Teambesprechung, Visite, Operationen, Sprechstunde, Feedback-Gespräche, Vorbereitung auf Operationen, Dokumentation, Briefe, vielleicht noch ein Arzt-Patienten-Seminar und zwischendurch in die Geomed-Klinik nach Gerolzhofen fahren.
Ein ganz normaler Arbeitstag von Dr. Matthias Blanke ist gut gefüllt. Ziemlich gut. Blanke ist Chefarzt für Orthopädie am Leopoldina und seit zwei Jahren an der Geomed-Klinik in Gerolzhofen. Wer ihn begleitet, braucht abends nicht mehr Joggen gehen: Denn ständig auf den Beinen zu sein, von A nach B zu hasten, das scheint zur Jobbeschreibung für den Großteil des Klinikpersonals zu gehören.
Erste Erkenntnis des Tages, kurz nach sieben Uhr früh, bei der Wochenbesprechung: Wer mit einem bunten Polo unter lauter Weißkitteln sitzt, fühlt sich schnell als Außenseiter. Aber wer kurze Zeit später mit Arztkittel in Chefarztbegleitung auf Visite durch die Gänge eilt, spürt, dass ihm allein die Kleidung einen gewissen Nimbus verleiht, der für Respekt sorgt. Ganz ehrlich, da könnte man schon ein bisschen eingebildet werden, wenn man das das erste Mal erlebt als Außenstehender.
Vor der Sprechstunde in Schweinfurt steht eine Fahrt nach Gerolzhofen in die Geomed-Klinik auf dem Programm. Matthias Blanke schätzt die Autofahrt als Möglichkeit zur Entspannung, als Gelegenheit, zwischendurch mal abzuschalten.
Platte als Erinnerung
Es geht gleich in den Operationssaal in Gerolzhofen: Eine Platte, mit der ein Knochenbruch gerichtet worden war, muss raus. Die Abläufe sind klar die gleichen wie in Schweinfurt. Allerdings: Es gibt im Gegensatz zum langen Schweinfurter OP-Trakt hier Fenster, Tageslicht. Mit Blick auf's Geomaris. Macht im Sommer Lust auf eine Runde Schwimmbad, erzählt Blanke.
Kinder nehmen solche Platten übrigens gerne als Erinnerung mit. Sieht zwar aus wie ein Stück aus dem Baumarkt, ist aber trotzdem sicher geeignet, Freunde zu beeindrucken. Mit dem Hinweis: Hatte ich im Bein.
Beeindruckende Werkzeug-Palette
Beim Einbau solcher Platten wird in den Arztbriefen übrigens genau dokumentiert, welches Fabrikat verwendet wurde – danach richtet sich nämlich das Werkzeug, mit dem die Platte wieder entfernt wird. Stichwort Werkzeug: Das Arsenal an Gerätschaften, das zum Beispiel zum Einsetzen einer Knie-Prothese gebraucht wird – Hammer, Sägen, Bohrer, Zangen – hat schon etwas Martialisches.
Weniger martialisch, weniger blutig als gedacht, sind die Operationen als solche. Blut fließt kaum, die Gefäße sind abgebunden. Von den Patienten sind nur die Teile zu sehen, die operiert werden. Es wirkt alles relativ abstrakt. Es ist dann schon fast surreal, wenn jemand herzhaft schnarcht in seiner Narkose.
„Eigentlich ist alles Handwerk“, sagt Matthias Blanke im Operationssaal, als er – zurück in Schweinfurt – ein künstliches Kniegelenk einsetzt. Und reine Mechanik mit dem Ziel Funktion. Die Prothese, aus einem Titan-Kobalt-Moabdän-Gemisch, sieht aus wie die Kopie eines echten Gelenks. Manchmal ist das Gelenk auch aus Keramik, wenn der Patient auf die Metall-Version allergisch ist. Auch wer auf Nickel, wie er etwa in Modeschmuck vorkommt, allergisch ist, sollte sich besser für die Keramik-Variante entscheiden. Die ist teurer, und die Kassen übernehmen die Mehrkosten nicht, sagt Blanke, der das Keramik-Gelenk mitentwickelt hat.
