
Bonsai ist mehr Kunst als Botanik. Das steht für Wolfgang Kohlhepp fest. Vielleicht ist das der Grund, weshalb die Mehrheit der Bonsai-Verrückten Männer sind, während Frauen oft mehr fürs Gärtnern und fürs Blumen pflanzen zu haben sind.
Dass er 40 Jahre später mehrere Bücher veröffentlicht und rund 50 Zwergbäume rund ums Haus stehen haben wird, das hätte sich der damals Endzwanziger nicht träumen lassen, als er die ersten Bäumchen anschaffte. In leuchtenden Herbstfarben stehen Ende Oktober 2016 unzählige Laubbäumchen bis zu einem halben Meter hoch ordentlich angeordnet auf steinernen Bänken. Die Nadelgehölze gehen im Vergleich zu den farbenprächtigen Laubgehölzen etwas unter. Schuld ist der Indian Summer, der Einzug gehalten hat in Oberwerrn. Der Termin für den Besuch der Reporterin ist kurzfristig abgestimmt. Die Laubfarben verändern sich täglich, kündigt Kohlhepp am Telefon an. Und das beste Foto entstehe bei Regen, wenn Blätter und Stamm feucht sind.
Bonsai-Boom in den Achtzigern
Mit einem Quadratmeter Baumschulpflänzchen hat alles begonnen. Damals, Ende der 1970er-Jahre, war Kohlhepp Pionier: „Bonsai“, die Kunst, Zwergbäumchen über Jahrzehnte hinweg so zu trimmen und ihren Wuchs so zu beeinflussen, dass er möglichst ästhetisch aussieht, kannte in Deutschland kaum einer. Nach einem Bonsai-Boom in den Achtzigern sank das Interesse bis heute eher. Wolfgang Kohlhepp ist drangeblieben.
„In den 1970er-Jahren hatten wir nur englischsprachige Literatur.“ Kohlhepp ist Gründungsmitglied des 1977 ins Leben gerufenen Europäischen Bonsai-Vereins, der sich später wegen Exklusivitäts-Beschwerden aus anderen Ländern in Bonsai-Club Deutschland umbenennt. Inzwischen hat er sich aus dem Vereinsleben zurückgezogen, seine Kontakte hält er über die Jahre auch so.
Kohlhepps Bäume sind bekannt in der Szene, in vielen Büchern und Magazinen waren sie schon als Modelle zu sehen. Der Oberwerrner gilt als Bonsai-Experte, erhält immer wieder Einladungen, seine Exemplare in Ausstellungen zu zeigen. Auch die Fotos machte der Raumausstatter und Kunstmaler für seine Beiträge und Bücher selbst. Ein Fotostudio baute er in den Keller, sein fränkisches Deutsch glättete eine Lektorin.
Bonsaiwäldchen sind eine Herausforderung
Die aktuellste Auflage von „Schritt für Schritt zur Bonsaikunst“ (2004) ist in acht Sprachen übersetzt worden. Darin erklärt Kohlhepp von der Drahttechnik zum Lenken des Wuchses über das richtige Wässern bis zum Astschnitt alles, was für das Bonsai-Hobby nötig ist. Auch Zimmerbonsais kommen im Buch vor, doch die sind nicht nach Kohlhepps Geschmack: „Das sind Hackklötze“, sagt der Mann, der drei Lagen unter der Flanelljacke trägt, verschmitzt. Seine Leidenschaft gehört den Freiland-Bäumen. Denn die seien richtigen Bäumen nachempfunden. „Vorbild ist der Baum in der Natur, wie ihn der Künstler malen würde.“
Windgepeitschte Formen, wie sie an rauen Klippen entstehen, geneigte Formen, verschlungene Formen, wie sie Lawinen in bergigen Höhen modellieren, streng aufrechte Formen oder hängende Formen: Die Möglichkeiten sind unerschöpflich. Oft sind es die besonders dramatischen Wuchsrichtungen, die Bonsai-Freunden Freude machen. Auch Bonsaiwäldchen, also eine Baumgruppe in einer Schale zusammengebracht, gelten als Herausforderung. Ebenso Mehrfachstämme.
