In wenigen Tagen erhält Anna-Katharina Hahn den von der Stadt Greifswald alle zwei Jahre verliehenen Wolfgang-Koeppen-Literaturpreis. Zuvor machte sie auf ihrer Lesereise in Schweinfurt Station und stellte in der Buchhandlung Vogel ihre beiden Romane „Kürzere Tage“, erschienen 2009 sowie die Neuerscheinung „Am schwarzen Berg“ vor.
Ihre Lesung begann sie mit „dem Anfang. Hier werden die Figuren vorgestellt, die Geschichte entwickelt sich.“ Kurz schilderte sie die vorkommende Personenkonstellation und schon nach wenigen Worten waren die Zuhörer mitten in ein Milieu gestellt, so präzise und treffend waren die Beschreibungen der Autorin. Scheinbar beiläufig skizzierte sie ihre Figuren, schob Vergangenes und Gegenwärtiges ineinander, ließ Empfindungen und Gedanken der Figuren latent anklingen.
Ort beider Romane ist Stuttgart und seine Umgebung. Anna Katharina Hahn kennt diese Gegend nur zu gut, ist selbst in dieser Stadt aufgewachsen und nach Jahren wieder dorthin zurückgekehrt. Situationen und Eigenarten der Stadt und Wesenszüge der Menschen sind Teil ihrer eigenen Lebensgeschichte. Der Garten ihrer Großmutter sei für sie als Kind Entdeckungs- und Erfahrungsraum gewesen, die angrenzenden Obstwiesen bildeten eine Art Erinnerungskulisse.
Das pietistische, streng protestantische Württemberg bildete den Hintergrund einer stillen Szene. Luise, eine weitere Figur, wäscht die Leiche ihres in der Nacht verstorbenen Mannes. Hahn flocht den 23. Psalm ein, minutiös schilderte sie jede Handbewegung der alten Frau, längst vergessen geglaubte Gerüche und Gewohnheiten schienen plötzlich wieder präsent, der Duft von frisch gebrühtem Kaffee schien in der Luft zu liegen. Anna Katharina Hahn, eine schmale Person, liest leise. Hoch konzentriert verleiht sie ihren Figuren Gestalt und mit ihrem leicht schwäbisch gefärbten Akzent gar einen spezifischen Tonfall. Präzise sind die Beschreibungen der Autorin, sie malt ein unterschwellig bedrückendes Bild von bodenständiger Bürgerlichkeit. Dicht webt Anna-Katharina Hahn ein Netz von Zuschreibungen und reichert diese mit Bildern und Vergleichen an. So entsteht schnell ein Milieu, das den Leser nicht mehr loslässt. Mit scharfem Blick beobachtet sie und legt mit schonungsloser Schärfe Wesenszüge frei.
Nicht lang waren die Kostproben, die Hahn ihren Zuhörern gönnte. Doch es war zu erahnen, dass es mit dem Idyll des feinen Stadtviertels und des sorgsam gepflegten Gartens bald vorbei sein würde, dass unter der Bürgerlichkeit dunkle Schichten zutage treten werden. Die Leseproben machten Lust auf mehr.