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SENNFELD
Ein Gemüse vom Main ist jetzt in der Slow Food-Arche
Bunz       -  Hans-Werner Bunz vom Slow Food-Convivium Hohenlohe-Mainfranken mit dem „Wappentier“ der Genießer-Organisation.
Foto: Alice Natter | Hans-Werner Bunz vom Slow Food-Convivium Hohenlohe-Mainfranken mit dem „Wappentier“ der Genießer-Organisation.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 27.04.2023 05:08 Uhr

Auf das viele dunkle Grün konnten die Köchinnen gut verzichten. Die Blätter bekam das Vieh, in den Topf kamen die Stiele. Wenn die Hausfrauen vor 100 Jahren Mangold zubereiteten, dann wollten sie möglichst viel weißen Stängel haben. Klein geschnitten und serviert in einer schönen dicken weißen Soße kam das Gemüse dann auf den Tisch.

Irgendwann Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts hatte in Sennfeld, dem Gärtnerdorf bei Schweinfurt, die Gemüsebäuerin Maria Bandorf begonnen, durch traditionelle Auslese Mangoldpflanzen mit breiteren Stielen zu züchten. Das Gemüse war ja beliebt, bereicherte den Speisezettel und schmeckte den Leuten. Aber das viele Grün . . .

Mission breiter Stängel: Eine Gärtnerin begann auszulesen

Im Dorf südöstlich von Schweinfurt wird der fruchtbare Boden des früheren Überschwemmungslandes am Main seit Jahrhunderten – urkundlich seit dem 14. Jahrhundert – für den Gemüseanbau genutzt. Als Maria Bandorf beschloss, ihrem Mangold einen breiteren Stiel anzuzüchten, begann sie durch Auslese eine Haussorte zu entwickeln.

Die Samenselektion sei früher bei Gärtnern und Bauern üblich gewesen, erzählt Hans-Werner Bunz vom Slow Food-Convivium Mainfranken-Hohenlohe. Regionale Spezialitäten haben es dem Schweinfurter angetan – und am feinen Mangold aus Sennfeld hatte er Gefallen gefunden. Also ging er der Entstehung des seltenen Gemüses nach.

Mangold ist zweijährig, die Pflanze muss einmal überwintern, um dann zu blühen und Samen zu bilden. Maria Bandorf ließ also einige Mangold-Pflanzen mit etwas breiterem Stiel auswachsen, statt sie zu ernten, so dass sie im zweiten Jahr Samen bilden konnten. „Zur Überwinterung“, sagt Bunz, „wurden sie eingewickelt und im Dunkeln gehalten.“ Die Pflanzen aus diesen Samen selektierte sie im nächsten Jahr erneut: Den Mangold mit relativ breiten Stielen ließ sie stehen.

Eine Frage des Stiels

Wie lange diese Auslese bis zu ihrer Zufriedenheit und der erfolgreichen Vererbung auf nachfolgende Generationen wohl dauerte? Hans-Werner Bunz, leidenschaftlicher Koch und vor genau 20 Jahren der Gründer und erster Leiter des Mainfranken-Conviviums, fand es nicht mehr heraus. Es muss gedauert haben – aber irgendwann hatte der Mangold aus Sennfeld einen breiteren Stiel: fünf bis sieben Zentimeter, weiß, kräftig, fest und flach. Das Blatt ist hellgrün, relativ dünn und zart in der Struktur. Ein Blattstiel kann bis zu 50 Zentimeter lang werden: viel Substanz, um sie in den Kochtopf zu stifteln.

Vor dem Zweiten Weltkrieg, erzählt Hans-Werner Bunz, brachten die Sennfelder Bauern ihr Gemüse nicht nur nach Schweinfurt auf den Markt. Sie lieferten bis ins Thüringische hinein ihre Kartoffeln, Rettiche, Zwiebeln. Gemüse. „Der Sennfelder Stiel war ein typisches Produkt für die Sennfelder Bauern“, sagt Bunz. „Er wurde gerne gekauft, weil er sehr gut schmeckte.“

Denn den Mangold aus Maria Bandorfs Zucht zeichnete nicht nur der breite Stiel ohne viel Grünzeug aus. Er schmeckt auch milder und süßlicher als der herbe, kräftige handelsübliche Mangold mit dunklem Blatt. „Das ist etwas Feines!“, sagt der Schweinfurter Koch. „Das essen sogar Kinder.“

Irgendwann kamen Paprika aus Spanien, Tomaten aus Holland und Zucchini aus Italien. Statt Mangold wie früher kochte man schick Auberginen. Und mit dem Rückgang der regionalen Vermarktung sank auch die Zahl der Gärtnereien in Sennfeld. Von den einst etwa 20 Sennfelder Gartenbaubetrieben gab es irgendwann nur noch eine Handvoll. Im Angebot spielte der Mangold keine große Rolle mehr.

