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Gerolzhofen
Konzert in Gerolzhofen: Ein historisches Bild erzählt seine Geschichte
Im Internet ist eine alte Fotografie von einem Standkonzert auf dem Gerolzhöfer Marktplatz aufgetaucht. Das Bild öffnet ein Fenster in eine längst vergangene Zeit.
Dieses Bild von einem Standkonzert auf dem Gerolzhöfer Marktplatz konnte nun im Internet erworben werden.
Foto: Sammlung Klaus Vogt | Dieses Bild von einem Standkonzert auf dem Gerolzhöfer Marktplatz konnte nun im Internet erworben werden.
Klaus Vogt
 |  aktualisiert: 09.02.2024 18:22 Uhr

Für das Gerolzhöfer Stadtmuseum gibt es einen interessanten Neuzugang: Bei Ebay konnte eine historische Fotografie erworben werden, die ein Standkonzert auf dem Gerolzhöfer Marktplatz zeigt. Im Hintergrund ist noch das alte Kriegerdenkmal für die Toten des deutsch-französischen Kriegs 1870/71 zu sehen, dahinter spitzt das Haus der jüdischen Kaufmanns-Familie von Hermann Löbhardt mit seinen Söhnen Stefan und Otto hervor. Mehrere Jungs am rechten Bildrand lauschen in sommerlichen Kleidung den Klängen der Blaskapelle.  

Da das Bild außer "Standkonzert Gerolzhofen" nicht weiter beschriftet ist, war Forschergeist gefragt, um herauszubekommen, wann und aus welchem Anlass diese Fotografie entstanden sein könnte. Sicher war zunächst nur, dass es sich nicht um eine offizielle Bildpostkarte handelt, sondern dass das kleinformatige Foto offenbar aus einem privaten Album stammt. Kleberreste auf der Rückseite deuten darauf hin. Möglicherweise befand sich das Bildchen im Besitz jenes Musikers, der auf dem Bild mit einem kleinen Kreuz gekennzeichnet ist - so nach dem Motto "das bin ich".

Ausgeh-Uniformen des RAD

Zunächst war zu klären, welche Uniformen die Musiker tragen. Eine Veröffentlichung mit entsprechendem Aufruf im Internet brachte schnell ein Ergebnis: Die Schwarm-Intelligenz legte sich fest, dass es sich hier um Mitglieder des sogenannten Reichsarbeitsdienstes (RAD) handelt. Zur Ausgeh-Uniform des RAD  gehörte damals nämlich eine in der Länge eingewölbte Mütze mit Schirm samt Spaten-Abzeichen, die die Männer auf dem Bild tragen. Laut Internet-Lexikon Wikipedia wurde die Mütze von den Arbeitsdienstlern damals als „Arsch mit Griff“ bezeichnet. Der Dirigent auf dem kleinen Podest trägt zudem an seiner linken Seite ein schwarzes Ledergehänge, in dem eine Blankwaffe (ein so genannter Hauer) für RAD-Unterführer steckt.

Wachablösung an der Torzufahrt des Gerolzhöfer RAD-Lagers: Der Spaten war für die Männer eine Art Ersatzgewehr. Während bei der Wehrmacht diverse Gewehr-Griffe zum Drill gehörten, gab es beim RAD die „Spatengriffe“.
Foto: Sammlung Klaus Vogt | Wachablösung an der Torzufahrt des Gerolzhöfer RAD-Lagers: Der Spaten war für die Männer eine Art Ersatzgewehr. Während bei der Wehrmacht diverse Gewehr-Griffe zum Drill gehörten, gab es beim RAD die „Spatengriffe“.

Lager am Stadtrand

Was hat eine RAD-Kapelle in Gerolzhofen zu suchen? Tatsächlich gab es in Gerolzhofen zur Zeit des NS-Regimes ein Lager des Reichsarbeitsdienstes am westlichen Stadtrand, das zunächst mit Männern, später auch mit Frauen besetzt war. Im Sommer 1931 war in Deutschland ein Freiwilliger Arbeitsdienst (FAD) eingesetzt worden, der zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit beitragen sollte. Träger des Arbeitsdienstes konnten nur Körperschaften des öffentlichen Rechts oder solche Vereinigungen und Stiftungen sein, die gemeinnützige Ziele verfolgten. Im Rahmen der von der NSDAP forcierten Gleichschaltung ab März 1933 verloren andere Institutionen nach und nach ihre Trägerschaften am FAD und der Arbeitsdienst entwickelte sich zu einer staatlichen paramilitärischen Einrichtung. Im Juni 1935 wurde per Gesetz aus dem freiwilligen Dienst am FAD eine Dienstpflicht im RAD. Ihrer Dienstpflicht hatten von nun an alle männlichen Jugendlichen nach dem vollendeten 18. Lebensjahr bis spätestens zur Vollendung des 25. nachzukommen.

