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GEROLZHOFEN
Ein Flugsaurier am Abendhimmel
Mit der App Flightradar24.com kann man den Flug der Antonow An–12BK über das Steigerwaldvorland gut verfolgen.
Foto: Klaus Vogt | Mit der App Flightradar24.com kann man den Flug der Antonow An–12BK über das Steigerwaldvorland gut verfolgen.
Klaus Vogt
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:53 Uhr

Das Geräusch hört sich an wie eine riesengroße Hummel: Mehrmals in der Woche kurz nach 20 Uhr ist über der Region ein tiefes Motorengeräusch am Himmel zu hören. Was ist das? Ein Blick auf die App „Flightradar24.com“ schafft Klarheit: Es handelt sich um eine relativ tief fliegende Transportmaschine aus noch sowjetischer Produktion.

Bis zu viermal in der Woche brummt es gegen 20.15 Uhr heftig über Gerolzhofen. Verursacher ist eine viermotorige Frachtmaschine vom Typ Antonov An–12BK. Unter „Flightradar24.com“ kann man sich auf dem Handy oder am Desktop über die Flugdaten des Brummers informieren. Der Flug-Tracker bildet die Flugbewegungen von allen zivilen Passagier- und Frachtmaschinen sowie von Hubschraubern und privaten Klein- und Segelflugzeugen in Echtzeit ab. Militärische Flüge und Maschinen von Polizei oder Rettungsdiensten sind in der Regel im Tracker nicht zu sehen. Deren Transponder sind nicht für die Öffentlichkeit freigeschaltet.

Fliegender Oldtimer

Die Maschinen, die mit ihren vier lauten, tieftönenden Propellerturbinentriebwerken die Region Gerolzhofen überqueren, gehören der ukrainischen Frachtfluggesellschaft Cavok Airlines, die ihren Sitz in Kiew hat. Laut Wikipedia besteht die Flotte von Cavok Airlines derzeit aus sieben Antonow An–12. Entwickelt wurde der Flugzeug-Typ noch zu Zeiten der Sowjetunion als Militärtransporter. Der Erstflug fand im Jahr 1957 statt. 1973 war Produktionsende. Die Propeller-Maschine kann bis zu 30 Tonnen Fracht, auch sperrige Güter, über die Heckrampe aufnehmen. Zudem ist die An–12 auch auf kurzen Start- und Landepisten einsetzbar. Die Sondervariante An–12BK ist extra für die Landungen auf unvorbereiteten Pisten ausgelegt. Das Flugzeug hat dafür ein verstärktes Fahrwerk bekommen.

Zahlreiche Unfälle

Die Antonows von Cavok Airlines sind bereits arg in die Jahre gekommen. Man kann sie getrost als Oldtimer bezeichnen. Laut Wikipedia haben sie ein Durchschnittsalter von 48,5 Jahren. Die An–12 gilt allgemein als unfallträchtig. Von den 1243 gebauten Maschinen wurden bislang 232 Stück bei Unfällen und Abstürzen zerstört. 1785 Menschen kamen dabei ums Leben. Der Grund für die hohe Unfallquote dürfte daran liegen, dass die Antonow häufig auf nur schlecht ausgebauten Pisten in Asien und Afrika eingesetzt wird.

Laut „Flightradar24.com“ startet die Antonov An–12BK bei ihrem abendlichen Flug zumeist gegen 19.45 Uhr am Airport Leipzig/Halle in Sachsen. Der Flughafen hat vor allem im Bereich des Luftfrachtverkehrs inzwischen internationale Bedeutung erlangt. Im Frachtbereich belegt er in Deutschland den zweiten Platz nach dem Airport Frankfurt/Main, in Europa den fünften. Für eine hohe Frequenz sorgt insbesondere die Post-Tochter DHL, die den Leipziger Flughafen als nationales und internationales Drehkreuz für ihre gelben DHL-Flugzeuge nutzt.