Die Samen? „Man bekommt sie heute nicht mehr im Samenhandel“, sagt Hans-Werner Bunz. In der örtlichen Samenhandlung Bandorf in Sennfeld habe man bis zu deren Schließung Anfang der 1970er Jahre noch das Saatgut der Haussorte kaufen können: als „Sennfelder Sommer“ und zuletzt als „Bandorfs Auslese“. Doch die regionalen Sorten sind im Erwerbsanbau und auch in den Hausgärten von moderne Hybridsorten verdrängt worden. Weil sie – in Verbindung mit Kunstdüngern – in der Regel höhere und gleichförmigere Erträge gewährleisten, sagt Bunz.

Nur noch drei Anbaubetriebe

Die Samengewinnung obliegt jetzt allein noch den Gärtnern. Wie Rainer Ludwig und Werner Bandorf: Nur noch die beiden vermehren in ihren Gemüsebaubetrieben heute das Saatgut für den Sennfelder Stiel. Und Gärtner Kurt Geyer kauft Jungpflanzen und Samen von den beiden Kollegen für seinen Betrieb zu und baut das rare Gemüse an.

„Mangold ist ein Nischenprodukt“, sagt Werner Bandorf. „Die Älteren schwärmen noch davon, die Jungen machen Smoothies daraus.“ Im April sät er den kostbaren Samen unter Glas aus, „im Mai kommt er nach draußen“. Wenn das Jahr gut ist, kann der Gemüsebauer den „Stiel“, wie die Gärtner den Mangold einfach nur nennen, von Ende Juni bis weit in den Oktober hinein ernten. „Im Moment erholt er sich langsam. Das Wetter im Juli war zu warm und feucht, da ist er fleckig geworden“, sagt Bandorf mit Blick auf den kleinen Streifen in seinem Betrieb, auf dem knapp 300 Mangoldpflanzen stehen. Geerntet werden die äußeren Stiele, verkauft wird der Stiel mit Blatt. „Neue Stiele wachsen aus der Wurzel in der Mitte der Pflanze wieder nach“, sagt Gärtner Werner Bandorf.

Lieber mit Mehlschwitze oder schlicht in Butter?

Traditionell werden in Sennfeld die Stiele des Mangolds in Stücke geschnitten, blanchiert und in einer mit Schweineschmalz zubereiteten Mehlschwitze angerichtet, erzählt Slow-Food-Mitglied Hans-Werner Bunz. „Abgeschmeckt wird mit Sahne, Sauerrahm oder Essig.“ Dazu serviert man dann Mehlklöße und gekochten geräucherten Schweinebauch. Er selbst mag den „Stiel“ simpel: „Je weniger man daran macht, umso besser.“

Also schwitzt und schmort Bunz nur klein geschnittene Zwiebeln an, gibt etwas Wasser oder Fleischbrühe dazu und dünstet das Gemüse samt Blättern, bis die zerfallen sind. „Was ich nicht mache: binden!“. Einfach nur etwas salzen, dazu weißer Pfeffer aus der Mühle. „Und mit der Butter sollte man nicht sparen.“ Weil der Mangold aus Sennfeld so mild ist, vertrage er sich „mit Pellkartoffeln genauso wie mit gerösteten Brotwürfeln oder einfach nur einem Stück Fleisch“, sagt Bunz. Gartenbaumeister Werner Bandorf mag den Mangold auch lieber leicht, statt mit klassischer Mehlschwitze und etwas Essig. Sein Tipp: Pinienkerne dazu.

Neuer Passagier - mit Rauchbier aus BAmberg und Ismaninger Kraut

In diesem Jahr ist das selbst in der Heimat fast vergessene Gemüse tatsächlich über die Grenzen des Schweinfurter Landes hinaus wieder bekannt geworden: der Mangold Sennfelder Stiel ist zusammen mit dem Bamberger Rauchbier und dem Ismaninger Kraut in die „Slow Food Arche des Geschmacks“ aufgenommen worden. Mit dem weltweiten Projekt will die Genießerbewegung und Organisation die Vielfalt in Stall, Gewächshaus und auf dem Tisch fördern. Und regional wertvolle Nutztierarten und Kulturpflanzen, die vom Aussterben bedroht sind, schützen.

In Deutschland sind inzwischen insgesamt 62 Passagiere gelistet, die von den Speiseplänen zu verschwinden drohen und aus der Mode geraten sind. Weil ihr Anbau oder die Verarbeitung zu viel Arbeit macht, weil ihr Ertrag zu gering ist. Weil sie vielleicht gut schmecken und ein außergewöhnliches Aroma haben, aber zu pflegebedürftig, zu unwirtschaftlich, zu unergiebig und für die Lebensmittelindustrie völlig uninteressant sind.

Slow Food, der Verein, versucht alte Sorten und Tierrassen wieder bekannter zu machen – damit sie nachgefragt werden und sich der Anbau und die Zucht wieder ansatzweise lohnen.

