Rosa ist für Mädchen, Hellblau für Jungs – nach diesem Prinzip sind ganze Kaufhausabteilungen geordnet. In ihrem Buch „Die Rosa-Hellblau-Falle“ beschäftigen sich die Autoren Almut Schnerring und Sascha Verlan aus Bonn mit Rollenklischees, die derzeit wieder vermehrt aufkommen, eine ganze Produktindustrie am Leben halten und sich zunehmend in den Köpfen der Betroffenen festsetzen.
Die Kommunikationstrainerin und der Journalist und Regisseur sind selbst Eltern von drei Kindern im Alter von zehn,13 und 15 Jahren. Sie beschreiben Szenen aus dem Familienalltag, hören sich in Kindertagesstätten um und diskutieren mit Marketingstrategen, Genderforschern, Pädagogen und anderen Eltern. Was können wir tun, damit sich unsere Kinder wirklich frei entscheiden können?
Antworten gibt es bei einer Lesung am Montag, 6. März, um 19.30 Uhr in der Schweinfurter Buchhandlung Vogel und am Dienstag, 7. März, 19.30 Uhr, in der Stadtbücherei Würzburg. Die Aktion ist eine gemeinsame der Gleichstellungsstellen in Schweinfurt Stadt sowie Würzburg Stadt und Land.
Almut Schnerring. Ja. (lacht) Die meisten Leute sind überzeugt, dass sie Kinder gleich, also unabhängig vom Geschlecht, behandeln. Wir sagen: Das geht gar nicht. Denn wir alle sind in einem Umfeld aufgewachsen, in dem uns vermittelt wird, dass Jungs anscheinend mutiger sind als Mädchen und Mädchen empathischer sind als Jungs. Auch wenn Eltern sich bemühen, diese Zuschreibungen nicht zu machen, ist es eine gesellschaftliche Übereinkunft, die uns unterbewusst begleitet. Nur, wenn wir erkennen, dass wir Unterschiede machen, können wir aus dem Kreislauf ausbrechen.
Sascha Verlan: Wir haben ja in der Erwachsenenwelt in den vergangenen Jahren viel erreicht, was die Gleichstellung von Mann und Frau betrifft. Ich denke da zum Beispiel an die Angleichung von Gehältern, zu der auch am „Equal Pay Day“ (18. März) aufgerufen wird. Wir vergessen aber, dass der Grundstein schon in der Kindheit gelegt wird.
Verlan: Repräsentativen Umfragen zufolge bekommen Jungs in Deutschland deutlich mehr Taschengeld als Mädchen. Mädchen hingegen müssen mehr im Haushalt und bei der Betreuung von kleineren Geschwistern mithelfen. Da wird ein Unterschied antrainiert, den wir später versuchen mit großen Gesetzen wieder auszugleichen. Unsere These ist, dass wir bereits bei den Kindern anfangen müssen, für eine Gleichberechtigung der Geschlechter zu sorgen.
Schnerring: Im Prinzip steht die Falle schon bereit, bevor das Kind geboren ist. Sobald Eltern wissen, was das Geschlecht ihres Kindes ist, sind damit bestimmte Erwartungen verbunden. Selbst die Stimmlage, mit der die Mutter mit dem Baby im Bauch spricht, orientiert sich daran, ob es ein „Er“ oder eine „Sie“ wird. Das ist aber ein „lebendiger Junge“ oder ein „braves Mädchen“ sind Attribute, die schon Ungeborenen zugeordnet werden.
Verlan: Wir als Eltern wollten nicht diejenigen sein, die ihm etwas ausreden oder verbieten. Oder Konflikte schaffen, wo noch keine sind. Wir wollen unsere Kinder stärken, Wünsche erfüllen und dann für sie einstehen, wenn es Konflikte gibt. Natürlich haben wir uns Gedanken gemacht, wie die anderen reagieren. Aber Kinder und Erzieher haben das gut aufgenommen. Unser Sohn war von diesem Tag an öfter die Mutter beim Mutter-Vater-Kind-Spiel.
Verlan: Das Beispiel zeigt schön, wie Interessensgebiete von der Marketingindustrie zugeordnet werden. Pferde sind inzwischen eindeutig mit Mädchen verbunden, wahrscheinlich wird es schwer sein, eine neutrale Trinkflasche mit Pferdekopf auf dem Markt zu finden.
