Das ist eine tolle Überraschung: Der "Wohlstandsaltar", ein von Schülerinnen und Schülern der Ludwig-Derleth-Realschule Gerolzhofen geschaffenes Kunstwerk, ist derzeit in der Sonderausstellung "Purer Luxus" im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig zu sehen. Das Forum gehört zur Stiftung "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland", die neben dem Zeitgeschichtlichen Forum noch drei weitere Häuser betreibt: das Haus der Geschichte in Bonn, in Berlin den Tränenpalast und das Museum in der Kulturbrauerei. Aufgabe der Stiftung ist die Vermittlung deutscher Zeitgeschichte nach 1945 sowie eine umfassende Sammlungstätigkeit zu diesem Zeitraum.
Im Februar und März 2015 fand während der Fastenzeit im Museum "Kunst und Geist der Gotik" das Projekt "Unbezahlbar" statt, das auf eine Idee des Nürnberger Künstlers Johannes Volkmann zurückgeht. Auch in der benachbarten Stadtpfarrkirche fanden Aktionen zum Thema statt. In der Kirche war beispielsweise eine lange weiße Tafel mit weißen Tellern aufgebaut, wo die Besucher niederschreiben konnten, was sie in ihrem Leben für "unbezahlbar" halten.
Einem gotischen Flügelaltar nachempfunden
Für die Sonderausstellung im Museum gab es damals die Anfrage an die Ludwig-Derleth-Realschule, ob die Schule einen so genannten „Wohlstandsaltar“ gestalten könnte, der Teil dieser Themenreihe werden sollte. "Diese Idee haben wir gerne aufgegriffen und umgesetzt", erinnert sich die Kunstlehrerin Sabine Belz. In einer Entwurfsskizze entstand ein dreiteiliger Flügelaltar, wie er in der Zeit der Gotik üblich war. Nach der Skizze baute Schreiner Armin Werbinek im städtischen Bauhof aus Holz die Grundkonstruktion des Altars. "Die künstlerische Idee, Gestaltung und Umsetzung fanden dann in meinem Unterricht statt", sagt Sabine Belz. Beteiligt waren die Kunst AG sowie verschiedene Klassen.
Der Flügelaltar zeigt in seiner geschlossenen, in grauen Farbtönen gehaltenen Werktagsansicht zwei an den bekannten Streetart-Künstler Banksy angelehnte Schattenrisse und als zentrales Motiv einen sehnsüchtigen Blick auf ein Urlaubsparadies mit Palmen am blauen Meer. Auf der Predella, dem Sockel des Altars, findet sich eine Collage aus Rabatt- und Schnäppchenankündigungen.
Überfluss einer Wohlstandsgesellschaft
Im geöffneten Zustand, in der Feiertagsansicht, zeigt der Flügelaltar in seinem Mittelteil in starker Übertreibung den Überfluss in einer Wohlstandsgesellschaft. Berge von Süßigkeiten, Computertechnik, Autos, Geld und Gold türmen sich auf. In der Mitte jongliert der „Wohlstandsmensch“ mit teuren Statussymbolen, von denen Menschen in wirtschaftlich schwachen Ländern nur träumen können. Die Flügel rechts und links zeigen überspitzt die Schattenseiten dieser Gesellschaftsform auf mit ihrer Umweltverschmutzung und der Benachteiligung der so genannten Dritten Welt. Kinder, welche in Kriege ziehen müssen, die in Slums oder auf der Straße leben und für die es schon Luxus wäre, ohne Hunger den Tag zu überstehen. Bei seiner ersten Präsentation im Museum Johanniskapelle stieß das Werk bereits auf großes Interesse.
Vier Jahre nach der Ausstellung in Gerolzhofen später stieß das Kuratorium des Museums „Forum für Zeitgeschichte“ in Leipzig auf der Suche nach Ausstellungsstücken für eine Sonderausstellung zum Thema Luxus im Internet auf den von den Schülern gestalteten „Wohlstandsaltar“. Das Museum fragte in der Schule in Gerolzhofen an, dass man den Altar gerne in die Sammlung des Forums aufnehmen wolle. "Natürlich waren wir sofort bereit, dieses Kunstobjekt für ein angesehenes Museum zur Verfügung zu stellen", erzählt Sabine Belz. "Schließlich ist es nicht nur eine große Ehre, sondern auch eine außerordentliche Wertschätzung der Arbeit unserer Schüler."