Mit Helmen am OP-Tisch
Bei dieser OP trägt das Team um den Operationstisch Helme – als Schutz für beide Seiten. Knochensplitter des Patienten fliegen durch die Luft. Treffen sie auf Haut und fallen zurück in die Wunde, könnten so Keime übertragen werden. Und auch das OP-Team ist besser geschützt.
Keime hat jeder Mensch auf der Haut. In der Regel ist das kein Problem. Aber wenn zum Beispiel jemand nach einer Hüft-OP intensiv mit den Händen seine Wunde untersucht, kann das zu Problemen führen. Vor den großen OPs bekommen die Patienten ein bestimmtes Duschgel mit, um vorab schon einmal möglichst viele Keime loszuwerden. Viele Menschen haben übrigens einen multiresistenten Keim in der Nase. Auch kein Problem, solange man nicht mit einer achtlosen Bewegung die Keime in die Nähe einer Wunde bringt. Vor gewissen OPs wird daher bei den Patienten ein Nasen-Abstrich gemacht.
Um die 500 Prothesen – Hüfte und Knie – werden jedes Jahr im Leo eingesetzt. Dafür gibt es feste Abläufe und definierte Standards. „Das haben wir von der Industrie gelernt“, sagt Blanke: Abläufe kopieren und übernehmen. Damit lassen sich Fehler vermeiden und die Qualität verbessern.
Das Leo ist Lehrkrankenhaus der Uni Würzburg. Auch bei der Ausbildung hat sich die Klinik einiges von der Industrie abgeguckt: Es gibt Führungen, Vorstellungsrunden, damit sich die Studenten schnell einfinden können. „Finde ich gut“, sagt einer der angehenden Mediziner beim Abschlussgespräch. „Sonst rennt man den ganzen Tag rum und kennt sich nicht aus.“
Zusammen mit den Kollegen in Gerolzhofen gehören 28 Ärzte zum Team. Wenige Frauen sind darunter, Orthopädie ist eher eine Männerdomäne. Blanke findet das schade. „Frauen sind gut fürs Team, sie haben einen anderen Blick.“ Blanke beobachtet, dass viele Studenten wieder Allgemeinmediziner werden wollen.
Und vor allem Frauen interessieren sich seiner Beobachtung nach für eine Arbeit als Allgemeinmedizinerin im ländlichen Raum: „Das lässt sich gut mit Familie vereinbaren.“ Klinikalltag, besonders in der Orthopädie, ist in vielfacher Hinsicht ein Knochenjob. Es kann gut sein, dass man im Nachtdienst dreimal gerufen wird, wenn viele Unfallopfer zu behandeln sind.
Apropos Knochenjob: Eine OP stellt nicht nur höchste Anforderungen an Konzentration und Koordination des ganzen Teams. Es ist auch beeindruckend, wie körperlich anstrengend sie ist. Bei vielen Operationen steht das Team. Blankes bislang längster Eingriff dauerte 16 Stunden: Der Patient war mit der Hand in eine Säge geraten, vier Finger mussten wieder angenäht werden. Aber wenn man noch eine im wahrsten Sinn des Wortes bleischwere Schürze tragen muss, weil zwischendurch immer wieder geröntgt wird, ist man auch nach nur einer Stunde ziemlich erschöpft.
Im Rahmen der Serie Reporter in Betrieb arbeiten Reporter in den unterschiedlichsten Betrieben mit – vom Bestatter über den mobilen Bäcker bis zum Reifenhandel. Matthais Blanke liest die Serie gern, deswegen hatte er angeboten, sich einen Tag begleiten zu lassen. Dieser Teil der Serie fällt daher ein bisschen aus der Reihe: Denn selber mitanpacken, ging nicht.