13 Arche-Passagiere aus dem Fränkischen

„Die Arche des Geschmacks ist zunächst nur eine sammelnde, beschreibende Aktivität“, sagt Hans–Werner Bunz, durch dessen Bemühen der Sennfelder Mangold zum geschmackvollen Arche-Passagier geworden ist. „Es gilt Belege zu suchen, die Erzeugung einst und heute zu dokumentieren – eine halbwissenschaftliche Arbeit“. Das Convivium Mainfranken-Hohenlohe hat das für 13 fränkische Sorten, Arten und Produkte in den vergangenen 20 Jahren schon erfolgreich geleistet: Rhönschaf, Bamberger Hörnla, Ostheimer Leberkäs, Weideochse vom Limpurger Rind aus dem Hohenlohischen und den Tauberschwarz, eine alteingesessene Rebsorte aus dem Taubertal waren die ersten Lebensmittel und Sorten auf der Slow Food-Liste . . . Und jetzt ist auch das Gemüse, das vor 100 Jahren eine Sennfelder Gemüsebäuerin verbesserte, dabei.

Erste Voraussetzung: guter Geschmack

„Das Produkt muss wirklich gut schmecken!“, sagt Hans-Werner Bunz, der über viele Jahre der Herkunft des Mangolds nachgegangen ist, über die Arche-Passagiere. Mit dem zweiten fränkischen Lebensmittel, das es in diesem Jahr auf die Liste der bedrohten Arten geschafft hat, sollte man das milde Gemüse aber vielleicht nicht servieren. Der Geschmack des Bamberger Rauchbieres traditioneller Herstellungsart wird durch und durch bestimmt vom Rauchmalz. Bei der besonderen Herstellung wird das sogenannte grüne, also noch feuchte Malz nicht in den heute allgemein üblichen rauchfreien Trocknungsanlagen, den Darren, getrocknet, sondern durch den heißen Rauch offenen Holzfeuers in brauereieigenen Rauchdarren. Erst seit der Einführung der rauchfreien Trocknungstechnik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Rauchbier zu einer Besonderheit, die sich nur in Bamberg eine treue Anhängerschaft bewahren konnte.

Die Arche des Geschmacks – und die Passagiere aus Mainfranken

Slow Food geht es bei dem in den 1990er Jahren begonnenen Projekt um biokulturelle Vielfalt. Von den weltweit über 4500 Lebensmitteln, Tieren und Pflanzen auf der Liste kommen 29 aus Deutschland. Arche-Passagiere müssen eine lange Historie haben, die Aufnahmeprüfung ist streng. Um in die „Arche des Geschmacks“ aufgenommen zu werden, müssen die jeweiligen Obst- und Gemüsesorten, Tierarten oder Produkte folgende Kriterien erfüllen:

• Sie sind in der Existenz bedroht.

• Sie zeichnen sich aus durch einzigartige geschmackliche Qualität.

• Sie haben historisch überlieferte Bedeutung.

• Sie besitzen identitätsstiftenden Charakter für eine Region.

• Sie unterstützen die nachhaltige Entwicklung

• Sie stammen aus artgerechter Haltung (Tiere).

• Sie sind frei von gentechnischer Veränderung.

• Die Produkte sind käuflich erwerbbar.

Die große Mehrheit der insgesamt 62 deutschen Passagiere sind vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen und Nutzpflanzenarten, die unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen bedeutungslos geworden sind. Sie haben zu viel Fett und nehmen nicht schnell genug zu so wie das Bunte Bentheimer Schwein, sind nicht spezialisiert genug wie das Murnau-Werdenfelser Rind oder einfach so klein, dass sie durch den Kartoffelvollernter fallen wie das Bamberger Hörnla. Die kleinere Gruppe bilden handwerklich hergestellte Lebensmittel wie der Ostheimer Leberkäs, der von nur einer Metzgerei in der Rhön traditionell hergestellt wird. Arche-Passagiere aus der Region, die von Slow Food Mainfranken-Hohenlohe vorgeschlagen wurden und vom hiesigen Convivium unterstützt werden, gibt es inzwischen 13: Alter fränkischer Satz (seit 2016)

Bamberger Hörnla (2005)

Bamberger Knoblauch (2014)

Bamberger Rettich (2014)

Bamberger Spitzwirsing (2014)

Ostheimer Leberkäs (2004)

Bamberger Rauchbier (2017)

Mangold Sennfelder Stiel (2017)

Rhönschaf (2005)

Schwäbisch-Hällisches Landschwein (2014) Schwarzblaue Frankenwälder Kartoffel (2014) Tauberschwarz (2007) Weideochse vom Limpurger Rind (2005)

Links ein handelsüblicher Mangold, rechts ein Mangold Sennfelder Stiel: weißer, breiter, weniger Blatt.
Foto: Helga Bunz | Links ein handelsüblicher Mangold, rechts ein Mangold Sennfelder Stiel: weißer, breiter, weniger Blatt.
Ein Mangold, wie er nur in Sennfeld wächst: Das besondere, sehr seltene Gemüse zeichnet sich durch zarte grüne Blätter aus – und vor allem durch einen dicken Stil.
Foto: FOTO Hans-Werner Bunz | Ein Mangold, wie er nur in Sennfeld wächst: Das besondere, sehr seltene Gemüse zeichnet sich durch zarte grüne Blätter aus – und vor allem durch einen dicken Stil.
 
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