsam gelegenes Haus in der Nähe des idyllischen Königsberg umzog. In seiner Dankrede anlässlich der Verleihung des Friedrich-Rückert-Preises der Stadt Schweinfurt im Jahr 2003 beschreibt er Rückert – und damit auch seine persönliche Beziehung zum großen Sohn der Stadt – folgendermaßen: „Friedrich Rückert ist ein ganz eigenartiger Dichter. Wenn man beschreiben wollte, was ihn, diesen ganz eigenartigen Hineinsprecher, von seiner Zeitgenossenschaft unterscheidet, so kommt am Ende heraus, dass er in ihr überhaupt nicht seinesähnlichen hat: Er steht zur Gänze für sich und wie weit abseits er da steht, das beginnt heute erst, durch Rudolf Kreutners und meine Werkausgabe, die 'Schweinfurter Edition', langsam sichtbar zu werden. In seinem Spätwerk, dem enormen, über zwanzig Jahre hin geführten Protokoll, das er allzu schlicht nur 'Liedertagebuch' nannte, ist er der erste Psychologe des Alternslebens und seines Alltags. Niemand in der Poesie hat vor ihm je so präzise, rücksichtslos realistische Blicke auf Abnehmen und Enden getan, nicht nur das seiner selbst und seiner Werke, sondern das der ganzen Welt, und seine Befunde in Poesie verwandelt. Er ist, ganz kurz gefasst, der Dichter des Memento überhaupt.“
Schwere Infektion
Wer mag da noch von einer zufälligen Begegnung zwischen Wollschläger und Rückert sprechen? An seinem 72. Geburtstag wurde Wollschläger mit einer schweren Infektion ins Klinikum Bamberg eingewiesen, wo er in den Morgenstunden des 19. Mai, drei Tage nach Friedrich Rückerts 219. Geburtstag, verstarb.