Wenn Personen des öffentlichen Lebens ihre Memoiren veröffentlichen, dann kommen dabei nicht zwangsläufig gute Bücher heraus. Das gilt auch und gerade für ehemalige Inhaber hoher und höchster Ämter. Nicht selten entstehen mit der Hilfe von Ghostwritern Druckwerke von überschaubarer literarischer Qualität und noch überschaubarerem Inhalt. Fast scheint es, als gelte für diese Bücher nur ein Kriterium: Wie brutal teilt er oder sie gegen ehemalige Gegner und – vor allem – Weggefährten aus?
Die Autobiografie „Halbes Land. Ganzes Land. Ganzes Leben“ von Marianne Birthler gehört zwar rein äußerlich in die Kategorie „Memoiren von wichtigen Menschen“, sie ist aber ein richtig gutes Buch. Birthler, Jahrgang 1948, im Westen vermutlich vor allem als Chefin der Stasi-Unterlagen-Behörde von 2000 bis 2011 bekannt, ist eine ehrliche Erzählerin mit Sinn für Dramaturgie und Rhythmus, einem ganz eigenen trockenen Humor und der Fähigkeit zu Selbstkritik ohne alle Koketterie.
Es fällt schwer, das Buch wegzulegen, sobald man einmal angefangen hat. Besonders angenehm ist, dass man auch als westdeutscher Leser nie diese etwas anstrengende Haltung „Ihr könnt euch ja gar nicht richtig vorstellen, wie das alles im Osten so war“ zu spüren bekommt.
Birthler beschreibt, was sie erlebt hat, und das – so die Quellenlage mangelhaft ist – immer unter dem Vorbehalt der Fehlbarkeit der eigenen Erinnerung. Und wenn sie etwas nicht mehr genau weiß, dann gibt sie das auch zu. Zum Beispiel, ob sie damals in ihrem Betrieb die Glückwunschnote an den Warschauer Pakt nach dem Einmarsch in die CSSR mit unterschrieben hat.
„Halbes Land. Ganzes Land. Ganzes Leben“ ist ebenso persönlich wie politisch. Und voll aufschlussreicher Details, die zeigen, dass der brutale SED-Staat eben auch nur Menschenwerk war. So beschreibt Marianne Birthler, wie Verweigerer des Militärdienstes an der Waffe, unter ihnen ihr Mann Wolfgang, in der DDR als Bausoldaten kaserniert wurden. Eine harte Schufterei und ganz bestimmt kein angenehmes Leben. Aber eben auch eine wunderbare Gelegenheit, oppositionelle Netzwerke aufzubauen, wenn man schon einmal beisammen war.
Am Donnerstag, 20. November, liest Marianne Birthler um 19.30 Uhr auf Einladung der Stadtbücherei in der Rathausdiele.