6-4-2 lautete die Kombination in der schwitzenden, da wieder mal randvollen Disharmonie: keine Abwehrkette, sondern die Turnierform der 25. Schweinfurter Dichterschlachtschüssel. Dieses „toughe System“, moderiert durch Manfred Manger, wurde aufgrund zweier Ausfälle nötig. Bei der Text-Performance, besser bekannt als Poetry Slam, durfte das Publikum aus sechs Kandidaten vier mit Stimmzettel in die nächste Runde wählen. Aus dem Quartett wurden wiederum zwei Finalisten gekürt, bevor über den Sieger abgestimmt wurde: gemäß Proporz der Porzellanschweinchen, die in Sektkübeln landeten.
Außer Ruhm, Ehre, Liebe und der Goldenen Dichterschlachtschüssel gab es Publikumsgeschenke zu gewinnen, aber auch die Besucher selber konnten was ergattern: Die besten Zweizeiler auf den Stimmkarten („Es scheint gelungen, der Mann ist drüber gesprungen“ und ähnliche lyrische Ergüsse) wurden mit Tickets für den Auftritt von Lars Ruppel belohnt: Der amtierende deutschsprachige Meister wird am 26. Februar die Sparkasse Schweinfurt beehren. Zum Aufwärmen gab es noch einmal den „Antiliebesbrief“ von Paula Steiner, als „Profin“ vom U20-Poetry Slam: „Lieber mit wehenden Fahnen untergehen, als verlogen weitersegeln.“
Erlkönig reloaded
Der Eisenacher Matthias Klaß, gerade 50 geworden, servierte dann eine Geschichte aus der Welt des Prekariats: „Erlkönig reloaded“. Hier wird der arbeitsscheue Sohnemann von keinem Gespenst, sondern Schlimmerem verschleppt, dem Jobvermittler. Als Gentleman alter Sprachschule entpuppt sich Florian Langbein aus Bamberg, der die Jungproletensprache abstraft, sein Freisinger Kollege Philipp Potthast startet die Klimarevolution: Die Unternehmensberater-Firma McKinsey strafft die bislang chaotische Wetterproduktion zum einheitlichen Grau: Und weg ist die Basis menschlicher Gesprächsthemen schlechthin.
Sarah Mariah Nordt aus Augsburg präsentiert ein eigenwillig-ausdrucksstarkes Werk über „sexy People“ und schönen Schein. Im Grunde sind wir nur Staubkörner, die an sich selber denken, ahnt Stefan Jelinski (Nürnberg): Vollkommene Bedeutungslosigkeit im ewigen Kosmos ist da etwas sehr Tröstliches. Wie schön wäre es, wenn Märchen wieder wahr werden würden, wie unsere Geschichten in der Kindheit, findet Meryem Kandemir aus Weiden.
DJ Felix legt noch etwas Musik auf den Plattenteller, dann stehen die Halbfinalisten fest: Philipp hat eine Begegnung mit „Bodo Stehfest“: Der liegt auf dem Friedhof und erinnert den Dichter daran, dass der Mensch in der Regel nach 150 Jahren komplett vergessen ist. „Wenn du nicht denkst, wird dein Geist zum Gespenst“, warnt Sarah vor dem Leben der Hipp-Stars, die sich wie Beinamputierte im Tretboot treiben lassen. Zitate aus der Bibel stellt Florian Szenen aus der neuen Religion gegenüber: dem Proll-TV: „Dein ist mein Hirn, meine Meinung und meine Menschenwürde.“ Mit einer Asylantenflut befasst sich Matthias Klaß: In Thüringen wuchern die Bäume so sehr, dass man kaum noch den Wald sieht. Außerdem verbreiten sie Harz IV und „liefern der Lügenpresse das Papier“. Übrigens: der Poet hat zu Weihnachten selbst einen von den Außenseitern aufgenommen.
Ein Freisinger siegt in Franken
Dann das finale Duell: Matthias Klaß malt sich aus, wie das damals hätte sein können, nach der Friedlichen Revolution von 1989: Wenn die 54 Westkreise zur DDR rübergemacht hätten, mit klapprigen Golfs und rostigen Opeln, angewidert von kapitalistischer Dekadenz: Dann wäre Ursula von der Leyen heute Putzfrau bei der NVA, Franz Beckenbauer würde Trabi-Rücklichter montieren und Uli Hoeneß wäre nach Mauscheleien mit Fußball-Eintrittskarten in Bautzen eingefahren. „Keiner fühlt, was Philipp fühlt“: Der Freisinger tanzt seit der Kindheit um den kugelrunden Bauch von Reiner „Calli“ Calmund. Für so viel Treue zu Bayer 04 Leverkusen, im tiefsten FC-Bayernland, bekommt Philipp Potthast prompt den Sektkübel mit Schweinchen voll.