Aber wenn man generell hinter dem Kauf einer Flasche steht, warum dann dem Jungen nicht seinen Wunsch erfüllen?
Schnerring: Und da sollte es erst mal egal sein, was andere vielleicht sagen oder denken werden. Vorauseilender Gehorsam ist immer ein Problem – da unterstellen wir ja schon im Vorhinein anderen Menschen, dass sie sich intolerant verhalten werden.
Schnerring: Der Einfluss von Marketing und Werbung ist immens. Auch das so genannte Gendermarketing (Anmerk. d. Red.: geschlechterspezifisches Marketing) hat in den vergangenen Jahren immer mehr zugenommen. Für die Scheibenwischanlage gibt es das Putzmittel in Blau oder Rosa, Schokolade gibt es in der Prinzessinnen- oder der Ritterverpackung. Auch Schnuller und Trinkflaschen werden nach Geschlechtern getrennt angeboten. Es gibt eigentlich keinen Produktbereich, in dem Gendermarketing nicht versucht wird.
Schnerring: Das zeigen Studien mit Experten und Wissenschaftlerinnen, aber auch Erzählungen unserer Kinder und anderer Eltern. Sobald man einen Blick dafür entwickelt hat, stößt man tagtäglich auf die Rosa-Hellblau-Falle.
Verlan: Die Rückentwicklung ist auch in der Spielwarenindustrie deutlich zu erkennen. Das Putzset und die Küche in Rosa - für Mädchen geht es ganz stark hinter den Herd zurück. Es wird da gerne argumentiert, dass es das ist, was Mädchen wirklich interessiert. Auch Bücher und Filme leben diese Rollenklischees vor. Die Folge ist, dass es ein Junge, der sich für Prinzessinnen interessiert, schwerer im Leben hat, genauso wie ein Mädchen, das sich für Technik interessiert und vielleicht in dem Bereich Karriere machen will.
Verlan: Die Gender-Forscherin Anne Fausto-Sterling hat einmal gesagt, wir sind zu 100 Prozent Biologie und zu 100 Prozent Prägung. Das lässt sich nicht trennen, da die Prägung schon vor der Geburt beginnt. Unser Gehirn passt sich der Umwelt an. Auch Hormone verändern sich durch unser Handeln.
Verlan: (lacht) Ganz geschlechtsneutral zu erziehen, ist nicht möglich und auch gar nicht unser Ziel. Das Wichtige ist, sich bewusst zu machen, wie man selber aufgewachsen ist und das eigene Handeln in Frage zu stellen. Wo gebe ich positive Rückmeldung, wo reagiere ich neutral oder ablehnend. Es geht darum, unseren Kindern eine größere Wahlfreiheit zu ermöglichen. Es ist nicht so wichtig, ob unser Kind ein Junge oder Mädchen ist, wichtig ist die Persönlichkeit, die in ihm steckt. Und die gilt es zu fördern. Auch wir schaffen das zuhause im Alltag oft nicht, stellen uns aber immer wieder in Frage.
Schnerring: Mit diesem Tag wollen wir auf die mangelnde Wertschätzung von Fürsorgearbeit aufmerksam machen, den geringen Stellenwert, den Pflegearbeiten insgesamt haben und das Sich-Kümmern um Kinder oder Pflegen von Kranken. Zudem wollen wir ein Bewusstsein schaffen für die unfaire Verteilung dieser Arbeit: Denn 80 Prozent der Care-Arbeit wird von Frauen geleistet, sowohl im Beruf wie im Privaten.
Schnerring: Wir meinen noch immer, Empathie sei eine weibliche Eigenschaft, anstatt dafür zu sorgen, dass Männer und Frauen dieselbe Wertschätzung erfahren, wenn sie sich um andere Menschen kümmern. Doch wenn ein Junge mit Puppen spielt oder sich später für den Erzieherberuf interessiert, muss er sehr schnell erfahren, dass das untypisch ist und irgendwie komisch. Die Folge ist dann diese unfaire Verteilung von Care-Arbeit in der Erwachsenenwelt. Mit dem Datum im Schaltjahr wollen wir daran erinnern, dass Männer in Deutschland über vier Jahre brauchen, um die Care-Arbeit zu leisten, die Frauen in einem Jahr geleistet haben. Foto: Thinkstock