Aus dem Gegebenen immer das Interessanteste herausholen, lautet das Motto. Ein chinesischer Wacholder in Kohlhepps Kollektion dreht sich dramatisch um seinen durchfurchten Stamm, nur durch Abschälen alle drei Jahre erhält er diese Oberfläche. Das tote Holz neben der „Lebensader“, durch die noch Wasser fließt, bleicht Kohlhepp für den besseren Effekt mit einer Kalk-Schwefel-Tinktur, die er mit dem Pinsel aufträgt.
Geduld hat Kohlhepp mit dem Bonsai gelernt. Geduld, mit der er auch andere Projekte wie mehrere Gartenteiche umsetzte. „Die Mentalität von Japanern und Asiaten ist, dass sie weit in die Zukunft blicken“, sagt Kohlhepp. Das gefällt ihm. Während Europäer sofort Effekte sehen wollten, gibt es beim Bonsai, einer „lebendigen Skulptur“ aus Ästen und Blättern kein Ende. „Ein Bildhauer schmeißt seinen Meißel hin“, sagt Kohlhepp. „Aber ein Bonsai wird nie fertig.“
Mit dem Gegebenen arbeiten: Am meisten Spielraum hat man, wenn man den Baum aus einem Samen heranzieht, erklärt Kohlhepp. Wer zu wenig Geduld dafür aufbringt, sollte sich eine vorgezogene Pflanze aus der Baumschule holen. Schwierig wird es mit einem Findling, den man aus dem Wald mitnimmt.
Solch ein Findling ist Kohlhepps ältester Baum. Und der ist gleichzeitig ein Sorgenkind. „Die Buche hat etwa mein Alter, ist vielleicht 70 Jahre alt.“ So hat es sich der 67-Jährige ausgerechnet, als er die Buche „mit Krüppelwuchs“ im Wald ausgegraben hatte. „Man lebt in der Hoffnung, dass der Baum über die Jahre schöner und wertvoller wird.“ Doch der Baum blieb eine Enttäuschung.
Die Wurzeln brauchen immer Feuchtigkeit
Kohlhepp ist 67. Mit den schweren Keramikschalen und den großen Exemplaren hat er langsam seine Not: der Rücken. Für den Winter topft er die Bäume aus und setzt sie auf den Boden in ein Winterbeet aus Rindenmulch, damit die Wurzeln immer etwas Feuchtigkeit und keinen Frost bekommen. Den Frost fürchtet Kohlhepp ohnehin: Er ist der Feind der herbstlichen Blattfarben. „Wenn der Frost kommt, ist Sense“, dann werden die Blätter schwarz und fallen ab.
Kohlhepp muss allmählich abbauen. Schweren Herzens verkauft er Bonsais an Sammler. Denn nach einem plötzlichen Tod, würden seine Bäume innerhalb von zwei Wochen eingehen. Zu viel Wasser, zu wenig Wasser, das kann tödlich sein. Und Kohlhepps Kinder haben kein Interesse am Lebenshobby des Vater. Nach und nach will er darum seine Schmuckstücke verkaufen: Zuletzt war ein italienischer Sammler zu Besuch im Oberwerrner Garten und nahm einen chinesischen Wacholder mit. „Vierstellig“ seien seine Bonsais schon wert. In den knorrigen Ästen steckt 40 Jahre Pflege.
Ganz konsequent ist Kohlhepp mit dem Abbauen seiner Sammlung nicht, gesteht er und zeigt auf eine Reihe kleiner Töpfe in der Gartenecke: Zehn Jungpflanzen zieht er wieder heran. Denn die machten besonders Spaß. Ob er im Ruhestand mal nach Japan reisen möchte? Nein, dafür war er schon mehrmals in den USA. Und dort beeindrucken ihn nicht die kleinsten, sondern die größten Bäume der Welt.