Gerolzhofen hatte die Nummer 4/284

Der RAD im Reich war in insgesamt 33 durchnummerierte Arbeitsgaue eingeteilt. Der Arbeitsgau Franken hatte seinen Verwaltungssitz in Würzburg und trug die Nummer 28. Innerhalb der Arbeitsgaue wurde nach Gruppen unterteilt und diese Gruppen nochmals in Abteilungen. Das Lager Gerolzhofen trug die Nummer 4/284, was soviel heißt wie die vierte Abteilung in der vierten Gruppe (Maindreieck und Haßberge) im Gau 28. Weitere Abteilungen der RAD-Gruppe 284 waren 1936 in Kitzingen, Würzburg (Dürrbachau), Wiesentheid, Arnstein, Schweinfurt, Haßfurt und Eltmann stationiert.

Das Lager 4/284 in Gerolzhofen erhielt den so genannten Ehrennamen "Frankenkönig Theudebert". Jener Theudebert aus dem Geschlecht der Merowinger war ab 534 König der Franken. Er habe, so die Diktion der damaligen NS-Machthaber, mit der Gründung von mehreren Königshöfen, dem Entwässern sumpfiger Flusstäler und dem Lichten dichter Wälder die Voraussetzungen geschaffen für "die blühende Entwicklung der fränkischen Lande am Main, Regnitz und Altmühl".   

In der Jugendherberge

Ende 1933 hatten in Gerolzhofen die Bauarbeiten für das Stammlager in der heutigen Pestalozzistraße unter Führung der "Lagerbaugenossenschaft Gerolzhofen" begonnen. Die zunächst noch freiwilligen FAD-Mitglieder waren bis zur Fertigstellung des neuen Lagers am 17. Oktober 1934 noch provisorisch in der Jugendherberge "Waldesruh", im Saudrachshof bei Michelau und in Gerolzhofen im Saalbau Herterich ("Wilder Mann") am Marktplatz sowie im "Brauhaus" in der Rügshöfer Straße untergebracht.

Die RAD-Lagergebäude und die große Turn- und Übungshalle lagen auf einem annähernd 10 000 Quadratmeter großen Areal, das mit Bretterzäunen und Heckenanpflanzungen nach außen hin abgeschlossen war. In der Mitte war ein 7500 Quadratmeter großer Appell-Platz. Ein 2000 Quadratmeter großer Gemüsegarten gehörte ebenfalls dazu. Der frühere Sport- und Festplatz auf der anderen Seite der Bahngleise (heute steht dort das Gebäude der Polizeiinspektion) durfte vom RAD mitbenutzt werden.

Männer aus dem RAD-Lager  in Gerolzhofen beim Bau von Entwässerungsanlagen und Feldwegen. Wo genau dieses Bild entstand, ist (noch) unklar. 
Foto: Sammlung Klaus Vogt | Männer aus dem RAD-Lager  in Gerolzhofen beim Bau von Entwässerungsanlagen und Feldwegen. Wo genau dieses Bild entstand, ist (noch) unklar. 

Wirtschaftswege angelegt

In einem Tätigkeitsbericht für die Arbeitsdienstabteilung 4/284 vom Sommer 1935 anlässlich der Verkündung der Arbeitsdienstpflicht ist zu lesen, dass die Bautrupps bis zu diesem Zeitpunkt im Bereich von Wiebelsberg/Mutzenroth bereits acht Kilometer Wirtschaftswege angelegt hatten. Bei Alitzheim wurden auf einer Fläche von 97 Hektar Drainagen und Entwässerungsgräben geschaffen. In den nachfolgenden Jahren folgten laut Planung noch die Flurbereinigung auf 826 Hektar Land bei Frankenwinheim, die Entwässerung auf 120 Hektar bei Vögnitz und die Erschließung eines Siedlungsgebiets in Gerolzhofen für acht neue Häuser (heute an der Schallfelder Straße gegenüber vom ehemaligen Amtsgerichtsgebäude).