Altar bleibt jetzt in Leipzig
Und so wurde der Altar, der inzwischen im Keller der Realschule sein Dasein fristete, nach Leipzig transportiert. Noch bis Mitte April 2020 ist das Werk noch in der Sonderausstellung zu sehen. Danach bleibt das Ausstellungsstück im Museum, wird in dessen Bestandsliste aufgenommen und kann somit von anderen Museen weltweit für weitere Sonderausstellungen ausgeliehen werden.
In der momentan laufenden Ausstellung "Purer Luxus" zum 30-jährigen Mauerfall wird die Frage aufgegriffen: Was ist Luxus? Ein Diamant, ein Sportwagen, eine Kreuzfahrt? Oder doch eher ein Tag ohne Arbeitsstress? Die neue Wechselausstellung zeigt: Was wir als Luxus wahrnehmen, hängt von der jeweiligen individuellen, aber auch von der gesellschaftlichen Situation ab und hat sich in der Geschichte häufig verändert.
Mantel von Marlene Dietrich
Rund 400 Objekte, Dokumente, Fotografien sowie interaktive Elemente und audiovisuelle Medien erzählen Geschichten vom historischen Wandel des Phänomens in Deutschland seit 1945. Zu den Glanzlichtern gehören der aus den Brustfedern von 300 Schwänen hergestellte Mantel von Marlene Dietrich oder ein in der DDR in Handarbeit gefertigter Nachbau des legendären Porsche 326 aus den 1950er Jahren. Und eben auch der "Wohlstandsaltar" aus Gerolzhofen.
In den Aufbaujahren beruhte der wachsende Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland auf der sozialen Marktwirtschaft, heißt es im Begleittext der sehenswerten Ausstellung. "Der Traum vom Kühlschrank, Fernsehgerät oder Auto befördert sowohl die individuelle Leistungsbereitschaft als auch den industriellen Fortschritt." Dem Trend zu Überfluss und Verschwendung stehen damals jedoch immer auch moralische und ökonomische Bedenken gegenüber.
In der DDR hingegen erhält Luxus eine ganz andere Bedeutung: Durch Planwirtschaft, subventionierte Grundversorgung und das propagierte Ideal der Gleichheit setzt der SED-Staat darauf, alles Maßlose und die Unterscheidung durch individuellen Besitz einzudämmen. "Doch das Bedürfnis nach Luxus als Medium des Individuellen, des Besonderen und Begehrten lässt sich nicht unterdrücken." Die Mangelwirtschaft und ein System von Privilegien lassen für die Bevölkerung sogar manches Alltagsprodukt zum Luxus werden, während die SED-Führung sich mit allen sonst kaum erreichbaren Annehmlichkeiten in Wandlitz versorgt. Die habe das Gerechtigkeitsgefühl großer Teile der ostdeutschen Bevölkerung verletzt.
Der Inbegriff der Ungleichheit
Und heutzutage? "In Deutschland ist Luxus heute angesichts der Globalisierung und medialen Vernetzung scheinbar immer und überall erreichbar. Viele nutzen die Möglichkeiten zur Selbstdarstellung, manche provozieren damit Neid und Empörung", heißt es im Begleittext der Sonderausstellung. Ist Luxus ein Symptom unserer Zeit? Vertieft Luxus die Kluft zwischen Arm und Reich? Diese Fragen begleiten die Geschichte des Luxus und zeigen ihn als Phänomen, das die Gesellschaft bewegt: als Zeichen von sozialem Status, als Wohlstandsindikator und Wirtschaftsfaktor, als Ausdruck von Lebensstilen - und als der Inbegriff der Ungleichheit.
Die Ausstellung "Purer Luxus" ist seit 10. September 2019 noch bis zum 13. April 2020 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zu sehen. Der Eintritt ist frei.