Am Morgen danach mit einem Lächeln aufzuwachen, weil man einen überaus unterhaltsamen, anregenden Vorabend erlebt hat, ist ein Vergnügen. So geschehen, nach dem Piano-Battle im nahezu ausverkauften ZF-Kesselhaus beim Schweinfurter Nachsommer.
In den Ring stiegen die beiden aus dem Off angekündigten Kontrahenten: Der feinsinnige, distinguierte Mister Paul Cibis im klassisch schwarzen Anzug, der schon über 1400 Konzerte mit über 200 000 Zuhörer vorweisen kann. Und der Underdog, Mister Andreas Kern, im lässigen weißen Jeans-Anzug, der mit 69 Tastenanschlägen pro Minute schon mehr Noten in seinem Leben gespielt als Worte gesprochen hat.
Ein Dream-Team der Gegensätze an zwei Flügeln. Gespielt wurde in sieben Runden. Das Publikum stimmte nach jedem Battle mit einer schwarz-weißen Stimmkarte ab. Weiß hieß pro Kern, schwarz pro Cibis. Wer würde als erster seinen Flügel, die anfangs ganz hinten auf der Bühne standen, über die Zielgerade rollen? Die Entscheidung fiel – natürlich – in der allerletzten Runde.
Verbindung von klassischer, zeitgenössischer und U-Musik
Klar, akustisch bot das ehemalige Kesselhaus nicht die besten Voraussetzungen. Trotzdem bannten die beiden international erfolgreichen Pianisten das Publikum, auch mit ihren giggelnden, um die Gunst der Stimmberechtigten buhlenden Zwischenmoderationen. Oftmals gespickt mit kurzweiligen Infos über Werke und Komponisten. Ein tolles Format von Cibis und Kern, klassische, zeitgenössische und U-Musik zu verbinden. Sie können einfach alles: versunken im Spiel verzaubern, überdreht den Flügel traktierend zum Klingen bringen oder spontan auf Zuruf improvisieren.
Die erste Runde entschied Kern für sich mit einer von Scriabins Etüden, da hatte Cibis‘ Chopin-Stück keine Chance. Knapp wurde es in Runde zwei: Schuberts Impromptu bot Kern in einer traumhaften Version, doch Cibis zog das Publikum mit Debussys Claire de lune auf seine Seite.
Ping-Pong am Flügel
Grandios Runde drei. Cibis wählte die 1951 entstandene Komposition von György Ligeti: ein hämmerndes, brachiales Oeuvre. Es hatte keine Chance gegen Kerns fantastische Darbietung von Moritz Eggerts perkussivem „One Man Band“ aus dem Jahre 1994. Sehr unterhaltsam dann Schuberts Ave Maria in der Ping-Pong-Version: Kern und Cibis spielten einhändig und hielten in der anderen Hand eine Tischtennisschläger, mit dem sie versuchten, zugeworfene Bälle in den Flügelkorpus des anderen zu spielen. Cibis gewann. Den Halbzeitstand analysierten sie in typischer Fußball-Manier: „Gestrecktes Bein auf den Tasten beim Eggert-Stück ist kontrovers zu diskutieren, da könnte der Video-Assistent zum Einsatz kommen.“
Beim Zuruf-Wünsch-dir-was-Teil improvisierten Kern und Cibis und schafften das Unmögliche: Sie verbanden Bach mit Ragtime, „Für Elise“ mit Schostakowitsch, Rachmaninoff mit Rock 'n' Roll. Es blieb kein Zuhörer-Wunsch offen. In der alles entscheidenden letzten Runde spielten beide gemeinsam mit verbundenen Augen – jeder an seinem Flügel – die letzten beiden Sätze aus Mussorgsky-Ravels „Bilder einer Ausstellung“. Es gewann Andreas Kern. Der eigentliche Gewinner aber war das Publikum! Ovationen zum Schluss und davor drei wunderbare Zugaben.