"Germania" als wichtiger Hinweis

Nun stellt sich aber die Frage, wann das auf der Fotografie überlieferte Konzert der RAD-Kapelle in Gerolzhofen stattfand. Ein Hinweis liefert die Statue der "Germania" auf dem Marktplatz. Das Denkmal war am 26. August 1900 feierlich enthüllt worden. Wenig später wurde es aber ein Opfer des sich ändernden Zeitgeschmacks. Schon 1918 hatte der Regierungspräsident deutliche Kritik am Ehrenmal geübt. Es dauerte trotzdem bis zum April 1939, bis der hiesige Bildhauer Peter Schneider von der Stadt den Auftrag erhielt, die "Germania" samt Postament abzubauen und zunächst einmal in seiner Werkstätte zu verwahren. Somit lässt sich der Zeitpunkt des Standkonzerts zunächst einmal auf die Spanne vom Oktober 1934 (Fertigstellung des RA-Lagers) bis April 1939 eingrenzen.

Die Gebäude des Reichsarbeitsdienstes in Gerolzhofen an der heutigen Pestalozzistraße. Der linke Gebäudekomplex nördlich des Zugangstors steht heute noch. 
Foto: Sammlung Klaus Vogt | Die Gebäude des Reichsarbeitsdienstes in Gerolzhofen an der heutigen Pestalozzistraße. Der linke Gebäudekomplex nördlich des Zugangstors steht heute noch. 

Dass die "Germania" mit ihrem siegessicheren Blick Richtung Westen anno 1939 vom Sockel geholt wurde, hängt auch damit zusammen, dass am Sonntag, 23. August 1936, im Untergeschoss der Johanniskapelle ein neues Kriegerdenkmal aus der Werkstatt von Ludwig und Otto Sonnleitner für die Opfer des Ersten Weltkriegs enthüllt worden war. Das gedruckte Festprogramm zu diesem Anlass ist bis heute im Stadtarchiv hinterlegt.

Standkonzert am Marktplatz

Aus dem Programm ist ersichtlich, dass am frühen Nachmittag, bevor sich ein Festzug durch die Straßen der Stadt formierte, erst um 12.30 Uhr noch ein Standkonzert auf dem Marktplatz stattfand - "ausgeführt von der Gruppenkapelle des RAD 284". Der damalige Gerolzhöfer Bürgermeister Greß hatte zuvor schriftlich beim Führer der Gruppe 284 um ein entsprechendes Konzert gebeten.

Mit Schreiben vom 18. August 1936 traf die Konzertbestätigung bei der Stadtverwaltung Gerolzhofen ein. Der Gruppenmusikzug stehe vereinbarungsgemäß für den 23. August zu Verfügung, heißt es in dem Brief, der sich im Stadtarchiv befindet. Die Musiker würden am Sonntag mit dem Frühzug in Gerolzhofen eintreffen. "In Bezug auf die finanziellen Abmachungen wird sich der Musikzugführer, Unterfeldmeister Höhn, persönlich mit Ihnen in Verbindung setzen", ist im Schreiben an Bürgermeister Greß zu lesen.

Die Einheiten des Gerolzhöfer Reichsarbeitsdienstes mit geschulterten Spaten bei einem Festzug stadtauswärts in der Bahnhofstraße.
Foto: Sammlung Klaus Vogt | Die Einheiten des Gerolzhöfer Reichsarbeitsdienstes mit geschulterten Spaten bei einem Festzug stadtauswärts in der Bahnhofstraße.

Letztlich fehlt allerdings der letzte Beweis, dass die kleine Fotografie vom Gerolzhöfer Marktplatz tatsächlich das sommerliche Standkonzert des Musikzugs 284 vom 23. August 1936 zeigt. Der Musikzug ist sicherlich noch öfter in der Stadt aufgetreten, insbesondere bei den alljährlichen Nazi-Umzügen, von denen es auch Fotografien im Stadtarchiv gibt.

Das neu entdeckte Bildchen aber öffnet ein Fenster in eine Zeit, die glücklicherweise überwunden ist.

 
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Kommentare
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  • R. S.
    Danke, sehr interessant. Bitte mehr zu Geos Zeitgeschichte;)
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