Mitten in die Sahara

Erstes Ziel des Flugs ist laut „Flightradar24.com“ jeweils der Flughafen der Oasenstadt Ghardaia mitten in der nördlichen Sahara in Algerien. Etwa 2200 Kilometer müssen dafür zurückgelegt werden. Rund 30 Minuten nach ihrem Start bei Leipzig überquert die tiefbrummende Propellermaschine das Steigerwaldvorland. Sie hat zu dieser Zeit schon ihre Reiseflughöhe von 22 000 Fuß über Normalnull erreicht. Dies entspricht einer Höhe von nur 6700 Metern.

Zum Vergleich: Moderne und deutlich leiseren Großraumjets wie der Airbus A380 fliegen in Höhen von bis zu 40 000 Fuß, umgerechnet rund zwölf Kilometer. Bei einer Geschwindigkeit von 238 Knoten (rund 440 km/h) ist die planmäßige Ankunft der Antonow AN–12BK in der Sahara gegen Mitternacht vorgesehen.

Stellt sich die entscheidende Frage: Was transportiert dieser Saurier der Lüfte bis zu viermal in der Woche von Leipzig nach Ghardaia? Handelsgüter werden es ja kaum sein. Ein weiterer Blick in den Flugbewegungs-Tracker „Flightradar24.com“ gibt Auskunft: Die Antonow An–12BK macht in der Oasenstadt nur einen Tankstopp. Danach geht es nochmals 2000 Kilometer in Richtung Süden weiter zum endgültigen Ziel: nach Gao im Norden von Mali in der Sahelzone in Zentralafrika.

Deutsche Blauhelme

Mali? Gao? Richtig: Dort beteiligt sich die Bundeswehr an der UN-Mission „Minusma“ (Mission multidimensionelle integrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali). In der Stadt Gao ist das Hauptkontingent der deutschen Blauhelme stationiert. Nach dem jüngsten Mandat des Deutschen Bundestags vom April 2018 sind hier demnächst bis zu 1100 deutsche Soldaten im Einsatz.

Für ihren Einsatz brauchen die Soldaten tonnenweise Material, unter anderem auch Fahrzeuge und Hubschrauber. Für den Transport hat die Bundeswehr selbst aber keine geeigneten Flugzeuge. Ihr veralteter Standard-Transporter vom Typ Transall kann nur eine Nutzlast von rund 14 Tonnen transportieren. Und die 14 nagelneuen Transporter der Luftwaffe, der Airbus A400M, haben noch massive Kinderkrankheiten. Die Bundeswehr arbeitet deshalb zur logistischen Versorgung ihrer Truppen aus der Luft in Mali mit dem russisch-ukrainischen Gemeinschaftsunternehmen „Ruslan“ im Rahmen des Projekts „Salis“ (Strategic AirLift Interim Solution) zusammen. Übergangsweise, wie der Name "Interim Solution" schon verrät.

„Ruslan“ hat eigene Frachtflieger im Einsatz, chartert aber regelmäßig weitere großräumige Transporter bei anderen Gesellschaften. Wie bei der ukrainischen Cavok Airlines. Das abendliche tiefe Brummen des betagten Flug-Sauriers am Himmel über dem Steigerwaldvorland sind also Versorgungsflüge für das Bundeswehr-Kontingent in Mali.

 
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Kommentare
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  • B. W.
    Tolle Information. Danke. Man kann diese Flüge fast regelmäßig über der Mainschleife hören und über Flightradar 24 verfolgen, aber wofür diese Flüge mit den Antonows sind war weniger bekannt. In den Sommermonaten sind diese Antonows bei klarem Himmel und guter Sonnenanstrahlung oft mit bloßem Auge zu sehen bzw. zu erkennen.
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  • E. E.
    Gute Recherche. Finde auch den Hinweis auf flightradar 24 ganz gut, für alle die noch nie in diese Richtung gesucht haben.
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  • M. S.
    Schöne Geschichte über die gute alte Tante Ju der sowjetischen Luftwaffe. Fluglärm am fränkischen Himmel mal ganz anders. Aber zweimal weniger Werbung für flightradar24 hätte es auch getan.
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