Im Jahr 2003 hat die Unesco beschlossen, die Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit zu fördern. Die verbindliche Unesco-Konvention trat 2006 in Kraft, analog zur Liste des materiellen Weltkulturerbes (Würzburger Residenz, Bamberger Altstadt) entsteht seither eine Liste mit gelebten Traditionen und Ausdrucksformen – mit darstellenden Künsten, Handwerkstechniken, altem Wissen, Bräuchen, Ritualen und Festen.
336 Enträge aus aller Welt
Auf der Liste stehen etwa der argentinische und uruguayische Tango, die tibetische Oper in China und die Manden Charta in Mali, die als älteste Verfassung der Welt gilt.
Rund 150 Staaten sind bislang der Konvention beigetreten, Deutschland hat es im Jahr 2013 dann tatsächlich auch geschafft. 336 kulturelle Ausdrucksformen aus allen Weltregionen sind inzwischen bei der Unesco verzeichnet, die Bundesrepublik hat 2015 ihre erste internationale Nominierung eingereicht: „Idee und Praxis der Organisation von gemeinsamen Interessen in Genossenschaften“.
Dass demnächst die Kirchweihen in Gochsheim und Sennfeld auf dieser Liste erscheinen, ist eher unwahrscheinlich, auch wenn die Überschrift „Sennfeld will Weltkulturerbe werden“ in der Silvesterausgabe dieser Zeitung nichts weniger ankündigte.
Das Ziel ist noch in weiter Ferne
„Das Endziel Unesco-Liste ist sehr weit und sehr hoch gesteckt“, sagt der Volkskundler Jochen Ramming. Ramming ist Kulturwissenschaftler und betreibt zusammen mit einer Kollegin das Würzburger Kulturbüro „FranKonzept“, das Ausstellungskonzepte und pädagogische Programme erarbeitet oder Forschungsaufträge übernimmt.
In diesem Fall aber ist Ramming vor allem Sennfelder und hat als solcher die Bewerbung seines Heimatdorfs mitbetreut. Und zwar die Bewerbung für das bayerische Landesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes.
Es geht von unten nach oben: Nur wer auf der bayerischen Liste steht, kann für die bundesweite Liste vorgeschlagen werden – das wird mit etwa zwei bis drei Einträgen passieren, sagt Ramming. Und nur wer auf der deutschen Liste steht, kann für die Unesco-Liste kandidieren. Wie gesagt: Der erste deutsche Eintrag steht noch aus.
Nach einer ersten Bewerbungsrunde hatten es 13 Bräuche beziehungsweise Traditionen auf die Landesliste geschafft, die auf der Homepage des Kulturministeriums einsehbar ist, darunter die Brautradition nach dem Reinheitsgebot (natürlich Platz 1), die Landshuter Hochzeit, der Münchner Viktualienmarkt, die Passionsspiele Oberammergau oder die hochalpine Alpwirtschaft im Allgäu.
Alle zwei Jahre eine Bewerbungsrunde
Die zweite Bewerbungsrunde (künftig soll alle zwei Jahre eine stattfinden) endete im Oktober, unter den Einreichern sind eben auch die Sennfelder, die nach Rücksprache mit dem zweiten ehemaligen Reichsdorf Gochsheim eine Art Doppelantrag gestellt haben: „Friedensfest zur Wiedererlangung der Reichsfreiheit – Sennfelder und Gochsheimer Kirchweihen“, lautete der Titel. „Friedensfeste gab es nach Ende des Dreißigjährigen Kriegs einige, aber fast alle sind wieder verschwunden“, sagt Ramming.
Nicht so die Feste in Gochsheim und Sennfeld, die irgendwann mit den Kirchweihen verschmolzen und seit 1649 gefeiert werden. Für Emil Heinemann, Bürgermeister von Sennfeld, ist dieser historische Hintergrund (siehe Infokasten) aussschlaggebend für den Antrag, den er zwar formuliert, den aber der Trachtenverein „Die Semflder“ gestellt habe: „Es geht ja nicht um irgendeine 08/15-Kirchweih. Man muss sich vorstellen, was die Bürger der beiden schwer vom Krieg gezeichneten Dörfer damals auf sich genommen haben, um die Reichsfreiheit wiederzuerlangen. Weil sie sich nicht mit dem zufrieden geben wollten, was ihnen die Obrigkeit übergestülpt hatte“, sagt Heinemann.
Seit 366 Jahren also pflegen die beiden ehemaligen Reichsdörfer ihre Friedensfest- beziehungsweise Kirchweihtradition. Zur Bewerbung waren zwei Gutachten einzureichen, eines davon schrieb Jochen Ramming selbst, das andere Armin Griebel von der Forschungsstelle für fränkische Volksmusik in Uffenheim. Griebel sei vor allem beeindruckt gewesen, dass jeweils das ganze Dorf die alten Volkstänze kenne und pflege und nicht nur – wie andernorts – die Trachtler. Diese Verankerung sei wichtig für die Bewerbung.
„Man muss es halt versuchen“, sagt Bürgermeister Heinemann. Der Volkskundler Jochen Ramming hält die Chancen, auf die bayerische Liste zu kommen, für durchaus realistisch. „Es wird bewusst auch auf kleinere Bräuche Wert gelegt und nicht nur auf die berühmten Highlights.“
Und das wäre durchaus eine Form der Wertschätzung, auf die die Dörfer stolz sein könnten. Kreisheimatpfleger Stefan Menz befürwortet die Bewerbung. Sollte sie erfolgreich sein, könnte das auch einen Motivationsschub für die Dorfgemeinschaften bedeuten: „Es ist gar nicht immer so leicht, die jungen Leute zum Mitmachen zu überzeugen.“
Voraussetzung ist übrigens, dass eine Tradition seit mindestens drei Generationen besteht. Sömmersdorf (Passionsspiele seit 82 Jahren) und Bamberg (Sandkerwa seit 1951) müssen mit ihrem Bewerbungen also noch ein bisschen warten.
Hauptsache nicht beim Hochstift – die Wiedererlangung der Reichsfreiheit
Als am 25. Oktober 1648 der Westfälische Friede ausgerufen wurde, war der Dreißigjährige Krieg endlich vorüber. Grund zur Freude gab es bald danach in Gochsheim und Sennfeld. Die Dörfer hatten 1635 ihre Reichsfreiheit verloren, als das Kaiser sie dem Hochstift Würzburg überließ. Im August 1649 erlangten sie diese nach 16-jährigen, zähen und kostspieligen Verhandlungen zurück und behielten sie bis 1802, bis zur Eingliederung an Bayern. Die – evangelischen – Dörfer unterstanden damit nur dem Kaiser und nicht dem – katholischen – Fürstbischof und hatten besondere Rechte, etwa die Ausübung der niederen Gerichtsbarkeit. Seit 1649 feiern sie mit der Kirchweih die Wiedererlangung der Reichsfreiheit.