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Editorial: Ganze Welten eröffnet
Von MATHIAS WIEDEMANN mathias.wiedemann@mainpost.de
 |  aktualisiert: 24.05.2012 17:43 Uhr

Er hat wohl jede Opernrolle von Bedeutung seines Fachs gesungen, von Mozarts Don Giovanni bis zu Wagners Hans Sachs, von Verdis Falstaff bis zu Bergs Wozzeck. Und doch hat Dietrich Fischer-Dieskau wie kein anderer vor allem das Bild des Liedgesangs unzähliger Menschen geprägt: Seine Interpretationen der Schubert-Zyklen „Winterreise“ und „Die schöne Müllerin“, von Schumanns „Dichterliebe“ und natürlich vieler Rückert-Lieder haben Generationen jüngerer Künstler beeinflusst – indem sie seiner einzigartigen Verbindung von musikalischem Intellekt und emotionaler Tiefe nacheiferten, oder indem sie versuchten, dezidiert andere Wege zu gehen.

Am 18. Mai ist der große Bariton, Dirigent und Musikschriftsteller kurz vor seinem 87. Geburtstag gestorben. Sein möglicherweise letztes Werk ist eng mit Schweinfurt verbunden: Zu Band 19 der Rückert-Studien der Rückert-Gesellschaft, erschienen 2011, hat Dietrich Fischer-Dieskau den Beitrag „Und die Welt ist singbar – Rückerts Gedichte und ihre Vertonungen“ verfasst.

Er stellt darin die These auf, dass Rückert vielleicht, weil er so viel, so Unterschiedliches schrieb, aus vielen Lexika unserer Zeit verschwunden ist. Am 16. Februar 1975 dirigierte Dietrich Fischer-Dieskau im Schweinfurter Theater die Bamberger Symphoniker mit Mendelssohn, Chopin und Schumann. Vor allem aber ist er der fünfte Rückert-Preisträger der Stadt. In den Listen steht das Jahr 1977, überreicht bekommen hat Fischer-Dieskau den Preis aber erst zwei Jahre später, er schaffte es vorher einfach nicht nach Schweinfurt. 1979 führte ein Liederabend ihn dann doch nochmal ins Theater, und danach kam es zu einer eher schmucklosen Überreichung ohne Laudatio.

Exemplarisch für das Besondere seiner Gesangskunst ist vielleicht seine Interpretation der „Dichterliebe“ von Robert Schumann, dieses Glücksfalls des Zusammentreffens von wunderbarer Lyrik (Heinrich Heine) und wunderbarer Musik. Auch andere Sänger haben stilbildende Aufnahmen in ganz anderem Stil abgeliefert, Hermann Prey etwa mit seiner – heute vielleicht unterschätzten – „Winterreise“. Oder Fritz Wunderlich mit seiner großartigen „Schönen Müllerin“. Aber selten hat sich in einigen wenigen – vergleichsweise schlichten – Liedern so unmittelbar der Geist eines Künstlers gezeigt wie in Fischer-Dieskaus „Dichterliebe“. Das Schwerste sind bekanntlich die einfachen Melodien. Dietrich Fischer-Dieskau verstand es, mit ihnen ganze Welten zu öffnen.

 
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